So planen die Berliner Grünen den Wohnungsbau
Tagesspiegel vom 15.01.2023 von Christian Latz
Um die Wohnungsnot trotz Klimakrise zu beheben, will Grünen- Stadtentwicklungspolitiker Julian Schwarze mehr in die Höhe bauen. Wo genau, erläutert er im Gespräch.
Herr Schwarze, der Leerstand in Berlin liegt bei 0,9 Prozent. Oft kommen hunderte Bewerber auf eine Wohnung, doch Ihre Fraktion lehnt die Bebauung der Elisabeth-Aue und von Späthsfelde mit tausenden Wohnungen ab. Wenn nicht alles gebaut wird, was geht, muss man dann nicht ehrlich sein und sagen: Stopp, Berlin ist voll?
Auch wir wollen bauen. Aber es geht darum, das zu bauen, was die Stadt braucht, nämlich bezahlbaren Wohnraum. Zugleich müssen wir wegen der Klimakrise Flächen optimal nutzen. Das heißt, nicht in die Breite, sondern in die Höhe gehen. Gerade bei unversiegelten Flächen wie der Elisabeth-Aue und Späthsfelde müssen wir daher flächenschonender werden.
Im Antrag Ihrer Fraktion heißt es, dass die Bebauungsplanung der Freiflächen zurückzunehmen ist. Machen Sie jetzt einen Rückzieher?
Ich gebe zu, dass dieser Satz missverständlich formuliert ist. Wir sind nicht dagegen, dass die Elisabeth-Aue entwickelt wird. Unser Ziel ist nicht, die Bautätigkeit einzustellen. Sie muss aber mehr mit ökologischen und sozialen Vorgaben verknüpft werden. Dazu zählen grüne Freiflächen und eine Widerstandsfähigkeit gegen die Folgen des Klimawandels.
Warum steht das nicht in Ihrem Antrag? Weil Sie selbst zuvor „keine Bebauung auf der grünen Wiese“ gefordert hatten?
Der Koalitionsvertrag nennt die Gebiete für eine mögliche Entwicklung und sagt zugleich, dass es neue Kriterien gibt, die dabei zu berücksichtigen sind. Das Ergebnis wollen wir in einem neuen Flächennutzungsplan für die Gebiete festhalten. Diesen Hintergrund haben wir mitgemeint, auch weil im Koalitionsvertrag dazu Aussagen getroffen worden sind. Das wird aus dem Antrag ehrlicherweise nicht deutlich.
Warum sollte Berlin auf das volle Wohnbaupotenzial dieser Flächen verzichten?
Die Stadt funktioniert nicht allein mit Wohngebäuden, sie ist ein Organismus. Wenn ich alles zubaue, gibt es keine Frischluftschneisen mehr in Hitzesommern. Die Stadt kann sich nicht mehr abkühlen. Wenn wir keine Grünflächen mitplanen, haben wir ein Problem. Der Klimawandel ist in vollem Gange. Die Stadt so umzubauen, dass sie bei immer heißer werdenden Tagen auch für ältere Menschen oder Kinder noch gut bewohnbar ist, ist die größte Herausforderung, vor der wir stehen.
Wie wollen Sie diesen Konflikt zwischen zunehmender Flächenversiegelung und einer wachsenden Bevölkerung auflösen?
Natürlich gibt es Zielkonflikte. Aber es kann nicht sein, dass SPD und CDU als erstes den Klimaschutz über Bord werfen, sobald es um Wohnungsbau geht. Wir Grünen wollen beides miteinander vereinbaren. Aber dafür müssen wir über den Tellerrand einer einzelnen Fläche hinausschauen. Das bedeutet, genau zu gucken: Wo entwickeln wir Bauten und wo nutzen wir Freiflächen bewusst, um Stadtnatur und Frischluftschneisen zu erhalten.
Bitte konkreter.
Um den Wohnungsbestand zu erhöhen ist es besser, eine versiegelte Fläche zu bebauen, etwa einen Parkplatz, und eine unversiegelte Fläche zu erhalten. So schaffen wir Neubau, der auch noch einen ökologischen Mehrwert bringt.
Wären unter dieser Maßgabe Wohnungsbaupotenziale von 5000 Wohnungen auf der Elisabeth-Aue und 3000 in Späthsfelde noch realistisch?
Wir haben in der Koalition vereinbart zu analysieren, was auf den Flächen möglich ist. Dann wird es ein Abwägungsprozess, was davon auch im Hinblick auf eine möglichst niedrige Versiegelung und künftige Stadtentwicklung sinnvoll ist. Nur möglichst hohe Wohnungszahlen in den Raum zu stellen, führt noch nicht zu mehr Wohnungen in den nächsten Jahren. Das ist eine Scheindebatte.
Warum?
Weil das Problem, dass wir aktuell keinen bezahlbaren Wohnraum haben, dadurch nicht gelöst wird. Die Elisabeth-Aue oder Späthsfelde würden doch so oder so in den nächsten zehn Jahren nicht bebaut. Wenn wir kurzfristig Wohnraum brauchen, müssen wir den Fokus auf andere Vorhaben legen.
Welche sollen das sein?
Es geht zum einen um Nachverdichtung im Bestand und auf versiegelten Flächen. Aber auch um die Projekte, die schon viel weiter in der Planung vorangeschritten sind, wo aber Senator Geisel leider nicht vorankommt. Ein Beispiel ist das Schumacher-Quartier. Da müssten wir ran. Das gilt auch für über 60.000 bereits genehmigte, aber bisher nicht gebaute Wohnungen. Stattdessen reden wir darüber, was in zehn oder 15 Jahren vielleicht an Wohnungen entstehen könnte.
Was läuft beim Schumacher-Quartier falsch?
Die Gründe für die Verzögerungen erschließen sich uns auch nicht. Wenn wir in Neubauquartieren Flächen versiegeln, müssen wir noch ein oder zwei Geschosse zusätzlich draufsetzen. Das würde etliche Wohnungen mehr schaffen, ohne zusätzliche Flächen zu versiegeln. Die Möglichkeit dazu gäbe es aktuell im Bebauungsplanverfahren noch. Da vermisse ich Vorschläge von Herrn Geisel.
Sie wollen auch im Zentrum nachverdichten. Wo soll das geschehen?
Es gibt etliche eingeschossige Supermärkte und deren Parkplätze. Da reden wir von zehntausenden möglichen Wohnungen. So würden wir die Flächen nutzen, die schon versiegelt und oft auch gut erschlossen sind. Auch der Rückbau der Autobahnen A103 und A104 bietet riesige Potenziale. Zudem haben wir hunderttausende Dachgeschosse. Der Verband Haus und Grund hat ermittelt, dass dort 80.000 Wohnungen entstehen könnten. Selbst wenn es nur die Hälfte ist, wäre es das Doppelte von dem, was sich Berlin für den Neubau jährlich als Ziel gesetzt hat – aber nicht erreicht. Giffey und Geisel setzen falsche Prioritäten.
Viele dieser Häuser und Flächen sind jedoch nicht in Landeshand. Wie wollen Sie sicherstellen, dass trotzdem genug Sozialwohnungen entstehen?
Wir haben mit dem Modell der kooperativen Baulandentwicklung in Berlin gute Erfahrungen gemacht, um bezahlbare Wohnungen zu schaffen. Wenn es darum geht, Baurecht auch für mehr Stockwerke zu ermöglichen, müssen wir über Anreize nachdenken. Fürs Aufstocken könnte es eine Förderung vom Land geben – wenn dort auch Sozialwohnungen entstehen.
Andere Parteien argumentieren, mit möglichst viel zusätzlichem Neubau, also mehr Angebot, ließen sich die Mieten senken.
Das ist viel zu einfach gedacht. Wir haben eine Nachfrage für bezahlbaren Wohnraum, aber genauso eine Nachfrage für Luxusimmobilien. Wenn ich ein Penthouse baue, entspannt das nicht den Wohnungsmarkt, weil sich die Mehrheit der Menschen das nicht leisten kann. Wir müssen eben auch im bezahlbaren Segment bauen – und vor allem den noch bezahlbaren Wohnungsbestand schützen. Was dort verloren geht, können wir in dieser Größe niemals neu bauen.
Im Beschluss Ihrer Fraktion heißt es, dass auch in Einfamilienhaussiedlungen mehr in die Höhe gebaut werden soll. Hat das Eigenheim in Berlin ausgedient?
Wir wollen nicht bestehende Einfamilienhäuser umbauen. Aber dort wo freie Flächen sind, keine neuen errichten. Wir müssen die Flächen besser nutzen. Da sind Einfamilienhäuser nicht zeitgemäß. Wenn Boden versiegelt wird, macht es mehr Sinn, mehrgeschossig zu bauen und so mehr Platz für Menschen zu schaffen, die Wohnraum suchen.
Franziska Giffey wirft Ihnen „Zukunftsverweigerung“ vor. Wollen Sie Berlin, wie es ist, nur für die Menschen konservieren, die heute schon hier leben?
Im Gegenteil! Wer wie die SPD ständig den Klimaschutz vergisst, ist zukunftsvergessen. Wir sind dabei, die Stadt für die Zukunft fit zu machen: Etwa bei der Verkehrswende, wo wir den öffentlichen Raum neu aufteilen, oder bei der Stadtentwicklung, wo wir uns an dem Bedarf der Menschen orientieren und dem Klimawandel gerecht werden. Das ist radikal zukunftsorientiert.
Und das ist Ihr Koalitionspartner SPD nicht?
Die SPD lenkt vom eigentlichen Problem ab. Die Bautätigkeit ist komplett eingebrochen. Die Wohnungsbauziele der Koalition werden von Bausenator Geisel nicht erreicht. Schuld daran hat die SPD.
Wollen Sie das Stadtentwicklungsressort beim nächsten Mal für Ihre Partei beanspruchen?
Ich halte nichts davon, Ressort zu verteilen, bevor die Wahlen überhaupt stattgefunden haben. Wir haben uns als Koalition auf eine Verteilung der Zuständigkeiten geeinigt. Zu der stehen wir. Aber der Fokus muss endlich auf dem kurzfristig umsetzbaren, bezahlbaren Wohnraum liegen.