Berliner Zeitung vom 21.11.2022 von Markus Wächter
Nach bisherigem Stand wurde im Werkstattverfahren zum Molkenmarkt kein Sieger gekürt. Hat sich die Jury nun doch zu zwei Gewinnern entschlossen?
Blick auf das Gebiet des Molkenmarkts: Wo jetzt noch eine überbreite Verkehrsschneise verläuft, soll bald ein neues Stadtquartier entstehen.
Der Ausgang des Werkstattverfahrens zur Neugestaltung des Molkenmarkts entzweit die rot-grün-rote Koalition. Grüne und Linke bemängelten am Montag im Stadtentwicklungsausschuss des Abgeordnetenhauses, dass in dem Verfahren kein Sieger gekürt wurde. Im Mittelpunkt der Kritik: Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt.
Der Grünen-Abgeordnete Julian Schwarze sagte, anders als in der Auslobung des Wettbewerbs und in der Wettbewerbsbekanntmachung angekündigt, sei am Ende des Werkstattverfahrens kein Siegerentwurf gekürt worden. Berichte der Berliner Zeitung und des RBB, wonach ein im Internet verbreiteter Einladungstext für einen Bürgerabend zu dem Werkstattverfahren nachträglich so abgeändert wurde, dass der Hinweis auf die Kür eines Siegers entfiel, würden Fragen aufwerfen, so Schwarze.
„Es geht hier um ein Gebiet von nationaler und internationaler Bedeutung“, sagte der Grünen-Abgeordnete. Berlin habe „einen Ruf zu verlieren, was Planungskultur und Zuverlässigkeit von Planungsverfahren angeht“. Schwarze sprach von einem „ Planungsschaden “. Ähnlich äußerte sich die Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg. „Als Linke fordern wir ganz klar: Es muss eine neue, eine weitere Jurysitzung geben“, sagte sie. Das Verfahren müsse „geheilt“ werden.
Werkstattverfahren war ohne Kür eines Siegers beendet worden Hintergrund: Das Werkstattverfahren zum Molkenmarkt, für das sich zwei Planerteams aus Berlin und Kopenhagen/ Berlin qualifiziert hatten, war am 13. September überraschend zu Ende gegangen, ohne dass ein Sieger gekürt wurde. Kritiker hatten dies bemängelt und den Vorwurf erhoben, die Senatsbaudirektorin setze sich damit über den Auslobungstext hinweg, in dem die Auswahl eines der beiden eingereichten Entwürfe angekündigt worden sei.
Kahlfeldt hatte im Interview mit der Berliner Zeitung eingeräumt, dass es beim Werkstattverfahren zur Gestaltung des Molkenmarkts „offenbar Inkonsistenzen in der Ausschreibung“ gegeben habe. Dennoch sei es ein faires Verfahren gewesen.
Die Senatsbaudirektorin wies am Montag im Ausschuss die Kritik von Grünen und Linken zurück. Das Werkstattverfahren sei ordentlich beendet worden, es gebe keinen Planungsschaden und auch „nichts zu heilen“, sagte sie. Dann überraschte Kahlfeldt mit der Aussage, die Jury habe sich zu „zwei Gewinnern entschlossen“. Das war nach der Jurysitzung anders kommuniziert worden. Da hatten Kahlfeldt und die Vorsitzende der Jury, Christa Reicher, noch versucht, den Eindruck zu erwecken, es sei gar nicht vorgesehen gewesen, einen Sieger zu küren, sondern darum gegangen, dass die Jury Empfehlungen zur Gestaltung des Molkenmarkts ausspricht.
Die schriftlichen Empfehlungen der Jury liegen laut Kahlfeldt seit vergangenem Freitag vor. Sie sollen einfließen in eine Charta Molkenmarkt, die als Nächstes erarbeitet werden soll. „Die Charta dient der Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse der städtebaulichen Qualifizierung und der Formulierung eines städtebaulichen Masterplans“, sagte Kahlfeldt. Vorgesehen sei, den Masterplan im zweiten Quartal 2023 dem Senat „zur Beschlussfassung vorzulegen“. Dass das Abgeordnetenhaus über die Charta beschließt, ist dagegen weiterhin nicht geplant.
Gestaltungshandbuch und Gestaltungsbeirat vorgesehen Vorgesehen ist auch die Erarbeitung eines Gestaltungshandbuchs. Es soll Vorgaben zum Aussehen der einzelnen Gebäudeblöcke machen, die am Molkenmarkt entstehen. Zudem soll ein Gestaltungsbeirat berufen werden, der über die Einhaltung der Ziele wacht. Ab 2024/2025 sollen laut Kahlfeldt Architektur- und Freiraumwettbewerbe für die geplanten Blöcke in dem Quartier veranstaltet werden. „Eine Realisierung ist ab 2028 vorgesehen.“
„Ich bin entsetzt darüber, wie das Wettbewerbsverfahren durch Senatsbaudirektorin Kahlfeldt Stück für Stück umgedeutet und systematisch verändert wird“, sagte die Linken-Abgeordnete Gennburg nach der Ausschusssitzung. „Seit Monaten erleben wir, wie sich Bausenator und Senatsbaudirektorin immer wieder neu widersprechen und dabei das Wettbewerbsverfahren und die Beteiligten beschädigen – selbst die Website zum Verfahren wurde nachträglich verändert“, so Gennburg. Noch im Oktober hieß es, es gebe keine Wettbewerbssieger, nun erkläre Kahlfeldt, es gebe zwei Wettbewerbssieger. Beides widerspreche dem Verfahrensplan, auf den sich die Architekturbüros und auch die Fachpolitiker eingestellt hätten.
Der Grünen-Abgeordnete Julian Schwarze sagte, die Aussage über zwei Sieger verwundere sehr. Die Frage, ob das tatsächlich auch so von der Jury beschlossen wurde, sei unbeantwortet geblieben. Die Empfehlungen und Protokolle der Jury müssten umgehend veröffentlicht, es müsse für Transparenz gesorgt werden.
CDU bedauert, dass nichts Zusammenführendes erreicht wurde Die Opposition übt zwar ebenfalls Kritik am Verfahren zum Molkenmarkt, doch geht sie die Senatsbaudirektorin weniger hart an. Der CDU-Abgeordnete Stefan Evers beklagte, dass es an kaum einem Punkt gelungen sei, dass zu schaffen, was man eigentlich von der Entwicklung der historischen Mitte erwarten dürfe: „nämlich zusammenzuführen“. Das sei bedauerlich. Denn es gehe „ja nicht darum, hier historisierend allein zu bauen, sondern es geht darum, wie leiten wir aus den vorhandenen Spuren, aus der vorhandenen Tradition und Geschichte das Beste für Berlins Zukunft ab“, so Evers.
Der AfD-Abgeordnete Harald Laatsch sagte, er hoffe, dass sich im Streit um die Gestaltung die Seite durchsetze, „die hier als historisierend bezeichnet wird“. Der FDP-Abgeordnete Stefan Förster sagte, es gebe leider kein Votum der Bürger zur Frage, wie sie sich den Wiederaufbau des historischen Zentrums wünschen.