Neubauten sind so teuer wie noch nie. Die Politik wirft der Bauindustrie überzogene Preise vor. Die kontert - und legt ihre Kalkulation offen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 02.02.2023 von Julia Löhr

Die Preise für den Bau von Wohngebäuden kennen derzeit nur eine Richtung: steil nach oben. Um 16,4 Prozent ging es 2022 nach oben, meldete das Statistische Bundesamt am Mittwoch. Es handele sich um die höchste gemessene Veränderung gegenüber einem Vorjahr seit Beginn der Erhebung im Jahr 1958. Stabstahl war demnach im Schnitt 40,4 Prozent teurer, die Preise für Betonstahlmatten stiegen um 38,1 Prozent. Flachglas für Fenster, Glastüren und Glaswände verteuerte sich sogar um 49,3 Prozent.

Das teure Baumaterial und die gestiegenen Zinsen für Immobilienkredite führen dazu, dass viele Wohnungsunternehmen derzeit den Neubau zurückfahren. Laut einer Umfrage des Verbands der Wohnungswirtschaft GdW wird jede dritte ursprünglich für dieses Jahr geplante Neubauwohnung nicht mehr gebaut. Marktführer Vonovia will in diesem Jahr sogar gar keine Projekte beginnen. Für Objekte, die früher für zwölf Euro Kaltmiete je Quadratmeter angeboten worden seien, müsse man jetzt beinahe 20 Euro aufrufen, heißt es aus dem Unternehmen. Dies können aber nur wenige Menschen bezahlen.

Dass die Mieten und Kaufpreise für Neubauten schwindelerregende Höhen erreicht haben, bleibt auch der Politik nicht verborgen. Die sieht dafür vor allem die Unternehmen selbst in der Verantwortung. " Bauunternehmen sollten sich darauf einstellen, jetzt mehr Wohnungen zu planen, die nicht darauf ausgerichtet sind, beispielsweise für 18 Euro den Quadratmeter vermietet oder für mehr als 10 000 Euro pro Quadratmeter verkauft zu werden", ließ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kürzlich im Gespräch mit dem Berliner "Tagesspiegel" wissen. Die Unternehmen müssten für die Mehrheit der Bürger bauen . "Da ist in Deutschland über Jahrzehnte etwas schiefgelaufen."

Aber geht das überhaupt noch, für weniger als 18 Euro Kaltmiete je Quadratmeter zu bauen ? Der Verband der Bauindustrie hat nachgerechnet und kommt zu dem Schluss: nein. Im städtischen Geschosswohnungsbau schlage schon der Grundstückspreis mit durchschnittlich 600 Euro je Quadratmeter Mietfläche zu Buche. Hinzu kommen 150 Euro für die Erschließung, 300 Euro für Planungs- und Genehmigungsverfahren, 3000 Euro Baukosten sowie 225 Euro Finanzierungskosten nur für die Bauzeit , heißt es in einer Aufstellung, die der F.A.Z. vorliegt. Die Durchschnittskosten summieren sich auf 4275 Euro je Quadratmeter Mietfläche.

Bei einer angestrebten Rendite von 4 Prozent ergibt sich nach Angaben des Verbandes eine Kaltmiete von 14,25 Euro je Quadratmeter. Viele Kommunen geben heute allerdings bei Bauvorhaben vor, dass ein bestimmter Anteil der Wohnungen günstig vermietet werden muss, in der Regel zu 6,50 Euro je Quadratmeter. Bei 30 Prozent Wohnungen zu diesem Preis müssen laut Bauindustrie die übrigen Wohnungen für 17,57 Euro vermietet werden, bei einem Anteil von 40 Prozent sogar für 19,41 Euro.

"Dass Neubauwohnungen heute 18 Euro Kaltmiete je Quadratmeter kosten, liegt nicht an uns, sondern an den gestiegenen Kosten und den politischen Rahmenbedingungen", sagt Marcus Becker, Vizepräsident des Bauindustrieverbands Ost und Geschäftsführer des Bauunternehmens Kondor Wessels. "Wenn der Kanzler sinngemäß sagt, die Bauindustrie solle sich doch mal am Riemen reißen, wundert mich das schon sehr." In seiner Kalkulation seien Kosten für das Pflanzen von Bäumen an anderer Stelle, die Umsiedlung von Tierarten und Kosten für die Schaffung von Infrastruktur noch nicht einmal eingerechnet. "Für einen Schulplatz werden schnell mal 50 000 Euro pro Wohnung fällig. So verhindert man auch günstiges Bauen ."

Angesichts der steigenden Preise und der sinkenden Neubauzahlen wird der Ton zwischen Politik und Wohnungswirtschaft zunehmend rauer. Die Aufforderung von Bauministerin Klara Geywitz (SPD), die Branche solle ihre Produktivität steigern, mehr mit vorgefertigten Teilen und Robotern bauen , dann könne auch mehr gebaut werden, wurde in der Branche mit Erstaunen aufgenommen. "Das Problem ist derzeit sicher nicht der Fachkräftemangel", sagt Marcus Becker. "Die ersten Betriebe machen mangels Aufträgen schon Kurzarbeit."

Geywitz' Parlamentarische Staatssekretärin Cansel Kiziltepe (SPD) forderte am Mittwoch, Vonovia solle seine Dividendenzahlungen an Aktionäre einstellen und das Geld für den Neubau verwenden. Auch der stellvertretende Bundesvorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen -Agrar-Umwelt, Harald Schaum, will den Neubaustopp nicht hinnehmen. "Es wird höchste Zeit, dass der Bund bei Vonovia einsteigt. Er muss einen Anteil von 25 Prozent plus eine Aktie erwerben", forderte er. Geywitz will im März Pläne zur Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus vorlegen und dafür bei Investoren werben.

Jede zweite Familie will umziehen
Der Durchschnittshaushalt in Deutschland lebt 11,8 Jahre in derselben Wohnung. Im vergangenen Jahr zahlte er für diese im Mittel 7,90 Euro kalt je Quadratmeter, warm 10,46 Euro. Das geht aus einer Umfrage unter 2200 Mietern im Auftrag des Gesamtverbands der Wohnungswirtschaft (GdW) hervor, die am Mittwoch veröffentlicht wurde. 37 Prozent der Mieter würden demnach gerne in eine andere Wohnung umziehen. Von den Familien möchte jede zweite umziehen. Hauptkritikpunkte an der bisherigen Wohnung sind Größe und Schnitt. Mehr als ein Viertel der Befragten gab an, einsam zu sein. In puncto Nachhaltigkeit konstatiert der Verband "eine große Lücke". Das Bewusstsein der Mieter für Klimaschutz wachse zwar. "Das, was dafür investiert werden muss, ist aber deutlich teurer als die Heizkostenersparnis", sagte Verbandspräsident Axel Gedaschko. Er forderte mehr staatliche Fördermittel für Sanierungen. Auch müssten Mieter besser als bislang von günstig mit Solaranlagen erzeugtem Strom in einem Quartier profitieren.

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