Erst hatte sie keine Kompetenzen, dann kam auch noch Pech dazu: Die Bemühungen von Bauministerin Klara Geywitz (SPD), für mehr bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, wirken verzweifelt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.01.2023 von Matthias Alexander

Man kann nicht sagen, dass die Zeitläufte es gut meinten mit Klara Geywitz. Seit knapp vierzehn Monaten führt die Sozialdemokratin jetzt das Bundesbauministerium, das erstmals seit zwanzig Jahren wieder als eigenständiges Ressort innerhalb des Kabinetts etabliert wurde. Die Ampelkoalition wollte damit die Bedeutung des Themas Wohnraumschaffung hervorheben. Bis zum Überdruss wurde propagiert, es sollten 400 000 Wohnungen im Jahr errichtet werden, davon 100 000 Sozialwohnungen. Doch dann machte ein Doppelschlag die ohnehin schon überambitionierten Pläne endgültig zunichte: Die inflationsgetriebene geldpolitische Wende der Notenbanken sorgte für eine Vervierfachung der Bauzinsen. Und der Ausbruch des Ukrainekriegs hat die Preise für Baumaterialien noch einmal dramatisch in die Höhe schnellen lassen. Der Neubau einer Wohnung kostet in Großstädten inzwischen durchschnittlich 4900 Euro je Quadratmeter.

Während Klara Geywitz noch bis Dezember trotzig auf ihrer Zielvorgabe beharrte, reagierte der Markt auf die veränderten Rahmenbedingungen im neuen Deutschlandtempo. Neubauprojekte wurden massenhaft abgesagt. Es blieb den Akteuren auch wenig anderes übrig: Wollen Wohnungsgesellschaften nicht draufzahlen, müssten sie ihre Neubauten inzwischen für zwanzig Euro im Monat vermieten. Das ist zumindest für die Unternehmen der öffentlichen Hand politisch nicht vermittelbar; und es überfordert die meisten Mietinteressenten finanziell. Der städtische Frankfurter Wohnungskonzern ABG Holding etwa hat aus diesem Grund alle Projekte gestoppt, mit deren Bau noch nicht begonnen worden war. Und die Vonovia sieht sich sogar gezwungen, 67 000 Wohnungen zu verkaufen, weil die Zinslast für den größten privaten Wohnungskonzern erdrückend geworden ist.

Für Bauträger , die ihre Häuser und Wohnungen an Private verkaufen, stellt sich die Entwicklung noch dramatischer dar. Die Banken verweigern ihnen Kredite, die sie brauchen, um die Projekte vorzufinanzieren. Die Geldinstitute tun das nicht willkürlich, sondern weil die Bauträger keine verlässliche Auskunft geben können, wie hoch die Baukosten am Ende liegen und ob sie angesichts des Mangels an Handwerkern und Materialien die Fertigstellungstermine halten können. Auch bei den potentiellen Käufern schauen die Banken inzwischen genauer hin: Die Anforderungen an die Höhe des Eigenkapitals und an die Bonität sind bei der Vergabe von Immobilienkrediten deutlich gestiegen.

Es trifft längst die gut verdienende Mittelschicht: Der Darmstädter Landtagsabgeordnete Björn Kaffenberger, ein Parteifreund von Geywitz, berichtete im Sommer davon, dass er seinen lang gehegten Traum vom Eigenheim innerhalb kurzer Zeit aufgegeben habe. Selbst im Fall von jungen Beamten, die mit etwas weniger als zwanzig Prozent Eigenkapital operieren wollen, senken Banken inzwischen den Daumen.

Kein Wunder, dass von den versprochenen 400 000 neuen Wohnungen im Jahr nicht annähernd die Rede sein kann. Endgültige Zahlen liegen für 2022 noch nicht vor, aber es steht zu erwarten, dass es nicht einmal 300 000 sein werden. Für dieses Jahr ist mit einem weiteren Rückgang auf etwa 200 000 Wohnungen zu rechnen. Die Zahl der je nach Rechenweise zwischen 700 000 und 1,9 Millionen Wohnungen, die jetzt schon fehlen, wird weiter steigen.

Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, ob es eine gute Idee von Kanzler Olaf Scholz war, das Ressort Bauen derart ins Schaufenster zu stellen und ostentativ auf einem Gebiet Verantwortung zu übernehmen, auf dem der Einfluss des Bundes begrenzt ist. Geywitz aber lässt sich nicht so schnell entmutigen. Sie hat jetzt die Hoffnung geäußert, dass die magische Marke im Jahr 2025 - also im Wahljahr - erreicht werde. Woher sie den Optimismus nimmt, ist ihr Geheimnis. Dass bis dahin eine Zinswende helfen könnte, ist unwahrscheinlich, nach den jüngsten Äußerungen von EZB-Präsidentin Christine Lagarde ist eher mit dem Gegenteil zu rechnen.

Die Vorschläge, mit denen Geywitz für mehr Bautätigkeit sorgen möchte, werden in der Branche als unrealistisch, abwegig oder gar als lächerlich empfunden. Die Hoffnung der Ministerin , mithilfe von seriellem und modularem Bauen (für das es, anders, als vielfach zu lesen ist, ansehnliche Beispiele gibt) die Kosten nennenswert zu senken, hat sich dort, wo es erprobt worden ist, nicht bewahrheitet; am Ende muss jedes Projekt doch an die Bedingungen des jeweiligen Grundstücks angepasst werden. Es ist sicherlich nicht falsch, mehr Geld in die Bauforschung zu stecken; bis aber Drohnen eines Tages tatsächlich Fassaden streichen können, wie es sich die Ministerin neulich ausmalte, wird es noch eine Weile dauern. Geywitz hat zwar recht, wenn sie feststellt, dass auf vielen Baustellen gearbeitet wird wie vor dreißig Jahren; doch woher nimmt sie die Hoffnung, dass die Baubranche durch Digitalisierung ihrer Prozesse und den Einsatz von Robotern schon bald günstiger bauen könnte?

Man darf die Vorschläge - insgesamt 187 Maßnahmen hat Geywitz von den Teilnehmern des Bündnisses bezahlbarer Wohnraum zusammentragen lassen - wohl als Ausdruck von Verzweiflung werten. Hier muss eine Ministerin ihre politische Existenz rechtfertigen. Zwar stehen im Etat des Bundes etwa zwölf Milliarden Euro an Fördermitteln bereit. Doch über den Großteil davon verfügt das Wirtschafts- und Klimaschutzministerium von Robert Habeck. Der Grünen-Politiker hat mit einer abrupten Kehrtwende dafür gesorgt, dass der Löwenanteil künftig für die energetische Sanierung von Bestandsbauten reserviert ist. Für Neubauten bleibt etwas mehr als eine Milliarde Euro übrig. Die Zuständigkeit für diesen kleinen Rest ist mit dem Jahreswechsel auf das Bauministerium übergegangen. Unlängst hat Geywitz mitgeteilt, wie sie das Geld zu verteilen gedenkt: 750 Millionen Euro sind für das Förderprogramm "Klimafreundlicher Neubau" vorgesehen, 350 Millionen Euro gibt es für die Wohneigentumsförderung für Familien mit geringem Einkommen. Das ist weniger als ein Tröpfchen auf den heißen Stein.

Die Wahrheit ist unangenehm, nicht nur Geywitz beugt sich den Tabus: Damit die Fertigstellungszahlen nennenswert steigen, müsste die Bundespolitik nicht viele kleine Maßnahmen auflisten, sondern mindestens einen Wumms loslassen. Entweder wird ein hoher zweistelliger Milliardenbetrag zur Subventionierung des Mietwohnungsbaus zur Verfügung gestellt (unlängst haben verschiedene Verbände eine Summe von fünfzig Milliarden Euro ins Spiel gebracht), oder die weitverbreiteten Mietbremsen werden abgeschafft, oder die extrem hohen energetischen Vorgaben für Neubauten, die zu einem Technikoverkill führen, werden zurückgeschraubt. Doch egal welchen Schrank mit den starken Mitteln Geywitz öffnen wollte, mindestens ein Partner der Ampelkoalition würde ihr in den Arm fallen.

Damit, dass es auf der Nachfrageseite zu einer Entspannung kommt, ist nicht zu rechnen. Dafür müsste die Zuwanderung, ohne die die Bevölkerung in Deutschland inzwischen schrumpfen würde, begrenzt werden. Sollte der Ukrainekrieg nicht den erhofften Verlauf nehmen, wird der Druck auf den Wohnungsmarkt vielmehr weiter steigen. In jedem Fall wird er sich wie bisher auf die Ballungsräume konzentrieren; wenig deutet darauf hin, dass sich die im Zuge der Corona-Pandemie gestiegene Attraktivität des platten Landes für bestimmte Berufsgruppen zu einer großen Umzugswelle auswachsen könnte.

Die Lage auf dem Wohnungsmarkt der großen Städte bleibt auf absehbare Zeit düster, zumindest für diejenigen, die sich eine neue Bleibe suchen müssen. Privilegiert sind die Bestandsmieter, die dank staatlicher Gesetzgebung und kommunaler Satzungen vor hohen Mietsteigerungen verschont bleiben. Es wird auf die politischen Akteure in den Kommunen ankommen, ob sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten für Bauaktivität sorgen. Eine wirtschaftlich gesunde Wohnungsgesellschaft an der Hand zu haben ist eine Grundvoraussetzung dafür. Diejenigen Kommunalpolitiker, die es ernst meinen, erkennt man daran, dass sie nicht das Märchen nacherzählen, wonach dem Wohnungsmangel allein mit Aufstockung, Umbauten und sonstiger Nachverdichtung abzuhelfen wäre, sondern den Mut aufbringen, neues Bauland auszuweisen.

Geywitz bleibt die Rolle des Wohnungsbau-Maskottchens. Am meisten könnte sie den Oberbürgermeistern und Planungsdezernenten helfen, indem sie eine Erhöhung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau durchsetzte. Im Übrigen bleibt zu wünschen, dass sie ihr kleines Haus nicht zum mittleren Palast ausbaut. Dann fiele es leichter, es zur neuen Legislaturperiode wieder zu schließen.

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