Die Bundesregierung will, dass Wohnen günstiger und klimafreundlicher wird. Doch die Rechnung geht nicht auf.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 01.01.2023 von Henrik Pomeranz

Klara Geywitz ist Bundesbauministerin, man könnte sie aber auch als ambitionierte Mathematikerin sehen. Seit einem Jahr versucht sie eine Gleichung zu lösen, die geradezu irrwitzig erscheint. Von ihrem Erfolg hängt ab, ob es in Deutschland bald mehr Wohnraum gibt oder ob er noch viel knapper und teurer wird.

Die geywitzsche Gleichung geht so: Zum einen soll die SPD-Politikerin für mehr günstigen Wohnraum sorgen. Und zum anderen soll sie die Immobilienbranche klimafreundlicher machen. Letzteres gelingt vor allem durch höhere Auflagen - die aber machen Häuser deutlich teurer. Günstiger Wohnraum hingegen entsteht nur, wenn die Baukosten sinken. Dieser Zielkonflikt ist die eine Seite des geywitzschen Problems.

Einen Teil ihrer Lösung versucht sie an einem sonnigen Herbsttag in einem Wohnhaus am Rande Berlins zu bewerben. Auf einen klassischen DDR-Plattenbau hat eine Berliner Wohnungsbaugesellschaft drei neue Etagen draufgesetzt. Nachverdichtung nennt man das. Ganz oben, im achten Stock, sortiert sich Geywitz vor den Kameras. "Wir müssen mit Blick auf den Klimawandel so bauen , dass nicht immer jede Generation mehr Flächen versiegelt", sagt sie und lobt dann die umweltfreundliche Holz-Hybridbauweise. Geywitz, 46, mit ihrem grauen Kurzhaarschnitt und der Hornbrille, redet, wie sie aussieht: zurückhaltend und zielorientiert. Mit der Berliner Bürgermeisterin schleicht sie anschließend wie auf Wohnungssuche durch die Zimmer und über den Balkon. Schon nett hier, der Blick geht weit über Dächer und Bäume.

Solche Dachaufstockungen zu erleichtern ist Teil ihres ambitionierten Maßnahmenpapiers. Mit einem Bündnis aus Verbänden der Bau - und Immobilienindustrie, Vertretern der Bundesländer, aber auch Umwelt- und Mieterverbänden hat sie 187 Maßnahmen erarbeitet, die das Bauen einfacher und günstiger machen sollen. Finanzielle Förderung, Bürokratieabbau, Digitalisierung: so soll die Gleichung aufgehen.

Denn auf deren anderer Seite steht die magische Zahl von jährlich 400 000 neuen Wohnungen. Die hat die Bundesregierung sich zum Ziel gesetzt. Aber je höher die Umweltauflagen und je niedriger Miete und Quadratmeterpreise, desto weniger lohnt es sich für die Immobilienbranche noch zu bauen . Zudem braut sich seit einem Jahr etwas zusammen, das die Gleichung noch unlösbarer erscheinen lässt.

Bis zum Sommer war das Problem für den Immobilienmanager Steffen Helbig noch weit entfernt: in der Ukraine, an den Rohstoffmärkten, irgendwo in der Zukunft. Aber im Juli fand er es plötzlich auf seinem Schreibtisch wieder. Helbig ist Chef der Wohnungsbaugesellschaft Berlin -Mitte (WBM), eines der sechs landeseignen Berliner Immobilienunternehmen. Sie sollen die bezahlbaren Wohnungen errichten, die in der Hauptstadt wie überall im Land dringend gebraucht werden. Nun aber erreichte Helbig die Nachricht, dass einer seiner Neubauten 10 Prozent teurer werden sollte - und das, obwohl alle Verträge längst unterzeichnet waren. So ein unerwarteter Kostensprung kann eine Planung zum Einsturz bringen.

Wie Helbig geht es gerade der gesamten Bau - und Immobilienbranche. Der Krieg in der Ukraine hat die Energiekosten in die Höhe schießen lassen. Auch die Baustoffpreise haben sich seit dem Sommer 2021 drastisch verteuert. Dazu die hohen Zinsen für Kredite. Wie soll man heute noch planen, wenn morgen alles nicht mehr gilt?

Nach den fetten vergangenen Jahren legen nun immer mehr Immobilienunternehmen ihre Projekte auf Eis. Laut einer Umfrage des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) unter seinen Mitgliedern werden in den kommenden zwei Jahren nur rund 55 Prozent der ursprünglich geplanten Projekte wirklich begonnen werden.

Für Ministerin Geywitz bedeutet das, dass ihre Aufgabe mit jedem Monat schwieriger wird. Im Jahr 2022 sind den Schätzungen nach nur noch etwa 280 000 neue Wohnungen entstanden. Für 2023 könne man froh sein, wenn es noch 200 000 werden, hört man aus der Branche. Das steht im krassen Missverhältnis zum Bedarf. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung fehlen in den Großstädten hierzulande jetzt schon rund 1,9 Millionen günstige Wohnungen. Im Moment sieht es also so aus, als würde die Neubautätigkeit in Deutschland bald in sich zusammenfallen - und mit ihr die Chance vieler Menschen, eine passende Wohnung zu finden, die sie sich leisten können.

Robert Wall empfängt den Besucher gut gelaunt auf seiner Baustelle in Berlin . Auf einem Areal so groß wie ein Häuserblock arbeiten etwa ein Dutzend Männer leise vor sich hin. Ein Kran lässt ganze Wände herab, die die Arbeiter dann an Eisenstäben in den Fußboden stecken. Lastwagen karren derweil neue Elemente an. Wall ist Manager beim Bauunternehmen Goldbeck, einer Branchengröße. Schon seit der Gründung bauen sie modular und seriell - zwei Schlagworte, die in den Plänen der Bauministerin eine große Rolle spielen. Das Fundament wird noch traditionell mit Beton gegossen. "Aber ab dem Erdgeschoss montieren wir circa 1000 Quadratmeter Rohbau pro Woche", sagt Wall. Die Fläche eines kleinen Mietshauses setzen seine Männer in nur einer Woche zusammen. "Verglichen dazu, wie man die letzten 100 Jahre gebaut hat, sind wir gut und gerne 30 Prozent schneller."

Meist montieren sie vor Ort nur einzelne Wände, aber teilweise auch ganze Bäder, die auf den Lastwagen durchs Land gefahren werden. Die Elemente fertigt das Unternehmen in riesigen Werkshallen vor. Das hat den Vorteil, dass Regen und Kälte die Arbeiten nicht aufhalten können.

Wall schwört auf die Methode. Ginge es nach ihm, würden Häuser nicht mehr wie Unikate gebaut. "Wenn wir jedes Auto immer einzeln planen und fertigen lassen würden, dann könnten sich die meisten Menschen keine Autos mehr leisten", sagt er. Denn Individualisierung treibt den Preis. Je öfter man etwas baut , desto günstiger wird es in der Regel. "Stellen Sie sich vor: Anstatt ein fertiges Auto zu kaufen, würden die Einzelteile dafür bei Ihnen im Garten zusammengeschraubt werden." Jedes Haus ein teurer Prototyp, ein Unternehmen plant es, und viele andere setzen die Teile zusammen. Wenn man Wall zuhört, fragt man sich hinterher, warum heute noch bei zu vielen Projekten das Haus neu erfunden werden muss.

Doch Krisen erhöhen den Druck zur Innovation. Viele in der Branche fangen an umzudenken. Neben der höheren Geschwindigkeit soll das modulare Bauen die Häuser günstiger machen, lautet das Versprechen. Für Geywitz ist es darum ein wichtiger Teil ihres Plans, um die Neubauzahlen zu steigern. Deshalb will sie auch erreichen, dass die Länder endlich ihre Bauordnungen vereinheitlichen und ermöglichen, dass die Bauteile nicht in jedem Bundesland einzeln genehmigt werden müssen.

Überhaupt ist die deutsche Bürokratie ein großes Hemmnis, das Geywitz und ihr Bündnis mindern wollen. Nicht nur die lange Bearbeitungszeit vieler Anträge wirft Bauvorhaben zurück. Die Bauunternehmen können ihre Häuser so digital und fortschrittlich planen, wie sie wollen, spätestens vor dem Weg ins Bauamt muss alles ausgedruckt werden. Um den Prozess zu beschleunigen, sollen die Länder nach dem Willen der Ministerin Bauanträge endlich digital und benutzerfreundlich gestalten und so das Verfahren abkürzen. Aber hier, so wie bei vielen ihrer 187 erarbeiteten Maßnahmen, kann sie die Bundesländer nur dazu anregen, beschließen und umsetzen müssen diese das selbst. Auf der letzten Sonder- Bauministerkonferenz Ende November haben die Länder lediglich bekundet, dass sie die Maßnahmen des Bündnispapiers grundsätzlich unterstützen und umsetzen wollen.

Weil es nicht vorangeht, schlägt die Immobilienbranche Anfang Dezember, nach einem Jahr schlechter Nachrichten, Alarm. Der Chef des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), Oliver Wittke, warnt gar vor massiven sozialen Verwerfungen, falls sich der Wohnungsmangel verschärfen sollte. Nicht das Bauministerium ist der Adressat dieses Appells, sondern der Rest der Regierung. Die Branche sieht, dass Geywitz die Probleme nicht allein lösen kann, und will, dass Kanzler Olaf Scholz den Wohnungsbau zur Chefsache erklärt. Eine gemeinsame Offensive des Kabinetts soll her.

Am nachhaltigsten hat der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck die Branche mit seinem Förder-Wirrwarr vergrätzt. Mit Milliarden wurde der Bau von besonders klimafreundlichen Gebäuden gefördert, bis Habeck das Programm in diesem Jahr plötzlich austrocknen und zugleich die für Fördermittel nötigen Standards anheben ließ.

Im neuen Jahr wird Geywitz für die Neubauförderung zuständig sein. Doch mehr als die eingeplanten 1,1 Milliarden Euro Fördermittel im Jahr hat auch sie erst einmal nicht zur Verfügung - geschweige denn knapp das Zehnfache, wie es die Baubranche gern hätte. Da müsse man sich in der Koalition noch einmal besprechen, auch wenn die Haushaltslage nach drei Jahren Dauerkrise insgesamt nicht rosig sei, sagt Sören Bartol, Parlamentarischer Staatssekretär im Bauministerium . Immerhin stünden in den nächsten vier Jahren 14,5 Milliarden Euro an Fördermitteln für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung. Die sollen helfen, die jährlich angestrebten 100 000 Sozialwohnungen zu bauen . Doch der Staatssekretär gesteht ein, dass es angesichts der hohen Baukosten und Zinsen trotzdem schwierig werden wird, Wohnungen für eine Quadratmetermiete von weniger als sieben Euro zu errichten - selbst für kommunale Wohnungsbaugesellschaften.

Außerhalb des sozialen Wohnungsbaus wird die Kalkulation nicht leichter: Wer dort Fördergelder bekommen will, muss so hohe energetische Anforderungen erfüllen, dass er dafür auch deutlich mehr ausgeben muss. "Natürlich steht das im Spannungsverhältnis zur Schaffung bezahlbarer Wohnungen", räumt Bartol ein. Eine Wärmepumpe sei nun einmal teurer als eine Gastherme. Aber die Klimaziele aufzuweichen sei keine Option. Das Soziale und den Klimaschutz müsse man einfach miteinander versöhnen. Nur wie?

Auch Bartol arbeitet sich an der geywitzschen Gleichung ab, für die das neue Bauministerium nach einem Jahr noch keine Lösung gefunden hat. Mit weniger als 400 000 Wohnungen rechnen - das kommt trotzdem nicht infrage.

Im Jahr 2022 sind den Schätzungen nach nur noch etwa 280 000 neue Wohnungen entstanden.

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