Bei der Diskussion der Morgenpost mit den sechs Berliner Spitzenkandidaten werden die Differenzen der Parteien deutlich.
Berliner Morgenpost vom 03.02.2023 von Joachim Fahrun

Das Gespenst der Enteignung verfolgt Franziska Giffey. Nicht nur am Donnerstagabend bei der großen Diskussionsrunde vor 270 Leserinnen und Lesern der Berliner Morgenpost im Zoo Palast musste Berlins Regierende Bürgermeisterin ihren Umgang mit dem Volksentscheid von 2021 zur Enteignung großer privater Wohnungskonzerne erklären.

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Die SPD-Politikerin sorgte für einen humoristischen Höhepunkt der zweieinhalb Stunden. Sie sei an einem wahlkampffreien Abend mit ihrem Sohn schwimmen gewesen, erzählte Giffey. Da sei ein Mann neben ihr aufgetaucht. „Enteignungen, juhu“, habe der gerufen. Ehe es zu einem Gespräch kommen konnte, sei er aber auf der anderen Bahn verschwunden.

Berlin Wahl 2023: Evergreens I

Debatte unter dem Eindruck frischer Umfrageergebnisse

Enteignungen, Wohnungsbau, Mieterschutz, die Silvesterkrawalle und die Verkehrspolitik mit dem speziellen Schwerpunkt Friedrichstraße diskutierten die sechs Politiker mit Moderator Hajo Schumacher, der zu Beginn zu bedenken gab, dass es vielleicht doch ganz gut sei, wenn man jetzt seine Wahlentscheidung von vor anderthalb Jahren noch einmal überprüfen könne. „Bei einem Toaster haben Sie ja auch ein Jahr Umtauschrecht.“

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Zehn Tage vor der Wahl stand die Debatte unter dem Eindruck frischer Umfrageergebnisse. CDU-Chef Kai Wegner war nach den 25 Prozent fürseine Partei im ARD Deutschlandtrend oben auf, die Grüne Bettina Jarasch nach Verlusten unter Druck, und auch Franziska Giffey schien angespornt von der Aussicht, die Grünen doch noch von Platz zwei verdrängen zu können. Klaus Lederers Linke, die AfD von Kristin Brinker und die FDP mit Sebastian Czaja folgen auf den Plätzen.

Abgeordnetenwatch

Wegner ging die Sozialdemokratin beim Thema Enteignungen hart an. Sie spreche immer von Kooperation mit privaten Investoren, wie passten Enteignungen dazu, fragte Wegner: „Wie ist ihre Haltung, meine ist klar.“

Giffey weicht beim Thema Enteignungen aus

Giffey verwies auf die 59 Prozent, die dem Volksentscheid zugestimmt hatten. Man habe eine Expertenkommission eingesetzt, werde genau abwägen, was für Berlin der richtige Weg sei, sagte die SPD-Landeschefin. Es sei wichtig, dass Berlin nicht wie beim Mietendeckel vor dem Verfassungsgericht scheitere. Die Kommission werde der Politik die Entscheidung nicht abnehmen. „Ich persönlich glaube nicht, dass dieses Instrument geeignet ist unser Wohnungsproblem zu lösen.“ Und sie fügte an: „Ich würde mir wünschen, dass wir einen Weg finden, der nicht heißt, wir enteignen.“

FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja, dessen Partei die Demoskopen bei sechs Prozent sehen, setzte nach. „Die Frage ist immer noch nicht geklärt.“ Man müsse „spitz zuhören, ob es ihre persönliche Haltung ist oder die der SPD“, so der FDP-Fraktionsvorsitzende. Man müsse aber wissen, was man mit Giffey bekomme. „Es muss Schluss sein mit diesen Enttäuschungen.“

Die Grüne Jarasch machte Druck von der anderen Seite. Die Expertenkommission habe gesagt, verfassungsrechtlich seien Enteignungen möglich. „Damit sind wir beim Wie“, stellte die Verkehrs - und Umweltsenatorin fest. Giffeys zweiter aktueller Koalitionspartner Klaus Lederer sieht die Sache eindeutig. „Häuser gehören nicht an die Börse“, gab der Kultursenator die Position seiner Linken wieder.

Wegner und Czaja warnten jedoch, die Enteignungsdebatte halte Unternehmen davon ab, in Berlin Wohnungen zu errichten. Und dass es beim Wohnungsbau nicht vorangehe war ein Hauptkritikpunkt an der Regierenden Bürgermeisterin.

Wegner: Senat verfehlt Wohnungsbauziele seit Jahren

Die Mietenkrise sei nur mit Neubau und einem erweiterten Wohnungsangebot zu lösen, sagte AfD-Chefin Kristin Brinker. Neben den landeseigenen Gesellschaften müssten auch private Investoren aktiv sein für diejenigen, die sich auch höhere Mieten leisten könnten. Die Betriebskosten müssten durch einen breiteren Energiemix gesenkt werden, zu dem auch die Kernenergie zählen solle.

„Der Senat hat die Wohnungsbauziele seit Jahren nicht eingehalten“, sagte CDU-Landeschef Wegner. Die Politik mit ihren schleppenden Genehmigungsverfahren sei ein „Preistreiber“, weil jeder Monat Geld koste. „Wir müssen den Neubaumotor anschmeißen und die soziale Wohnbauförderung ausweiten“, verlangte der Christdemokrat. In Berlin gebe es eine Million Wohnberechtigungsscheine und nur noch 97.000 Sozialwohnungen.

Giffey konterte: In Bayern habe Ministerpräsident Markus Söder (CSU) seine Wohnungsbauziele um 90 Prozent verfehlt, sie in Berlin habe ihre zu 80 Prozent erfüllt. Jarasch griff Wegner an, der einen funktionierenden Mieterschutz forderte. Alle Instrumente, um Mieter zu schützen, habe die CDU mit dem damaligen Bundestagsabgeordneten Wegner in der letzten Wahlperiode „durchlöchert“: Die Mietpreisbremse könnte viel schärfer sein.

Jarasch: Historische Mitte fußgängerfreundlich umbauen

Bettina Jarasch musste auch nach zahlreichen Rufen aus dem Publikum ihr viel kritisiertes Vorgehen an der Friedrichstraße erklären, die sie nach einer kurzen Öffnung wieder für den Autoverkehr gesperrt hat. „Ich habe das gemacht, was ich von Anfang an gesagt habe“, so die Grünen-Bürgermeisterkandidatin. Man habe den Verkehrsversuch ausgewertet, verzichte nun auf den Fahrradstreifen und gestatte dem Lieferverkehr die Querung.

„Wir wollen ganze historische Mitte fußgängerfreundlich umbauen“, kündigte die Senatorin an. Die Friedrichstraße habe als Geschäftsstraße seit Jahren ein Problem. Darum brauche es dort einen „modernen, attraktiven Stadtraum“, wie ihn andere Metropolen auch schafften. „Die Friedrichstraße hat diese Chance verdient, die hat sie erst jetzt“, sagte Jarasch unter Buh-Rufen aus dem Publikum. „Sie wollen mit dem Kopf durch die Wand“, kommentierte das der CDU-Mann Kai Wegner.

Lederer: Nicht um 500 Meter Straße in Mitte streiten

Klaus Lederer wandte ein, dass es wohl schlecht um die Berliner Verkehrspolitik stehe, wenn man sich so ausdauernd um 500 Meter Straße in Mitte streite. Dabei gehe es um ganz andere Probleme, die die Koalition mit dreistelligen Millioneninvestitionen in neue Busse und Bahnen und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs anpacke.

Viele Klagen auf dem Podium und aus dem Parkett drehten sich darum, warum es in vielen Bereichen nicht schneller vorangehe, ob beim Wohnungsbau, der Verkehrspolitik, der Schulsanierung oder der Ausstattung der Polizei. Bettina Jarasch warnte, wer verspreche, dass man angesichts von Fachkräftemangel und Preissteigerungen „alles mal so hinkriegen“ werde, der erzähle etwas Falsches. „Ich wünsche mir mehr Seriosität“, so die Grünen-Politikerin. Das regte die AfD-Frau Brinker auf: „Wenn die Koalition die letzten Wahlen seriös vorbereitet hätten, säßen wir jetzt nicht hier.“

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