Für den Molkenmarkt legt die Stadtentwicklungsverwaltung nun einen Empfehlungskatalog vor. Wie er zustande kam, wirft Fragen auf
Tagesspiegel vom 09.12.2022 von Teresa Roelcke

Seit Mitte der Woche stehen Sie online: Die Empfehlungen für die weitere Entwicklung des Molkenmarkts , die Senatsbaudirektorin Kahlfeldt Ende November im Stadtentwicklungsausschuss als „die schriftlichen Juryempfehlungen” angekündigt hatte.

Von hohem öffentlichen Interesse sind sie deshalb, weil beim städtebaulichen Verfahren Molkenmarkt seit einiger Zeit die Sorge im Raum steht, Kahlfeldt versuche, die Ergebnisse des Preisgerichts und der Öffentlichkeitsbeteiligung zu umgehen und die weiteren Planungen in Eigenregie durchzuführen. Aufgekommen war diese Vermutung nach der eigentlich abschließenden Jurysitzung des Werkstattverfahrens im September, die zur allgemeinen Überraschung ohne einen klaren Sieger zu Ende gegangen war. Kahlfeldt behauptete damals, es sei von Anfang vorgesehen gewesen, das Werkstattverfahren lediglich mit einen Empfehlungskatalog zu beenden.

Die Empfehlungen wurden „angepasst“

Nun also liegt ein solcher Katalog vor. Aber ist die Jury wirklich Urheber der Empfehlungen? Daran gibt es Zweifel. Obwohl der Link auf der Projektwebsite zu den „Empfehlungen der Jury“ führen soll, ist im Dokument selbst nur noch von „Empfehlungen” die Rede, die eine „Redaktionsgruppe” verfasst habe, bestehend aus sieben Mitgliedern des 21-köpfigen Preisgerichts. Vermerkt ist in dem Dokument außerdem, dass die Redaktionsgruppe die Empfehlungen im Zeitraum vom 7.10. bis 6.11. erarbeitet habe. Als Zeitstempel am Anfang des Dokuments findet sich das Datum 7.11. / 17.11. (angepasst). Nach Tagesspiegelinformationen hat die Redaktionsgruppe nach Abgabe der Empfehlungen am 7.11. keine Änderungen am Dokument vorgenommen. Was also angepasst wurde, bleibt unklar. Von der Stadtentwicklungsverwaltung beantwortete eine Tagesspiegelanfrage auch bislang nicht.

Jury hat nichts beschlossen

Im Stadtentwicklungsausschuss hatte Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt davon gesprochen, diese Textgrundlage dafür sei in der Jurysitzung „gemeinsam diskutiert, erarbeitet und dann auch verabschiedet” worden. Die Redaktionsgruppe habe im Anschluss lediglich daran gearbeitet, das Ganze in einen „durchgängigen Sprachduktus” zu bringen. Nach Tagesspiegelinformationen gab es in der Jurysitzung allerdings keinen Konsens zu den konkreten Inhalten der einzelnen Empfehlungen. Daher sei auch keine gemeinsame Textgrundlage durch die Jury verabschiedet worden, die nun lediglich redaktionell hätte nachbearbeitet werden können.

Im Protokoll zu der Sitzung ist ebenfalls nicht dokumentiert, dass ein konkreter Beschluss zu den Empfehlungen verabschiedet worden wäre, stattdessen von einer „kurzen Diskussion” die Rede, „wie sich vermeintlich widersprechende Ziele (insb. kostengünstiges Wohnen und hoher Gestaltungsanspruch) vereinbaren lassen.” Erste Textentwürfe aus der Jury seien außerdem „erneut diskutiert, ggf. angepasst und geschärft” worden. Von „verabschiedet” ist nicht die Rede. Das Protokoll wurde ebenfalls am Mittwoch veröffentlicht.

Weitere Jurysitzung gefordert

Die Fraktionen von Grünen und Linken haben bereits vor zwei Wochen gefordert, das ihrer Ansicht nach abgebrochene Verfahren durch eine weitere abschließende Jurysitzung zu „heilen”, in der die Jury dann auch einen gemeinsamen Beschluss fassen würde. Diese Forderung erneuerten die stadtentwicklungspolitischen Sprecher beider Fraktionen gegenüber dem Tagesspiegel am Donnerstag.

Julian Schwarze, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Grünen, meinte: „Es ist unklar, ob die hier gemachten Aussagen auch von der Mehrheit der Jury-Mitglieder mitgetragen werden. Wichtig ist nun, dass die Jury erneut zusammentritt, um die vorgelegten Empfehlungen zu beraten und zu beschließen. Nur so können die Empfehlungen legitimiert werden.” Katalin Gennburg, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, sagte: „Wir fordern weiterhin eine neue Jurysitzung.”

Inhaltlich fällt auf, dass es in den Empfehlungen keinen eigenen Absatz zum Unterpunkt „Ökologische Nachhaltigkeit” gibt, während das Thema im Verlauf des Werkstattverfahrens immer wieder zentral behandelt wurde. Stattdessen findet sich ein Abschnitt zu „Architektur”, ungeachtet der Tatsache, dass lediglich der Städtebau , also die grundlegende Struktur des Quartiers, Gegenstand des aktuellen Qualifikationsverfahrens ist und dies im Verlauf des Prozesses auch immer wieder betont wurde.

Gestalterische Vorgaben

Zum Beispiel sei zu klären, „ob für die Bebauung gestalterische Vorgaben beispielsweise bezogen auf Fassadengliederung, Materialitäten, Farbigkeit, Dachformen, Dachbegrünung, Klimaanpassung, Energiegewinnung, etc. Orientierung bei den folgenden Qualifizierungsverfahren bieten können”. Solche gestalterischen Vorgaben waren aber bislang explizit nicht Gegenstand des städtebaulichen Verfahrens, würden aber die Baukosten im Zweifel erheblich nach oben treiben.

Während in den Anforderungen an die Planungsteams flexible Nutzungsmöglichkeiten und Bezahlbarkeit ein wichtiges Kriterium waren, öffnen die Empfehlungen nun auch die Tür für möglicherweise kleinere Grundstücksparzellen: Möglich sei auch „eine kleinteilig strukturierte Abfolge unterschiedlicher Gebäude mit jeweils eigenständiger Zugänglichkeit, innerer Organisation sowie Fassadenausbildung.” Damit seien allerdings tatsächlich höhere Kosten und eine geringere Flexibilität bei der Grundrissgestaltung verbunden, „was den Zielen der Quartiersentwicklung mit Blick auf die Bereitstellung bezahlbaren Wohnraumes zuwiderlaufen kann”.

Zur Erinnerung: Am Molkenmarkt sollen mit WBM und Degewo zwei landeseigene Wohnbaugesellschaften bauen. Auch wenn die Entscheidung hierzu eigentlich bereits seit geraumer Zeit gefallen ist, wurde sie immer wieder infrage gestellt. Pikanterweise auch von Bernd Albers, dem inzwischen verstorbenen Namensgeber des Planungsteams Albers/Malcovati, das einen der beiden Entwürfe eingereicht hatte, die im Werkstattverfahren diskutiert wurden. Argument war immer wieder: Die landeseigenen Wohnbaugesellschaften könnten eine ansprechende Architektur nicht leisten. Stattdessen forderte er als Erstunterzeichner einer Petition kleinere Grundstücksparzellen, die auch an „einzelne Bauherren” vergeben werden sollten.

Biographisch steht Albers der Senatsbaudirektorin nah: Das Architekturbüro Kahlfeldt Architekten, das heute vom Ehemann von Senatsbaudirektorin Kahlfeldt geführt wird, bis zu ihrem Amtsantritt aber vom Ehepaar Petra und Paul Kahlfeldt gemeinsam, hat zwei Stadtvillen für das Bernd Albers' Projekt „Neue Liebe“ in Potsdam entworfen. 2023 sollen die Häuser fertig gestellt werden. Auf der Projektwebsite erklärt Paul Kahlfeldt: „Wir kennen uns seit 40 Jahren! Und wir pflegen die gleiche architektonische Schule.“

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