CDU und SPD stellen die Weichen für eine neue Mobilitätspolitik. Die Tram zum Potsdamer Platz könnte unter die Räder kommen. Auto- und U-Bahnnutzer profitieren.
Berliner Zeitung vom 03.04.2023 von Peter Neumann

Dass der Verkehr ein wichtiges Thema für die neue Große Koalition in Berlin ist, wurde während der Pressekonferenz der CDU und SPD am Montag rasch deutlich. Kai Wegner, künftiger Regierender Bürgermeister, rief die Mobilität gleich als erstes Sachthema auf. „Es war uns wichtig, einen Koalitionsvertrag für alle Berliner zu schreiben", so der CDU-Politiker. Es gehe nicht mehr um Gegeneinander, sondern um Miteinander auf den Straßen. „Wir setzen auf die Mobilitätswende. Aber nicht mit Verboten, sondern mit Angeboten.“ Auch Menschen, die Auto fahren, werden ihren Platz haben. Dann machten Kai Wegner und Franziska Giffey (SPD) klar, was das konkret bedeutet. Auch der neue Koalitionsvertrag gibt Aufschluss. Was dort steht, wird noch zu Debatten führen.

Neuer Kurs: „Wir haben uns darauf verständigt, auf das Gute aus den letzten Jahren aufzubauen“, sagte SPD-Fraktionschef Raed Saleh mit Blick auf Rot-Grün-Rot. Doch einiges werde sich bis 2026 ändern, hieß es. Zwar sollen neue Radwege angelegt und bestehende saniert werden, betonte Wegner. Die neue große Koalition bekräftigte auch, den öffentlichen Verkehr auszubauen – vor allem die U-Bahn. Aber: „Wir wollen alle in den Blick nehmen, damit Mobilität funktioniert.“ Es werde „nicht ideologisch, sondern lösungsorientiert und pragmatisch“ vorgegangen. Giffey sagte, es ist ein „Vertrag, der zusammenführt“. Zentrum und Außenbezirke würden nicht gegeneinander ausgespielt.

Nahverkehr als Klimaschutz: Bis zu zehn Milliarden Euro – mit Hilfe des geplanten Klima- Sondervermögen will die Große Koalition massiv in Berlin investieren. „Damit zeigen wir, dass wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen“, so Franziska Giffey. „Dazu gehört der Ausbau des öffentlichen Verkehrs , gehört der Ausbau des Strecken- und Schienennetzes.“ Auch mehr Ladeinfrastruktur für Elektroautos, ergänzte Kai Wegner.

Massiver Ausbau des U-Bahnnetzes: Die Grünen wollten lieber bestehende U-Bahnanlagen sanieren als neue bauen. Dagegen betonen CDU und SPD das Thema Ausbau stärker. „Wir werden die bereits begonnenen U-Bahn- Planungen zur Netzerweiterung fortsetzen: U2 bis Pankow Kirche, U3 bis Mexikoplatz, U7 zum Flughafen BER sowie bis Heerstraße Nord sowie U8 bis Märkisches Viertel“, steht im Koalitionsvertrag auf Seite 58. „Geprüft werden sollen darüber hinaus die Verlängerungen: U2 nach Französisch Buchholz sowie nach Falkenhagener Feld, U3 nach Falkenberg sowie nach Düppel bis zur Stammbahn, U6 nach Lichtenrade, U8 über Wilhelmsruher Damm bis zur Bezirksgrenze Pankow, U9 nach Lankwitz und nach Pankow-Kirche, U10 vom Alexanderplatz über Weißensee und Malchow nach Buch sowie U11 vom Alexanderplatz nach Marzahn.“

Das 29-Euro-Aboticket für Berlin soll schnellstmöglich wiederkehren Neue Straßenbahnstrecken bauen : Das Projekt, die Linie M10 über den Hauptbahnhof hinaus zur Turmstraße in Moabit zu verlängern, soll vollendet werden. Es ist allerdings ohnehin auf der Zielgeraden, im Juni 2023 sollen die ersten Bahnen fahren. Auch die Straßenbahnverbindung zum Ostkreuz steht auf der Liste. Geplante Eröffnung: 2026. Für folgende Neubauprojekte strebt die Koalition an, Planfeststellungsverfahren einzuleiten: für die neue Streckenführung in Mahlsdorf (Linie 62), Turmstraße-Jungfernheide (M5, M8, M10), Weißensee–Heinersdorf–Bahnhof Pankow (12) sowie von Jungfernheide zur Urban Tech Republic (Ex-Flughafen Tegel) zum Wohngebiet Schumacher Quartier.

Andere Straßenbahnprojekte überprüfen: Alarmierend findet Tramfans eine weitere Formulierung auf Seite 58 des Vertrags. „Folgende Straßenbahnplanungen wollen wir überprüfen: Alexanderplatz–Potsdamer Platz, Warschauer Straße–Hermannplatz (M10) sowie die Verlängerung nach Blankenburger Süden (M2)“. Es handelt sich um Vorhaben, die immer wieder zu Streit führen. So würde die Strecke zum Potsdamer Platz nach den bisherigen Planungen zur Folge haben, dass der Autoverkehr in der Leipziger Straße eingeschränkt wird. In Blankenburg protestieren Anwohner. Droht den drei Vorhaben das Aus? Die Formulierung bedeute, dass sie überprüft werden, erklärte CDU-Generalsekretär Stefan Evers. „Das Ergebnis kann nicht vorweggenommen werden.“

Weitere Tramprojekte auf der Kippe? Die bisherigen Senatsplanungen für den Straßenbahnausbau könnten auch an anderen Stellen gestutzt werden – insbesondere im Westen der Stadt. Die Koalition will die Realisierbarkeit folgender Straßenbahnstrecken prüfen: Spandau I und II, Spittelmarkt–Mehringdamm , Warschauer Straße–Ostbahnhof, Potsdamer Platz–Zoologischer Garten, Rathaus Pankow–Wollankstraße–Prinzenallee–Osloer Straße sowie Potsdam–Krampnitz–Heerstraße.

29-Euro-Ticket fortsetzen: Nicht mehr lange, dann wird es das Abo-Ticket, mit dem man in Berlin für 29 Euro im Monat Bus und Bahn fahren kann, nicht mehr geben. Doch das Angebot soll „schnellstmöglich“ wieder aufgenommen werden, bekräftigte Franziska Giffey am Montag. „Wir sind uns darin einig, dass wir es fortsetzen wollen“, so Kai Wegner. Sobald sich Ende April der neue Senat konstituiert hat, werde man mit Brandenburg sprechen. Dort sieht man das Ticket kritisch, weil es dazu geführt hat, dass Stammkunden nach Berlin abwanderten. Dass das Ticket den Landeshaushalt inklusive Folgekosten bis zu 470 Millionen Euro pro Jahr belasten könnte, blieb unerwähnt. Das 9-Euro-Sozialticket bleibt. Ebenfalls in Abstimmung mit dem Verkehrsverbund VBB wird geprüft, ob eine Ausweitung des Tarifbereichs Berlin B auf den ersten Bahnhof außerhalb des Stadtgebiets dazu beitragen kann, den Autoverkehr zu verringern.

Mobilitätsgesetz ändern: Die Koalition will ein Gesetz, das 2018 ein zentrales Projekt von Rot-Grün-Rot war, „im Sinne einer angebotsorientierten Mobilität weiterentwickeln“. Es gehe insbesondere „um ein besseres Miteinander der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer und die Beachtung örtlicher Gegebenheiten“, heißt es im Vertrag. Kai Wegner machte deutlich, dass es insbesondere um Radverkehrsanlagen gehen wird. Was dort geschehen sei, hätten viele Berliner nicht verstanden, kritisierte der CDU-Politiker. Es gehe nicht um Ideologie oder „Kopf durch die Wand“, auch nicht darum, in ganz Berlin dieselbe Schablone anzulegen. „Wir wollen nicht gegen den Willen von Anwohnern 2,30 Meter breite Radwege anlegen, die niemand nutzt“, so Wegner.

Kein Wort über die vom Bund geplante Autobahn A100 nach Lichtenberg Streitfall Autobahn A100 bleibt ausgespart: „Den Bau des bereits weitgehend fertiggestellten 16. Bauabschnitts der A100 von Neukölln nach Treptow wollen wir abschließen“, heißt es im neuen Koalitionsvertrag. Die neue Autobahn von Neukölln soll Ende 2024 dem Verkehr übergeben werden. „Vor der Inbetriebnahme setzen wir uns für die Implementierung eines umfassenden Verkehrskonzepts für die Umgebung, einschließlich der Sonnenallee, ein, sodass negative Auswirkungen für die Anliegerinnen und Anlieger minimiert werden.“ Über den umstrittenen 17. Bauabschnitt , der die Autobahn nach Friedrichshain und Lichtenberg führen soll, steht im Vertrag kein Wort.

Wie geht es weiter mit der Friedrichstraße? Dass der seit Januar vom grün regierten Bezirk Mitte gesperrte Abschnitt wieder für Kraftfahrzeuge geöffnet wird, lässt sich der neuen Koalitionsvereinbarung nicht entnehmen. Aber: „Das aktuelle Erscheinungsbild der Friedrichstraße ist nicht akzeptabel. Es wird gemeinsam mit Anwohnerinnen und Anwohnern sowie mit Gewerbetreibenden ergebnisoffen an Lösungen für Verkehrsführung und Stadtraumgestaltung gearbeitet, die die Entwicklung der Berliner Mitte zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor in den Blick nimmt, die Aufenthaltsqualität erhöht und einer modernen europäischen Metropole gerecht wird. Dafür werden wir einen städtebaulichen Masterplan entwickeln.“

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