Ein Gespräch mit Tobias Nöfer vom Architekten- und Ingenieurverein über Perspektiven für den Spittelmarkt , die Leipziger Straße und den Molkenmarkt
Tagesspiegel vom 15.12.2022 von Udao Badelt

Her Nöfer, warum ist der Spittelmarkt so ein problematischer Ort?

Es ist einer der am meisten vom Verkehr malträtierten Räume der Innenstadt. Kaum einer kennt ihn noch, weil er nach dem Krieg mit einer peitschenförmigen Straße zu einem Unort gemacht wurde. Jetzt soll dieser unmenschliche Verkehrsraum gerade wieder durch den Neubau der Neuen Gertraudenbrücke für mindestens die nächsten 50 Jahre manifestiert werden.

Weil die geplante Brücke viel zu breit ist.

Weil sie den Platzraum zerschneidet. Wenn der Verkehr über die historische, nördliche Brücke geführt würde, gäbe es die Chance, den historischen Platz in Dreiecksform wiederherzustellen. Da muss man auch Kritik an der letzten Koalition üben. Das Planwerk Innere Stadt war jahrzehntelang maßgeblich und sah immer die Umlegung dieser Straße vor. Aber unter der damaligen Senatsbaudirektorin Regula Lüscher ist diese Entwicklung einfach nicht weitergetrieben worden, so dass im Oktober 2021 in einem Senatsbeschluss ohne Beteiligung der Öffentlichkeit mal eben beschlossen wurde, die baufällige Neue Gertraudenbrücke abzureißen und 1:1 wiederaufzubauen – nur um ein Planfeststellungsverfahren zu vermeiden! Da platzt mir die Hutschnur. Das ist ignorant auch gegenüber auch den eigenen Zielen. Man sagt, wir wollen schöne Platzräume, eine lebenswerte Stadt, eine Verkehrswende. Doch dann erweist sich das alles als Sonntagsrede.

Ist der Deckel da schon drauf oder noch was zu ändern?

Im Moment schreibt die Senatsverwaltung für Verkehr den Wettbewerb für den Neubau der Brücke aus. Wenn das passiert, ist der Ort verloren. Aber ich glaube, es ist noch nicht zu spät. Man muss alle Hebel in Bewegung setzen. Wir haben das bereits getan, die politische Leitung beider Verwaltungen ist jedoch noch der Auffassung, dass die Entscheidung gefallen ist. Ich kann das nicht nachvollziehen. Der Spittelmarkt hätte das Potential, der Hackesche Markt 2.0 zu werden. Wir könnten einen weiteren tollen Stadtraum generieren, die andere Plätze des Zentrums entlasten, einen lebenswerten Ort schaffen, den Verkehr beruhigen, ohne ihn abzuwürgen. Es wäre alles möglich, und genau deshalb halte ich das für einen besonders ignoranten Fall.

Ein bisschen weiter nördlich befindet sich die zweite Brücke, die Mühlendammbrücke. Das gleiche Problem?

Ein ähnliches Problem. Auf Grund der Senatsentscheidung zur Gertraudenbrücke hat es immerhin auch hier massive Proteste gegeben, Zivilgesellschaft und Fachwelt sind eingeschritten – mit Erfolg, wie Frau Jarasch betont. Die Verkehrsverwaltung plant die Mühlendammbrücke jetzt fünf Meter schmaler, das bedeutet, auch die Neue Gertraudenbrücke wird fünf Meter schmaler. Ein Quadratmeter Brücke kostet ungefähr 33.000 Euro. Fünf Meter Breite über 120 Meter Länge, da kommen Millionenbeträge zustande. Wie kann eine Verkehrsverwaltung Millionenbeträge zu viel ausgeben, weil sie nicht genug nachgedacht hat? Das finde ich skandalös.

Der Vorwurf geht an Frau Jarasch?

Mehr an ihr Haus, Frau Jarasch ist ja eine neue Senatorin, die eine Verkehrswende durchsetzen will. Dem Haus ist es aber offenbar nicht möglich, alte Strategien zu ändern.

Gleich hinter der Mühlendammbrücke entsteht der Molkenmarkt neu, ebenfalls heftig umkämpft.

Den städtebaulichen Wettbewerb hätte man sich sparen können, der Bebauungsplan ist ja bereits beschlossen. Und es ist eine sehr schlechte Idee, die gesamten Projekte dort durch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften realisieren zu lassen. Diese werden gezwungen, kostengünstig im komplexen Gelände zu bauen. Das muss städtebaulich und architektonisch schiefgehen. Wenn man für 6,50 Euro vermieten will, kann man nur ganz wenig Geld ausgeben, und das tut man am besten auf der grünen Wiese. Im Altstadtkern müssen wir uns fragen: Wünschen wir uns hier eine Monostruktur aus Sozialbauten? Ist nicht die Qualität einer Innenstadt die maximale Vielfalt? Einige Aktivisten haben in agitatorischer Absicht in den Medien den Eindruck zu erwecken versucht, Senatsbaudirektorin Kahlfeldt wolle hier nun privatisieren. Dabei ist das offensichtlicher Unsinn. Die Flächen bleiben in öffentlicher Hand. Aber Erbaurechtsverträge, zum Beispiel an Stiftungen oder Genossenschaften, sind nicht ausgeschlossen, sogar wünschenswert. Warum quält man die Wohnungsbaugesellschaften, hier für zu wenig Geld Häuser zu bauen, statt viele Parzellen auch in Erbpacht an Genossenschaften, Baugruppen oder gemeinnützige Stiftungen zu geben, die Vielfalt herstellen können? Warum sollte man das nicht tun?
Genau da beginnt die Ideologie.

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