Welt.de vom 16.11.2022 von Rainer Haubrich

Berlin streitet über die Rekonstruktion der Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel. Soll sie originalgetreu wiederaufgebaut werden oder als moderne Interpretation? Folgen wir doch dem berühmten Architekten Ludwig Mies van der Rohe und seiner Heimatstadt Aachen.

Kaum ist das wiederaufgebaute Berliner Schloss wieder im Bewusstsein der Hauptstadt verankert, kreist die Debatte um das nächste Rekonstruktions-Vorhaben: Es geht um die Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel, die einst gegenüber dem Hauptportal des Berliner Schlosses auf der anderen Seite des Spreekanals stand.

Das Spätwerk Schinkels wird von Architekten besonders geschätzt, weil die seriellen Fassaden des Backstein-Würfels den Weg in die rationalistische Moderne wiesen. Die Bauakademie war glimpflich durch den Zweiten Weltkrieg gekommen, die DDR hatte bereits mit dem Wiederaufbau begonnen - dann wurde sie für den Neubau des DDR-Außenministeriums abgerissen. Seit dessen Abriss 1995 ist der Bauplatz wieder frei, eine originalgetreu rekonstruierte Musterecke vor Ort gibt einen guten Eindruck von der Feinheit und Noblesse der einstigen Fassaden.

Während Berlins Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt für die äußerlich originalgetreue Rekonstruktion des Kubus sorgen will, möchte der Gründungsdirektor der Bundesstiftung Bauakademie, Guido Spars, dass der Wiederaufbau "ein herausragendes Beispiel für die Innovationskraft sowie ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit im Bauwesen " wird. Er bevorzugt eine "zeitgenössische Interpretation" des historischen Bauwerks.

Es ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich, wie einer der berühmtesten Architekten der Moderne, Ludwig Mies van der Rohe, über die Rekonstruktion eines anderen prägnanten Bauwerks von Karl Friedrich Schinkel dachte: den "Elisenbrunnen" in Mies' Geburtsstadt Aachen.

Mies war mit 19 Jahren nach Berlin gegangen, wurde der letzte Direktor des Bauhauses, bevor die Nazis es schlossen, zog nach Chicago und wurde einer der berühmtesten Vertreter des rationalistischen International Style. Seit seiner Berliner Zeit war Mies aber auch ein Verehrer von Karl Friedrich Schinkel.

Dessen Elisenbrunnen in Aachen von 1827, eine dorische Trinkhalle, benannt nach der preußischen Kronprinzessin Elisabeth Ludovika von Bayern, war im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört worden. Der erste Wettbewerb für den Wiederaufbau wurde 1948 ausgeschrieben. Man stellte den Teilnehmern frei, ob sie den Elisenbrunnen rekonstruieren oder eine zeitgenössische Version bevorzugen.

68 Entwürfe wurden eingereicht, davon zeigten 17 die historische Gestalt. Die Entwürfe wurden öffentlich präsentiert, das Interesse war groß, handelte es sich doch um ein Stadtbild prägendes Bauwerk, das wie kein anderes für die Kurstadt Aachen stand.

Die Jury unter Vorsitz des renommierten Architekten Emil Fahrenkamp entschied, dass kein Entwurf den hohen Ansprüchen genüge, ein erster Preis wurde nicht vergeben, den 2. Preis erhielt ein moderner Entwurf von Michael Fleischer. Dieses Votum sorgte für eine heftige Debatte, auch in den Leserbrief-Spalten der lokalen Zeitungen. Denn " der Großteil der Aachener Bevölkerung hatte sich für den Wiederaufbau des Bauwerks entschieden", wie Julie Rosskamp im Buch "Aachen nach 1945" schreibt.

Zu der Zeit besuchte Ludwig Mies van der Rohe seine Heimatstadt. Er wurde von Studenten gefragt, was er denn an der Stelle des zerstörten Elisenbrunnens entwerfen würde. An seine Antwort erinnert sich der damalige Mitarbeiter des Aachener Planungsamtes Thomas Ch. Haendly im Buch "Ungebautes Aachen". "Sehr zum Entsetzen der Studenten" habe Mies sinngemäß geantwortet: "Wenn der Elisenbrunnen ein Wahrzeichen der Stadt ist, und daran habe ich keinen Zweifel, dann sollte er wieder so aufgebaut werden, wie er war."

Und so kam es schließlich auch. 1951 wurde ein zweiter Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem lediglich zwei Architekten des Hochbauamtes Aachen den Auftrag erhielten, einen geeigneten Entwurf zur Lösung des "Problems Elisenbrunnen" zu suchen. Schließlich entschied sich die Stadt für den Entwurf des Oberbaurates Kerz, der die Rekonstruktion vorsah.

Für den Wiederaufbau standen der Bauverwaltung damals kaum historische Pläne zur Verfügung. Man orientierte sich daher an Fotos, Stichen und erhaltenen Fragmenten. Zur Wiedereröffnung am 9. November 1953 sagte Oberbürgermeister Hermann Heusch in seiner Rede: "Unter den vielen Baudenkmälern Aachens, die während des letzten Krieges durch die Bomben zerbarsten, hatte außer dem Rathaus keines einen so gesicherten Platz im Herzen der ganzen Bevölkerung wie das von Schinkel entworfene Wahrzeichen Bad Aachens, der Elisenbrunnen."

Ludwig Mies van der Rohe starb 1969 in Chicago. Er konnte nicht ahnen, dass 15 Jahre später auch eines seiner Meisterwerke originalgetreu rekonstruiert werden würde: sein Deutscher Pavillon für die Weltausstellung 1929 in Barcelona. Nach Ende der Expo hatte man das Bauwerk in seine Einzelteile zerlegt und verkauft, über Jahrzehnte erinnerten nur noch Fotografien und ein paar Skizzen an diesen hocheleganten Entwurf.

Auf Initiative von spanischen Architekten wurde der Barcelona-Pavillon Mitte der 1980er-Jahre rekonstruiert - wohlgemerkt auch nicht als "zeitgenössische Interpretation", sondern originalgetreu. Also genau so, wie es sich Mies van der Rohe einst für Schinkels Elisenbrunnen in seiner Heimatstadt Aachen gewünscht hatte.

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