Der Bund will die Stadtautobahn A100 weiterbauen. Und verärgert damit Berliner Politik und Klimaschützer. Warum der Ausbau trotzdem eine gute Idee ist. Ein Kommentar.
Berliner Zeitung  vom 12.01.2023 von Jesko zu Dohna

Eins vorweg: Ich bin bei der Frage, ob die A100 – wie in den 1940er-Jahren von den Nazis geplant – einen geschlossenen Ring um die Hauptstadt bilden soll, befangen. Ich bin kein Nazi, aber ein leidenschaftlicher Autofahrer. Mein Wagen ist eine alte britische Limousine. Farbe: Aubergine mit Rallyestreifen, sechs Zylinder, 4,2 Liter Hubraum, 210 PS, Baujahr 1985. Und mein schöner Jaguar braucht sehr viel klimaschädliches Benzin, damit er sich überhaupt in Bewegung setzt.

Gleite ich mit ihm entspannt mit vorgeschriebenen 80 Stundenkilometern über die Stadtautobahn , schluckt der Wagen elf Liter Superbenzin. Stehe ich mit ihm im Stau oder im stockenden Verkehr , sind es weit mehr als 20 Liter auf 100 Kilometer. Sie als umweltbewusster Lastenfahrradfahrer werden mich jetzt natürlich verteufeln. Wie kann er nur? Ich verstehe Ihren Unmut, das Problem ist aber, meine kleine Rechnung ist das beste Argument für den umstrittenen Weiterbau der Stadtautobahn. Warum? Dazu später mehr.

Zankapfel A100: Geht es nach dem Bund, fahren hier spätestens 2035 (Elektro-)Autos.

Der rot-rot-grüne Berliner Senat hatte sich ja in seinem Koalitionsvertrag eigentlich schon gegen den Weiterbau der Stadtautobahn entschieden. Die SPD war lange dafür, beerdigte das Projekt aber den Grünen zuliebe. Die vielen Klima- und Umweltschützer in dieser Stadt konnten einen kleinen Sieg im ewigen Streit verbuchen. Nur jetzt kommt wieder ein bisschen Musik in die Sache, denn der Bund und seine Autobahn GmbH beauftragten kürzlich ein Ingenieurbüro damit, den 17. Bauabschnitt von 5,5 Kilometern zwischen Treptower Park und Storkower Straße doch noch bis 2035 für geplant 1,5 Milliarden fertig zu bauen . Das berichtete heute der Tagesspiegel.

Eine Schneise der Zerstörung für Umwelt und Klima? Nein Auch wenn noch nicht klar ist, ob der Bund mit seinem Vorstoß erfolgreich sein wird, so wird sich die Haltung des Senats vor den Wahlen in Berlin am 12. Februar wohl nicht mehr ändern. Die Grünen um Bettina Jarasch sind klar dagegen. Und die Berliner Linke erneuerte heute noch mal trotzig ihre Position: „Der 17. Bauabschnitt muss mit allen Mitteln gestoppt werden. Er wird ein Milliardengrab werden und eine Schneise der Umwelt- und Kiezzerstörung durch Ost- Berlin schlagen.“

Auch wenn sich diese markigen Worte ganz sinnvoll und progressiv anhören, sind sie trotzdem sachlich falsch, denn der Weiterbau der Stadtautobahn ist keine Klimasünde, sondern genau das Gegenteil, eine gute Sache für Berlin und die Bürger der größten deutschen Stadt. Und das Schöne an meiner steilen These ist, dass man für die Argumentation noch nicht einmal, wie bei Journalisten oft üblich, irgendwelche Begründungen konstruieren muss.

Radler-Protest gegen die Stadtautobahn auf der A100: Die spinnen die Demonstranten, findet unser Autor.

Man muss die Argumente der Gegner dieses kühnen Bauprojekts einfach rational in einem anderen Licht betrachten. Da ist zum Beispiel die Sache mit den klimaschädlichen Emissionen, die Autos, wie meine Rechnung oben zeigt, nun mal zweifelsohne ausstoßen. Das Problem ist nur, dass Autos, die auf viel zu engen Straßen in der Innenstadt im Stau oder im stockenden Verkehr stehen, statistisch viel mehr Emissionen ausstoßen.

Weniger CO2, weniger Stickoxide und weniger Ruß Laut dem wissenschaftlichen Dienst des Bundestages steigt der CO2-Ausstoß bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von weniger als 20 Kilometer pro Stunde exponentiell an. Fließt der Verkehr wie auf der Stadtautobahn üblich bei Geschwindigkeiten zwischen 60 und 80 Kilometer je Stunde, stoßen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor am wenigsten CO2 aus. Und das ist besser fürs Klima. Gleiten ist Trumpf.

Und auch sonst wäre eine Umleitung des Verkehrs auf die geplanten Abschnitte der Stadtautobahn für Fußgänger, Autofahrer und sogar für Radfahrer ein Segen. Denn neben Treibhausgasen würden gesundheitliche Stickoxid- und Rußemissionen dort verringert, wo sie heute am meisten Schaden anrichten. Im dicht besiedelten Innenstadtbereich. Dieselfahrverbote, Sie kennen das.

Und auch der leidenschaftliche Radler, der klimabewusst mehr oder weniger auf die Benutzung seines Kraftfahrzeuges in Berlin verzichtet, könnte durch den Ausbau zukünftig viel sicherer an sein Ziel gelangen. Warum? Weil Handwerker und Lkw-Fahrer, die lebenswichtige Dienstleistungen und Güter in die Innenstadt bringen, schnell und effizient ihren Job machen können. Und auch die alleinerziehende Mutter mit ihrem kleinen Daihatsu ist erleichtert, wenn sie künftig ein paar Minuten weniger zu Ikea am Stadtrand braucht.

Zufriedene Brummifahrer und weniger tote Radler Sie alle müssen sich zukünftig also weniger durch den immer verstopften Innenstadtverkehr quälen. Statistisch würde das, da lege ich mich jetzt schon fest, zu weniger tödlich verunglückten Radlern führen. Nicht nur durch die vermehrte Abwesenheit der tödlichen Sattelschlepper generell, sondern auch, weil viele Kraftfahrer in Zukunft vielleicht viel gelassener am Steuer sitzen würden und der lebensrettende Schulterblick so vielleicht ein paar Mal weniger vergessen werden würde.

Klimaautobahn oder Umweltkiller? Die Argumente für den Weiterbau sind rational und richtig, findet unser Autor.

Jetzt werden Sie zu Recht einwenden, dass es doch schon in ein paar Jahren gar keine Verbrenner auf Berlins Straßen mehr geben wird. Das stimmt natürlich. In ein paar Jahren wird es zwar noch viele Lkw mit Verbrennungsmotor, aber kaum noch solche Pkw geben. Das Problem ist nur, das Auto wird nicht aus der Stadt verschwinden, wie manche Stadträte der Grünen glauben. Es wird zukünftig halt nur durch einen Elektromotor angetrieben. Deswegen ist es auch ein vollkommen hirnrissiges Vorhaben der grünen Bezirksregierungen in Kreuzberg und Mitte, Parkplätze abzuschaffen. Der Tesla muss schließlich auch irgendwo abgestellt werden.

Und was für den Verbrenner gilt, gilt auch für den Tesla. Denn was Ruß und Stickoxide heute sind, wird zukünftig vom durch den Drehmoment der E-Autos erhöhten Reifenabrieb abgelöst. Umweltschützer und EU-Studien warnen schon jetzt: Der Reifenabrieb werde zukünftig für die Natur schädlicher sein als heute Auspuff-Abgase. 150.000 Tonnen Reifenabrieb und damit gesund- und umweltschädliches Mikroplastik gibt es schon jetzt jährlich in Deutschland.

Mehr Raum für E-Autos und die „Letzte Generation“ Das verdreckt die Stadt und wird bei Regen ins Grundwasser oder in Flüsse und Seen gespült. Und sorgt dort für großen Schaden. Umweltforscher fanden jüngst bei einer Untersuchung in der Arktis rund 14.000 winzige Kunststoffteilchen in einem Liter Schnee. Etwa zehn Prozent der durch den Verkehr ausgestoßenen Teile sind gar so klitzeklein, dass sie als krank machende Aerosole eingeatmet werden können. Und die sind auf der Bergmannstraße, da müssen Sie mir recht geben, viel schädlicher als auf der Stadtautobahn.

Und auch wenn die CDU in Berlin auch nicht dafür bekannt ist, dass sie diese Stadt besser regieren kann als Grüne, SPD, Linke oder die FDP, hat sich doch mit einer Sache recht. Der Ausbau der A100 ist weder ein „Milliardengrab“ noch eine Klimasünde, sondern eine, Zitat des CDU-Landesverbandes, „Klimaautobahn“. Ob das Kunstwort für Sie nach Greenwashing klingt oder nicht, müssen Sie entscheiden. Und ob Sie für oder gegen den Ausbau der A100 sind, natürlich auch. Am 12. Februar 2023 wird in Berlin schließlich ein neuer Senat gewählt.

PS: Und einen anderen Vorteil hätte der Ausbau der A100 auch noch. 5,5 weitere Kilometer Protestfläche für die Klimakleber der „Letzten Generation“. Eine Win-win-Situation sozusagen.

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