Der ideologische Kampf um die Friedrichstraße geht leider weiter. Dabei braucht es nur ein bisschen Vernunft, meint Christine Richter
Morgenpost vom 13.11.2022 von Christiane Richter

Sind Sie in den letzten Tage mal wieder in Mitte gewesen? Etwa am Gendarmenmarkt , den ich für einen der schönsten Plätze in Berlin halte? Oder sind Sie vielleicht Unter den Linden unterwegs gewesen – und dann zu Fuß, mit dem Rad oder gar mit dem Auto in die Friedrichstraße oder Charlottenstraße abgebogen, Richtung Süden? Ich hatte in dieser Woche Besuch von einem Kollegen aus dem Westen Deutschlands, er kam mit dem Auto und wollte zur Redaktion an der Friedrichstraße / Ecke Taubenstraße, dort im Parkhaus parken.

„Ich weiß nicht, wie ich hinkommen soll“, stöhnte er am Handy, „hier ist das totale Verkehrschaos, keiner hält sich an die Regeln, die Charlottenstraße ist eine Einbahnstraße...“ Er war wirklich verzweifelt. Dass ich mich ein bisschen lustig machte, meinte, er sei wohl den rauen Berliner Alltag nicht gewöhnt, war vor allem mein Versuch, Berlin nicht ganz schlecht reden zu lassen. Denn natürlich hat er recht: Rund um den Gendarmenmarkt geht es chaotisch zu, zumindest verkehrlich.

Die Friedrichstraße muss wieder für den Autoverkehr geöffnet werden

Die Friedrichstraße , sie muss bekanntlich bis zum 22. November zurückgebaut und wieder für den Autoverkehr geöffnet werden . Aus guten Grund: Die grünen Verkehrssenatorinnen , erst Regine Günther, jetzt ihre Nachfolgerin Bettina Jarasch, führen einen ideologischen Kampf um dieses Teilstück der Friedrichstraße . Das Pilotprojekt, dort eine funktionierende Fahrradstraße und eine Flaniermeile zu schaffen, ist gescheitert. Wer anderes behauptet, war nie dort. Die Schilder mit dem Aufdruck „Flaniermeile“, die der Senat dort aufstellen ließ, sind ein Hohn.

Doch statt einzusehen, dass der Versuch misslungen ist, dass die Fußgänger sich wegen der Rad- und E-Scooterfahrer, die meist mit hohem Tempo unterwegs sind, nicht auf die Straße trauen, hielt Günther stur an dem Projekt Fahrradstraße Friedrichstraße fest. Jarasch änderte zunächst auch nichts – sondern wollte diesen Straßenabschnitt dann gleich komplett entwidmen. Auto- und Radfahrer raus, die Friedrichstraße wird zur Fußgängerzone, so ihr Plan. Um Vernunft, um pragmatische Lösungen mit den Anwohnern und dem Einzelhandel geht es auch ihr nicht.

Doch die Betroffenen wehrten sich bekanntlich vor Gericht – und bekamen Recht. Denn auch eine Verkehrssenatorin und ihre Verwaltung müssen sich an die Gesetze halten.

Ein Gesamtkonzept für die historische Mitte ist erforderlich

Die Hoffnung, dass nach dem Urteil etwas Vernunft in die Verkehrsverwaltung einziehen würde, erwies sich als unbegründet. Dabei wäre es doch so einfach, die Anwohner-Initiativen, die Vertreter des Einzelhandels, alle, die sich in Mitte engagieren, an einen Tisch zu holen. Und dann ein Gesamtkonzept zu entwickeln und gemeinsam zu entscheiden, wie man die verkehrlich komplizierte Situation rund um den Gendarmenmarkt lösen kann – mit dem Ziel, dort mehr Aufenthaltsqualität zu schaffen.

Doch das Gegenteil passiert: Ein paar Glaskästen sind von der Friedrichstraße weggeräumt, aber sie ist noch nicht für den Autoverkehr freigegeben. Dafür wird die Charlottenstraße schon zur Fahrradstraße umgewandelt. Für Radfahrer wird es dort hochgefährlich, denn sie müssen sich die schmale Straße mit Lieferverkehr und mit Autofahrern teilen, die in die Parkhäuser etwa an der Taubenstraße wollen. Und weil der Gendarmenmarkt jetzt zwei Jahre lang saniert werden soll, wird er gerade mit einem rund zwei Meter hohen Zaun umstellt, die Parkplätze am Platz fallen erwartungsgemäß weg.

So ist absehbar, was passieren wird: Auch die Touristen bleiben weg, aufhalten mag man sich da die nächsten Monate nicht mehr. Schöne Fotos vom schönsten Platz Berlins, die wird es lange Zeit nicht geben. Dafür viel ideologischen Streit.

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