Für mindestens 777 Millionen Euro soll das Kanzleramt ausgebaut werden, die Vorarbeiten laufen - doch nun wächst in der Ampelkoalition der Widerstand.
Süddeutsche Zeitung vom 06.01.2023 von Gerog Ismar

Einsam steht er noch da im Kanzlergarten, der gelbe Bagger. Ein Arbeiter vermisst die Toreinfahrt, ein anderer schneidet die Efeuranken ab. In wenigen Tagen sollen hier die ersten großen Eichen fallen. Viele nehmen das eingemauerte und mit vielen Kameras gesicherte Areal an der Spree bisher kaum wahr. In direkter Nachbarschaft zum wohl schönsten Biergarten Berlins , dem Zollpackhof, soll es hier bald eine jahrelange Großbaustelle geben, die für einige in der Ampelkoalition so gar nicht in die Zeit passt.

Links der Spree liegt das klotzige Kanzleramt, schon heute kann man von dort über eine gut gesicherte Brücke über den Fluss rüber zum Kanzlergarten gehen. Bis 2028 soll hier ein rundförmiger Bau entstehen, der das sogenannte Band des Bundes architektonisch abschließen soll - mindestens 777 Millionen Euro sollen die Kosten betragen, so die jüngste Schätzung aus dem Kanzleramt.

Geht es etwa nach Sandra Weeser, dann sollte Kanzler Olaf Scholz (SPD) das Projekt noch stoppen. "Bundeskanzler Scholz sollte den umfangreichen und teuren Ausbau des Bundeskanzleramtes krisenbedingt auf Eis legen", sagt die Vorsitzende des Bauausschusses im Deutschen Bundestag im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Wir befinden uns in wirtschaftlichen Krisenzeiten. Das bekommen die Menschen täglich in unserem Land zu spüren, wo zuletzt viele Wohnträume aufgrund gestiegener Kosten geplatzt sind", betont die FDP-Politikerin. "Deshalb halte ich es für besonders wichtig, dass die Regierung mit gutem Beispiel vorangeht und prüft, welche Ausgaben derzeit wirklich notwendig sind."

Die Planungen gehen noch auf die Amtszeit von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zurück. Angesichts der aktuellen Lage wächst kurz vor dem Baubeginn in der Koalition der Unmut darüber, dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) das Projekt in vollem Umfang durchziehen will. Zuletzt war die Planung immer teurer geworden, zunächst war der Bau mit 600 Millionen Euro veranschlagt - unter anderem eine Tunnelerschließung, Überflutungsschutz, die Verwendung von wasserundurchlässigem Beton und ein 5G-Mobilfunkstandard schlagen mit erheblichen Mehrkosten zu Buche.

Mitnichten ein Protzbau, sagt die Regierung

Mit dem Erweiterungsbau sollen neue Büros entstehen, rund ein Drittel der 770 Beschäftigten des Kanzleramtes ist bisher extern untergebracht. Das Kanzleramt war nur auf 400 Mitarbeiter ausgelegt worden. Auch eine teure Kindertagesstätte und ein neuer Hubschrauberlandeplatz sind geplant, zudem ein abhörsicheres Gebäude für Mitarbeiter es Bundesnachrichtendienstes.

"Ich glaube, dass so eine lange vorbereitete Planung, die jetzt sehr weit fortgeschritten ist, auch zu Ende geführt werden muss", hatte Scholz im vergangenen Jahr im ZDF das Projekt verteidigt. Das Kanzleramt verweist auf Einsparungen, wenn Mieten für andere Liegenschaften nicht mehr zu zahlen sind. Durch den geplanten zügigen Baubeginn sollen zudem erwartete Kostensteigerungen im Bausektor gedämpft werden. Das sei mitnichten ein Protz- oder Luxusbau, wird von Regierungsseite immer wieder betont, zudem sollen Sicherheitsstandards im Zuge der Weltlage verbessert werden. Allerdings dürfte damit eine der größten Regierungszentralen weltweit entstehen.

In Fachkreisen wird gewarnt, dass die Kosten am Ende auf mehr als eine Milliarde Euro anwachsen könnten, wegen gestiegener Zinsen und Baukosten. "Grundsätzlich sollten wir darüber nachdenken, ob die in den letzten Jahren gewachsenen Doppelstrukturen zwischen Ministerien und Bundeskanzleramt für die Zukunft der richtige Aufbau sind", sagt die FDP- Bauexpertin Weeser. " Der Vorsatz von Bürokratieabbau in Deutschland sollte auch hier Vorbildfunktion haben. Das Kanzleramt sollte wieder zu seinen schlanken und schlagkräftigen Strukturen der Vor-Merkel-Zeit zurückfinden."

Allerdings hatten sich die Haushaltspolitiker im Herbst darauf geeinigt, dass der Ausbau durchgezogen werden soll. Der Neubau wird teurer als das eigentliche Kanzleramtsgebäude, das 2001 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bezogen wurde und den Spitznamen "Waschmaschine" bekam. Dieser Bau kostete der Regierung zufolge, hochgerechnet auf den Preisindex 2022, rund 540 Millionen Euro. Auch in der Union gibt es wachsende Kritik. "Die Entscheidung zum Ausbau des Bundeskanzleramtes war ursprünglich richtig. Heute sind wir aber in einer völlig anderen Lage", sagt der baupolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jan-Marco Luczak (CDU), auf SZ-Anfrage.

"In einer Zeit, wo viele Menschen und Unternehmen unter Energiepreisen und Inflation ächzen und oftmals um ihre Existenz fürchten müssen, wäre eine prachtvolle Erweiterung für bald eine Milliarde Euro ein völlig verfehltes politisches Signal." Einsparpotenziale seien zu wenig geprüft worden, meint Luczak. "Statt Prachtbauten wäre es besser, mehr Wohnungen

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