Senat geht von 52.000 Einheiten auf Gebäuden aus. Das halten Experten für zu viel
Berliner Morgenpost vom 09.02.2023 von Isabell Jürgens

Bauland in Berlin ist knapp und teuer, die Flächenversiegelung für Neubauten ist zudem ökologisch problematisch. Als ein Ausweg gilt da die Aufstockung von Wohnhäusern. Nach einer aktuellen Wohnungsbau-Analyse bieten Berlins Dächer allerdings lediglich ein Potenzial für 7000 bis 8000 neue Wohnungen – viel weniger als bislang angenommen.

Eine Erhebung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung aus dem Jahr 2016 war von deutlich höheren Zahlen ausgegangen. Allein in den Gebäuden, die in der Gründerzeit und in den 1920er- und 1930er-Jahren errichtet wurden, könnten demnach knapp 52.000 Wohnungen durch Dachgeschossausbau oder Aufstockung geschaffen werden. Die Differenz zu der am Mittwoch veröffentlichten Analyse ergibt sich aus der Untersuchungsmethodik, die vor allem auf eine schnelle Bebaubarkeit zielt.

Der größte Unterschied: Die Senatsverwaltung hat in ihre Berechnung auch die Bebauung ganzer Häuserzeilen integriert, für die ein Bebauungsplan aufgestellt werden muss. Die Bearbeitungszeit eines B-Planes liegt aktuell bei 7,6 Jahren. Für die Berechnung des Aufstockungspotenzials hatten die Experten der Unternehmen Syte, Probis, PriceHubble und Liwood zunächst mithilfe der KI-basierten Grundstückssuche von Syte Bestandsgebäude mit Flachdach und gering geneigtem Dach identifiziert, die ein oder mehr Geschosse weniger als ihre Nachbarbebauung aufweisen. „Hier kann in der Regel nach § 34 Baugesetzbuch gebaut werden, dadurch entfällt ein langwieriger Planungsprozess “, sagt Moritz Koppe, Geschäftsführer von Probis.

Neukölln hat das größte Dächer-Potenzial

Ebenfalls mit Blick auf schnelles Baurecht wurden nur Gebäude betrachtet, die auf Grundstücken mit Wohn- oder gemischter Nutzung liegen. Zudem durften sie nicht mehr als sieben Geschosse besitzen, um bei einer Aufstockung nicht unter die Hochhausrichtlinie zu fallen. Gebäude, bei denen der Fußboden mindestens eines Aufenthaltsraumes mehr als 22 Meter über der festgelegten Geländeoberfläche liegt, benötigen etwa einen zweiten baulichen Rettungsweg. In die Analyse flossen Kataster-, Satelliten und Lidardaten (Light Detection and Ranging, eine Fernerkundungstechnik mit Laserlicht) ein. Auch reine Dachgeschossausbauten wurden nicht erfasst.

Das Aufstockungspotenzial in Berlin beträgt demnach zwischen 430.000 und 510.000 Quadratmeter Geschossfläche. Das entspricht 350.000 bis 410.000 Quadratmeter vermietbarer Wohnfläche, beziehungsweise 7000 bis 8000 Wohnungen mit einer Wohnfläche von je 50 Quadratmetern.

Die größten Potenziale bieten die Bezirke Neukölln (bis zu 1167 Wohnungen), Tempelhof-Schöneberg (bis zu 906 Wohnungen) und Pankow (bis zu 834 Wohnungen). Am geringsten sind die Aufstockungsmöglichkeiten in Treptow-Köpenick (bis zu 285 Wohnungen) und Marzahn-Hellersdorf (bis zu 77 Wohnungen).

Auch wenn nach diesen Ausschlusskriterien deutlich weniger Wohnungen auf Bestandsgebäuden entstehen könnten, halten die Analysten ihre Zahlen für nicht unerheblich: „Unsere Analyse zeigt, dass Nachverdichtung durch Aufstockung einen signifikanten Beitrag zur Ausweitung des Wohnungsangebots in Berlin leisten kann“, sagt Matthias Zühlke, Gründer von Syte.

Auch wenn das Potenzial auf schnell bebaubaren Dächern bei Weitem nicht reicht, um das vom Senat gesetzte Ziel von 100.000 zusätzlichen Wohnungen bis 2026 zu erreichen, leisten sie dennoch einen Beitrag. Von den rund 16.000 Wohnungen, die in den vergangenen Jahren im Durchschnitt fertiggestellt wurden, waren jährlich etwa 500 bis 600 Dachgeschossausbauten und -aufstockungen, wie die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mitteilte. Durch die Überbauung von Supermärkten entstanden im Durchschnitt der letzten sechs Jahre zudem zwischen 500 bis 750 Wohnungen.

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