Der Weihnachtsmarkt am Schloss Charlottenburg muss weichen. Der Veranstalter gibt nicht auf
Berliner Zeitung vom 29.12.2022
Das Gespräch führte Maria Häußler mit dem Veranstalter Tommy Erbe
Weil die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten ein Besucherzentrum am Schloss Charlottenburg bauen lässt, fand der Weihnachtsmarkt dort in diesem Jahr vermutlich zum vorerst letzten Mal statt. Veranstalter Tommy Erbe glaubt, dass der Markt trotz der Bauarbeiten stattfinden könnte. Deshalb sammelte er online und an den Marktständen Unterschriften, um den Bezirk und die Stiftung vom Erhalt des Marktes zu überzeugen. Es ist nicht der erste Konflikt der Beteiligten: Jahrelang führte Erbe einen Rechtsstreit mit dem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Es ging um das Sicherheitskonzept zum Antiterrorschutz. Erbe sieht einen Zusammenhang zwischen den Klagen und dem Ende des Weihnachtmarktes. Der Bezirk verweist darauf, dass der Markt auf dem Gelände der Stiftung stattfinde. Diese habe beschlossen, den Mietvertrag nicht zu verlängern. „Der Bezirk hat darauf keinen Einfluss“, sagte ein Sprecher. Auch im Streit über das Sicherheitskonzept fühlt sich das Bezirksamt nicht zuständig. Das sei Sache der Polizei.
Herr Erbe, Sie sammeln Unterschriften für den Erhalt des Weihnachtsmarktes. Wie könnte eine Lösung aussehen?
Wir gehen nicht davon aus, dass die komplette Fläche, auf der der Weihnachtsmarkt steht, für die Bauarbeiten gleichzeitig benutzt wird. Im nächsten Jahr sind nur Bauvorbereitungen geplant. Der eigentliche Bau beginnt nach der jetzigen Planung und unserer Kenntnis im Jahr 2024. Wir würden den Weihnachtsmarkt kleiner gestalten. Es ist aber auch ein relativ großes Gelände, da gibt es andere Flächen, die man vielleicht auch mitbenutzen könnte. Man hatte uns früher schon mal andere Flächen angeboten, die jetzt angeblich nicht mehr zur Verfügung stehen.
Was gibt Ihnen Anlass zur Hoffnung?
Die Regierende Bürgermeisterin hat uns bei der Eröffnung Mut zugesprochen und gesagt, sie würde im Januar versuchen, mit der Stiftung zu sprechen. Es gab auch schon einige andere Initiativen. Wir haben noch einen kleinen Funken Hoffnung, dass die Stiftung ihre Entscheidung noch mal überdenkt. Wir verstehen nicht, dass es keine Bereitschaft gibt, alles dafür zu tun, diese Veranstaltung zu erhalten. Unser Weihnachtsmarkt findet seit 2007 statt, er ist einer der erfolgreichsten Veranstaltungen und international angesehen. Er ist Werbung für die Stadt und Charlottenburg.
Sie glauben, dass die Bauarbeiten nicht der wirkliche Anlass für das Ende des Marktes sind. Warum?
Unserer Überzeugung nach ist das ein vorgeschobener Grund. Wir klagen seit 2017 gegen das Bezirksamt. Es geht um das Aufstellen der Anti-Terror-Poller und die Verpflichtung als Veranstalter ein sogenanntes Sicherheitskonzept zu erstellen. Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage in Deutschland. Das haben die Verwaltungsgerichte, insbesondere das Oberverwaltungsgericht, in insgesamt neun Verfahren festgestellt. Das hat uns natürlich zum Erzfeind des Bezirksstadtrates werden lassen, der zweimal in Berufung gegangen ist. Das Bezirksamt ist aufgrund der Liegenschaft eng verbandelt mit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Wir wissen aus diversen Quellen, dass das Bezirksamt versucht hat, bei der Stiftung Stimmung gegen uns zu machen.
Ein anderer Rechtsstreit hat die Situation zusätzlich verschärft ...
Die Stiftung will uns die Miete für 2020 nicht zurückzahlen und verklagt uns wegen der Miete für das Jahr 2021. Wegen der gesetzlichen Corona-Verordnung konnten wir in diesen Jahren keinen Weihnachtsmarkt veranstalten. Bei der gerichtlichen Auseinandersetzung vor dem Landgericht Potsdam geht es um etwa 100.000 Euro. Ich bin der Meinung, dass es nicht richtig sein kann, dass wir als einziger Weihnachtsmarkt in Deutschland Miete bezahlen sollen, obwohl er nicht stattgefunden hat. Zumal der Vermieter kein Kredithai ist, sondern eine öffentliche Stiftung, die von unserem Steuergeld finanziert wird. Die Fronten sind verhärtet. Ich habe den Generaldirektor angeschrieben und eingeladen, sich den Weihnachtsmarkt anzusehen. Aber er hat bisher nicht geantwortet.
Was haben die Klagen gekostet?
Mittlerweile über 250.000 Euro. Einen Teil der Gerichtskosten bekomme ich wieder, aber mein Anwalt ist ein Spitzen-Fachanwalt. Über 50 Absagen von Mietinteressenten hatte ich in diesem Jahr, weil wir nicht wussten, ob wir den Weihnachtsmarkt machen können. Am 3. November habe ich das letzte Gerichtsurteil bekommen, vier Tage später haben wir angefangen aufzubauen. Wir haben deshalb viele Mieteinnahmen verloren. 2017 hat die Stadt die Poller bezahlt. 2018 wurde mir eröffnet, dass ich den Weihnachtsmarkt nur unter der Bedingung eröffnen kann, dass ich vor der Genehmigungserteilung unterschreibe, die Poller zu bezahlen. So lief das ab. Dagegen habe ich auch geklagt. Wir haben vor kurzem 28.000 Euro vom Bezirk für die Poller 2018 und 2019 wiederbekommen.
Geht es Ihnen ums Geld?
Nein. Wenn ich 15.000 Euro Kosten im Jahr zusätzlich für Sicherheit habe, dann lege ich das auf meine Mieter um. Es geht ums Prinzip. Ich habe alle Sicherheitsbehörden schriftlich angefragt, Innensenator, Polizei, LKA, Bezirksamt, ob wir etwas tun müssen. Erst ein halbes Jahr später kam die neue Verfügung, drei Tage vor Eröffnung des Weihnachtsmarktes 2017. Dagegen habe ich mich dann gewehrt, mich ärgert diese Art und Weise der Behörden in Berlin . Das hat dazu geführt, dass wir diejenigen sind, die in der Ecke stehen und gehen sollen. Wir haben uns als Einzige getraut zu klagen. Die anderen Weihnachtsmärkte wollen sich mit dem Staat nicht anlegen.
Wie viele Anti-Terror-Poller waren geplant und wie viele stehen jetzt da? Müssen andere Weihnachtsmärkte das auch umsetzen?
Andere Weihnachtsmärkte haben auch Poller, aber eben sehr viel weniger. Auf dem Gendarmenmarkt stehen sechs bis acht Stück, auf dem Bebelplatz drei, wie ich der Zeitung entnommen habe. In der Spandauer Altstadt standen ein paar Blumenpoller. Wir mussten über 75 Beton-Poller in den Jahren 2018 und 2019 aufstellen, um den Weihnachtsmarkt vor Terrorangriffen zu schützen. Die Auflage dazu kam vom Bezirksamt. Die Polizei war nur beratend tätig.
Laut Urteil müsste das Bezirksamt jetzt für die Sicherheit aufkommen...
Wir sind davon ausgegangen, dass sie die Poller dieses Jahr aufstellen. Vier Tage lang ist gar nichts passiert. Am fünften Tag kam die Polizei und hat Plastik-Baken aufgestellt, wie sie an der Friedrichstraße standen. Aber das ist doch kein Terrorschutz, das ist völliger Irrsinn! Da hätte man auch letztes Jahr sagen können, zwei Plastik-Baken und zwei Polizeiautos reichen aus zum Schutz. Jetzt muss der Staat das bezahlen und macht es nicht. Nach dem Urteil müssen alle Veranstaltungen, die auf öffentlichem Boden oder einer Grünanlage stattfinden, durch den Staat geschützt werden, wenn die Polizei ein Risiko sieht. Die Polizei hat uns schon im Sommer mitgeteilt, es gebe eine abstrakt hohe Terroranschlagsgefahr. Diese Plastik-Baken sind nicht einmal ein Schutz gegen Fahrräder!
Wie viele Unterschriften haben Sie gesammelt und was ist Ihr Ziel?
Wir haben sie noch nicht komplett gezählt, weil wir seit Dienstagmorgen in der Abbauphase sind. In drei Wochen kamen 30.000 Unterschriften zusammen. Wir machen das zum ersten Mal. Im Januar stellen wir die Unterschriften der Senatskanzlei und der Stiftung zur Verfügung. Das sind letztendlich auch Kunden vom Schloss und Wählerinnen und Wähler in Berlin . Deutlich über eine Million Besucher waren da, die Leute haben uns vom ersten Tag an überrannt. Sie haben praktisch mit den Füßen abgestimmt. Wir haben viel Unterstützung bekommen. Die Mieter sind natürlich total enttäuscht, dass der Weihnachtsmarkt nicht mehr stattfinden darf. Für sie sind die Häuser, die sie aufstellen, ein großes Investment. Vielleicht müssen sie sie wegschmeißen.