Bei CDU und SPD verhandeln nicht nur Politiker
Tagesspiegel vom 14.03.2023 von Robert Kiesel

Um Inhalte und Formulierungen streiten, Kompromisse ausloten: Seit Montag verhandeln knapp 230 Vertreter von CDU und SPD in 13 Arbeitsgruppen die Details des Koalitionsvertrags. Auffällig: In den Arbeitsgruppen finden sich viele Verhandler, die nicht hauptberuflich in der Politik tätig sind und für Verbände und Unternehmen arbeiten. Sitzt die Lobby mit am Tisch?

Der Verdacht trifft vor allem die CDU. Mit Tanja Böhm hat sie eine Vertreterin des US-Konzerns Microsoft ausgerechnet jene Fachgruppe entsandt, die Konzepte für die Digitalisierung der Verwaltung erarbeiten soll. Ein lukrativer Markt für Microsoft, dessen Berliner Büro die seit 12 Jahren für den Konzern tätige Böhm leitet.

Böhm sei aktuell in einem Sabbatical und kehre erst im August in ihren Job zurück, sagte ein CDU-Sprecher am Montagnachmittag. Wenige Stunden später gab er den Austritt Böhms aus der Verhandlungsgruppe bekannt. Diskussionen über ihre Person sollten die Verhandlungen nicht überschatten, hieß es.

Zuvor hatte der Sprecher versichert, dass alle Verhandler der CDU ihr Wissen „ausschließlich auf ehrenamtlicher Basis einbringen. Es fließen keinerlei Positionen von Verbänden, Einrichtungen oder Unternehmen ein.“

Selbiges gilt demnach auch für Delia Strunz. Die früher beim Pharmakonzern Astra Zeneca angestellte Strunz arbeitet aktuell als Director Government Affairs & Policy Germany im Berliner Büro des GesundheitskonzernsJohnson & Johnson - und sitzt für die CDU in der Fachgruppe Gesundheit und Pflege.

Hinzu kommt mit Markus Voigt der Präsident des Vereins der Berliner Kaufleute und Industrieller, einer Wirtschaftsorganisation. Manja Schreiner, Vize-Chefin der Berliner CDU und Mitglied der Dachgruppe, ist Hauptgeschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau. Sie leitet für die CDU die Fachgruppe Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen.
Im Bereich Inneres und Justiz gehört Kerstin Philipp für die CDU zur Arbeitsgruppe. Philipp ist stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sitzt aber angeblich als Mitglied des sozialpolitischen Flügels der CDU mit in der Runde.

Anteil externer Experten „eher ungewöhnlich“

Für die SPD verhandelt der Kanzler der Technischen Universität, Lars Oeverdieck, in der AG Wissenschaft und Forschung. Stephanie Molthagen-Schnöring, Vizepräsidentin der Hochschule für Technik und Wirtschaft, verhandelt ebenfalls für die SPD. Christian Oestmann, hauptberuflich Untergebener von Innensenatorin Iris Spranger und Leiter der Abteilung 1 für Staats- und Verwaltungsrecht, ist Mitglied des SPD-Teams für Inneres und Justiz - laut Partei als Landeschef der AG sozialdemokratischer Juristen.

Sabine Kropp, Politik-Professorin an der Freien Universität Berlin , hält den Anteil externer Experten in den Fachgruppen für „eher ungewöhnlich“. Den Parteien sei es offenbar nicht gelungen, genügend Fachpolitiker aufzubieten. „Ich verstehe die Vorgehensweise als Bemühen um Zustimmung der betroffenen Kreise. Relevante Akteure werden vorab eingebunden, um Widerstände in der Umsetzung vorab zu reduzieren.“ Dennoch seien die Parteien gut beraten, den Einfluss kleinteiliger Interessen zu kontrollieren, mahnte Kropp. Nicht zuletzt könnten Konzernvertreter Dinge erfahren, von denen ihre Unternehmen später indirekt profitieren könnten.

Timo Lange von der Organisation Lobby Control sieht es kritisch, „dass einige Interessensvertretungen direkt mit am Verhandlungstisch sitzen.“ Zwar sei es völlig in Ordnung, wenn sich Parteien auch während der Koalitionsverhandlungen Expertise einholen. „Die Verhandlungen selbst sollten aber von Politikern durchgeführt werden. Durch den direkten Zugang zu Verhandlungen können sich sonst Einzelinteressen besonders positionieren und durchsetzen.“

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