Die Niederlage vor Gericht ist ein weiterer Tiefpunkt der verunglückten Umgestaltung Friedrichstraße. Und Folge von Fehlern, die bereits vor Jahren begannen.
Tagesspiegel vom 25.10.2022 von Christian Latz

Zwei Wochen noch, dann könnten wieder Autos durch die Friedrichstraße rollen. So viel Zeit hat das Verwaltungsgericht Berlin dem Senat eingeräumt, die Sperrung der Straße aufzuheben, sollte dagegen keine Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht eingelegt werden. Das aktuelle Durchfahrverbot auf dem Abschnitt zwischen Französischer Straße und Leipziger Straße erklärten die Richter für unrechtmäßig . Schon wieder eine herbe juristische Niederlage für den Senat. Und ein weiterer Tiefpunkt bei der verunglückten Umgestaltung der Friedrichstraße .

Der Aufenthaltswert der Friedrichstraße ist bis heute bescheiden

Begonnen hatte das Vorhaben einst als Leuchtturmprojekt der Verkehrswende – so zumindest wurde es von der ehemaligen, grünen Verkehrssenatorin Regine Günther und ihrer Partei angepriesen. Doch der vermeintliche Glanz blätterte von Beginn an, ganz wie die provisorischen Gelbmarkierungen auf der gesperrten Straße.

Zwar freuen sich besonders Radfahrer bis heute über die breite und sichere Nord-Süd-Verbindung durch Berlins Zentrum. Für sie ist die Route ein enormer Gewinn. Abgesehen davon ist der Mehrwert aber gering: Der Aufenthaltswert der Einkaufsmeile ist bis heute bescheiden. Und selbst den kann die Senatsverkehrsverwaltung offenbar nur mit rechtlich unzulässigen Mitteln aufrechterhalten, weil ein dauerhaftes Gestaltungskonzept für die Straße und die angrenzende historische Mitte fehlt – und das mehr als zwei Jahre nach der Sperrung.

Bis heute krankt der Umbau der Straße an seinem Geburtsfehler: dem sogenannten Verkehrsversuch . Die grün geleitete Verkehrsverwaltung wollte vor zwei Jahren die eigene Klientel mit Fakten auf der Straße besänftigen und rechtfertigte den nicht zu Ende gedachten Plan politisch mit seiner zeitlichen Beschränkung. Als vermeintliches Experiment mit offenem Ausgang angekündigt, war jedoch von Beginn an abzusehen, dass es trotz erheblicher Proteste der Anrainer auch langfristig bei der Sperrung für den Autoverkehr bleiben sollte.

Erst Jarasch räumte die lange geleugneten Probleme des Verkehrsversuchs ein

An einem langfristigen Gestaltungskonzept hat man in dieser Zeit dennoch nicht gearbeitet. Stattdessen bemühten sich Verkehrsverwaltung , der Bezirk Mitte und die Grünen, den offensichtlich schlechten Status quo auf der Straße als städtebauliches Highlight zu verkaufen. Erst die neue Verkehrssenatorin Bettina Jarasch räumte im Mai ein, dass dieses „Provisorium“ nicht das sei, „was man sich von einem attraktiv gestalteten Stadtraum verspricht“

Seither ist klar, dass der für den Aufenthaltswert und die Fußgänger problematische Radweg verlegt werden soll und die Straße komplett umgestaltet wird. Verloren hat man dadurch wertvolle Zeit, und das Verfahren zur dauerhaften Umwidmung zur Fußgängerzone dauert noch an. Auch deshalb kam eine rechtlich äußerst fragwürdige Konstruktion zustande. Vom Verwaltungsgericht gab es dafür erneut die Quittung.

Die klagenden Gewerbetreibenden jubeln nun. Dabei scheinen sie allerdings zu übersehen: Der Niedergang der Friedrichstraße als luxuriöse Einkaufsmeile hängt nur unwesentlich mit dem suboptimalen Verkehrsversuch zusammen. Die Straße wird nie mehr das Ostberliner Pendant zum Kudamm werden – Sperrung hin oder her.

Der Friedrichstraße fehlte schon zuvor jede Ausstrahlung

Dafür liegt städtebaulich zu viel im Argen. Die fehlenden Bäume, die schmalen Gehwege und vor allem die blockgroßen, aber dafür halb leerstehenden Einkaufsquartiere rauben der Straße jegliche Ausstrahlung. Das heißt nicht, dass die Friedrichstraße nicht wieder eine funktionierende Einkaufsstraße werden könnte. Mit Luxusshopping und lautem Verkehr aber wird das nicht gelingen.

Neben den verkehrspolitischen Fehlern ist das neue Urteil vor allem ein juristischer Offenbarungseid für den Senat. Einmal mehr hat das Land eine Niederlage vor Gericht erlitten. Erst kürzlich wurde von den Richtern auf diesem Weg eine neue Busspur für unrechtmäßig erklärt . Die Landesregierung gerät oft trotz besseren Wissens in diese unwürdige Situation.

Der Grund sind enge und nicht mehr zeitgemäße Regeln des Straßenverkehrsrechts . Sie machen derzeit viele wünschenswerte Veränderungen auf Deutschlands Straßen unmöglich. Trotzdem darf sich eine Regierung darüber nicht mit der Vorstellung hinwegsetzen, dass der Zweck allein die Mittel heilige. Auch der Senat hat den Rechtsstaat zu achten, ob ihm das politisch passt oder nicht.

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