Bauakademie : Pflicht zur Rekonstruktion?
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 03.02.2023 von Matthias Alexander

Man stelle sich einmal vor, ein Architektenwettbewerb wird ausgelobt, und niemand bewirbt sich, weil auf der zu überplanenden Brache in prominentester Lage einst das Meisterwerk eines Genies stand, mit dem sich niemand in einer Art interepochalem Wettstreit messen möchte, schließlich kann man den nur verlieren. Der Architekt, der eine solche Demut entwickelt, müsste allerdings erst noch geboren werden. Und so fänden sich jederzeit mehr als genug Kandidaten, die sich zutrauen, im Zentrum Berlins den Nachfolgebau von Karl Friedrich Schinkels Bauakademie nach eigenen Gestaltungsideen zu errichten.

Noch ist offen, ob es so weit kommt. Guido Spars, Gründungsdirektor des Bauherrn , der Bundesstiftung Bauakademie , befürwortet allerdings ausdrücklich einen Neubau in zeitgenössischer Gestalt. Gerade das wäre im Geist Schinkels, so geht seine Pointe. Gegen diesen Kniff einer gewissermaßen abstrahierten Erbfolge hat sich massiver Widerspruch erhoben, unter anderem vom Förderverein der Bauakademie , der auf einen zumindest äußerlich originalgetreuen Nachbau des Schinkel- Baus beharrt, wie er lange Zeit als ausgemacht gegolten hatte.

Die Hoffnung des Vereins, in den Gremien von Bund und Land Berlin seien die Mehrheiten pro Rekonstruktion stabil, scheint zu schwinden. Jedenfalls hat er bei Wolfgang Hertel, Partner in der Berliner Anwaltskanzlei Raue, ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, in dem es um die Frage geht, ob die Bundesstiftung verpflichtet ist, die historische Fassade wiederherzustellen, oder ob sie in dieser Frage Gestaltungsfreiheit besitzt.

Das Gutachten, das der F.A.Z. vorliegt, kommt zu dem Ergebnis, dass eine Pflicht zur Rekonstruktion gegeben sei. Es leitet sie im Wesentlichen aus der Präambel der Stiftungssatzung ab, in der es heißt: " Der Deutsche Bundestag hat die Wiedererrichtung der von Karl Friedrich Schinkel erbauten Bauakademie beschlossen." Mit dem Begriff "Wiederrichtung" kann nach Ansicht des Gutachters nur das von Schinkel errichtete Gebäude und nicht die Institution gemeint sein, denn die Akademie hat es schon zuvor gegeben. Als weiteres Argument führt Hertel an, dass die Festsetzungen im Bebauungsplan erkennbar auf ein Gebäude nach historischem Vorbild zielten. Er kommt zu dem Schluss, dass die Stiftungsaufsicht gegen einen Neubau einschreiten dürfe, da er den Stiftungswillen nicht berücksichtige.

Eine gewisse Vorsicht ist der Einschätzung Hertels mit Blick auf die stiftungsrechtlichen Konsequenzen anzumerken. Und auch den Ableitungen aus dem Wort "Wiedererrichtung" fehlt die letzte Überzeugungskraft. Das liegt daran, dass es sich nicht um einen originär juristischen Begriff handelt, der Gesetzgeber spricht in derartigen Fällen eher von "Neuerrichtung eines gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle" oder kurz von "Ersatzneubau". Mit der Frage, was unter "Wiedererrichtung" zu verstehen ist, befindet man sich demnach weniger auf rechtlichem Terrain, sondern auf dem Feld der Philologie.

Auf einer "Auslegungsfrage" will die Berliner Bauverwaltung ihre Strategie für das Projekt Bauakademie nach Angaben eines Sprechers nicht aufbauen. Derzeit sind Senator Andreas Geisel und Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt in Gesprächen mit der Bundesstiftung und dem Bundesbauministerium über den Auslobungstext für den Architektenwettbewerb , der im Frühjahr veröffentlicht werden soll. Geisel und Kahlfeldt, die für Berlin im Stiftungsrat sitzt, wollen den Teilnehmern vorgeben, "so viel Schinkel wie möglich" vorzusehen, vor allem mit Blick auf die Fassade.

Darüber, in welcher Atmosphäre die Gespräche stattfinden, lässt sich nur spekulieren. Geisels Sprecher ist bemüht, kein Öl ins Feuer zu gießen. Noch im Sommer hatten Geisel und Kahlfeldt der Bundesstiftung ihre Folterwerkzeuge vorgeführt und den Erlass einer Gestaltungsverordnung für das Areal der Bauakademie angekündigt, um eine Rekonstruktion verbindlich festzulegen. Im Rathaus war zuvor mit Verstimmung registriert worden, wie Stiftungsvorstand Spars massiv Stimmung gegen einen Schinkel-Nachbau machte. Jetzt heißt es, man habe den Erlass einer Gestaltungsverordnung nie betrieben.

Wie sich das Bundesbauministerium positioniert, ist offen; der zuständige Staatssekretär Sören Bartol hat eine Festlegung ausdrücklich verweigert. Darüber, ob Diplomatie oder Desinteresse dahintersteckt, sind sich Beobachter nicht einig. Zunächst steht ohnehin die Berliner Abgeordnetenhauswahl an, die zu Veränderungen an der Spitze der Bauverwaltung führen könnte. In gewisser Weise steht also auch Schinkel zur Wahl.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Internet: www.faz.net