Neue Irritationen um den Molkenmarkt: Ein Kreis von Jury-Mitgliedern hat „Empfehlungen“ verfasst. An der Legitimation gibt es Zweifel
Berliner Zeitung vom 09.12.2022 von Ulrich Paul

Das umstrittene Werkstattverfahren zum Molkenmarkt in Berlins Mitte soll offenbar mit Empfehlungen aus dem Kreis der Jury ein Ende finden. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung veröffentlichte jetzt jedenfalls auf der Internetseite zum Molkenmarkt ein 17-seitiges Papier mit „Empfehlungen“ einer siebenköpfigen Redaktionsgruppe, deren Mitglieder aus dem Kreis der Preisrichter stammen. Die Empfehlungen sollen in die weitere Planung einfließen. Doch schon gibt es Zweifel, ob die Redaktionsgruppe überhaupt berechtigt war, für die ganze Jury zu sprechen.

Klar ist: Das Werkstattverfahren, für das sich zwei Teams aus Berlin und Kopenhagen/ Berlin mit ihren Entwürfen qualifiziert hatten, bleibt nach dem jetzt gewählten Abschluss ohne Sieger – obwohl die Auswahl eines der Entwürfe als Grundlage für die weitere Planung nach offiziellen Quellen vorgesehen war. Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt und die Juryvorsitzende Christa Reicher hatten allerdings gleich nach dem Abschlusskolloquium der Jury versucht, den Eindruck zu erwecken, als sei es nie vorgesehen gewesen, einen Sieger zu küren.

Aus dem jetzt veröffentlichten Protokoll über die Abschlusssitzung des Preisgerichts lässt sich rekonstruieren, wie die Kommunikation in dem Gremium am letzten Beratungstag verlief. Danach stellte Kahlfeldt nach einer Begrüßung die Tagesordnung vor und erläuterte, „dass es die heutige Aufgabe der Jury ist, am Ende der Veranstaltung schriftliche Empfehlungen zu den Arbeiten und zur weiteren Planung zu geben“. Um 19.20 Uhr wurden laut Protokoll die beiden Planungsteams in den Saal gebeten: das Team OS Arkitekter/Czyborra Klingbeil Architekturwerkstatt (OSCKA) aus Kopenhagen/ Berlin und das Team Albers/Malcovati/Vogt/Terfort (AMVT) aus Berlin .

Viel Lob

Ihnen wurde anschließend „dargelegt, dass nicht ein Team/Entwurf/Konzept zur Grundlage der weiteren Planung gemacht werden soll“, wie es heißt. Vielmehr hätten „beide Teams sehr gute Hinweise zur weiteren Ausarbeitung der Planung gegeben, welche nun in Form der Empfehlungen in die weitere Planung einfließen“, so das Protokoll. Notwendig wurde ein solcher Hinweis eigentlich nur, wenn vorher geplant war, einen Entwurf für die weitere Bearbeitung auszuwählen. Sonst ergibt er keinen Sinn.

In den jetzt vorliegenden Empfehlungen aus dem Kreis der Jury wird der Entwurf des Teams OSCKA gleich mehrfach gelobt. Die von dem Team aufgezeigten „Gebäude- und Erschließungstypologien“ böten „eine wichtige Voraussetzung für vielfältige und kluge Formen des Wohnens sowie für leistbare Wohnangebote“, heißt es. „Überzeugend“ sei zudem die Interpretation des geplanten Kulturpfades durch das Quartier. Die Entwurfsverfasser respektierten und interpretierten die Vorgaben des Bebauungsplans „im Sinne eines zeitgemäßen und zukunftsorientierten Quartiers“.

Am Entwurf des Teams AMVT wird hervorgehoben, dass sich dieser „durch einen differenzierten Umgang mit dem Bestand“ an Gebäuden auszeichne. „In einem differenzierten Dialog zwischen Alt und Neu entstehen ruhige, beidseitig ähnlich gefasste Stadträume.“ Kritisch wird angemerkt, dass sich der Entwurf im Zuge der Überarbeitung von der zunächst vorgeschlagenen Kleinteiligkeit verabschiedet habe – „besonders augenscheinlich im Bereich der Parochialgasse, deren Randbebauung als eigenständige Townhouses konzipiert waren“. Im Verlauf der Überarbeitung würden „stattdessen wirtschaftlichere Gebäudegrößen vorgeschlagen, insbesondere um Erschließungseinheiten zusammenzufassen“, wie es heißt.

Dahinter steht ein Zielkonflikt der gesamten Planung. Städtebaulich erwünscht sind eher kleine Gebäude. Weil viele kleine Gebäude aber viele Treppenhäuser und Aufzüge zur Folge haben, wird eine solche Bebauung zugleich auch sehr teuer. Um unter diesen Bedingungen Wohnungen mit preiswerten Mieten anbieten zu können, müssten die Bauherren wahrscheinlich eine hohe öffentliche Förderung erhalten. Oder sie weichen von der kleinteiligen Bebauung ab. Aber das ist nicht gewollt.

Die eigentlichen Empfehlungen aus dem Kreis der Jury lesen sich teilweise wie eine Wiederholung der Ausschreibung. Etwa, wenn es heißt: „Entlang der Parochialgasse und entlang der Jüdenstraße ist die Bebauung möglichst kleinteilig auszubilden.“ Manches klingt zuweilen banal. Zum Beispiel der Hinweis: „Spätere Nutzungsänderungen müssen mit einem möglichst geringen Aufwand möglich sein.“ Immerhin: Die Redaktionsgruppe empfiehlt, wofür sich nach Abschluss des Werkstattverfahrens viele Akteure ausgesprochen hatten: den Erhalt des aus DDR-Zeiten stammenden Gebäudes K44 in der Klosterstraße 44, aus Gründen des Ressourcenschutzes.

Die Kritik aus der rot-grün-roten Koalition an dem Verfahren zum Molkenmarkt will dennoch nicht enden. „Die jetzt vorliegenden Empfehlungen wurden nicht von der Jury beschlossen“, sagt der Grünen-Abgeordnete Julian Schwarze. „Sie wurden lediglich innerhalb der Redaktionsgruppe abgestimmt.“ Insofern sei „unklar, ob die hier gemachten Aussagen auch von der Mehrheit der Jury-Mitglieder mitgetragen“ werde. „Wichtig ist nun, dass die Jury erneut zusammentritt, um die vorgelegten Empfehlungen zu beraten und zu beschließen“, so Schwarze. „Nur so können die Empfehlungen legitimiert werden.“

Ökologisches Vorzeigequartier

Klar sei, dass der Molkenmarkt ein Vorzeigequartier für eine nachhaltige und ökologische Stadtentwicklung werden müsse, sagt Schwarze. Ein „historisierender Wiederaufbau des Stadtteils“ stehe aber „einer ökologischen Planung von bezahlbarem Wohnen mit viel Grün im Wege und sollte endlich beerdigt werden“, so der Grünen-Politiker. „Es irritiert daher, dass wieder kleinteilige Grundrisse hervorgehoben werden.“ Richtig sei, dass es „jetzt ein kooperatives Verfahren für die nächsten Schritte“ brauche.

Schwarze: „Das Verfahren muss endlich ordentlich zu Ende gebracht werden und die Jury hierfür erneut zusammenkommen.“

Die Berliner Zeitung im Internet: www.berlinerzeitung.de