Nach 25 Tagen liegt die Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD vor. Das sind die wichtigsten Punkte für die nächsten Jahre
Morgenpost vom 04.04.2023 von Isabell Jürgens

Sieben Wochen nach der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl haben CDU und SPD ihren 135-Seiten starken Koalitionsvertrag vorgestellt. Er ist in voller Länge unter https://spd.berlin /koav/ zu finden. Das sind die wichtigsten Punkte:

Milliarden für den Klimaschutz

CDU und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag ein Milliardenprogramm für den Klimaschutz vereinbart. Berlin wird ein Sondervermögen „Klimaschutz, Resilienz und Transformation“ mit einem Volumen von zunächst fünf Milliarden Euro schaffen. Darüber hinaus ist die Koalition bereit, Ende 2024 weitere bis zu fünf Milliarden Euro diesem Sondervermögen zuzuführen. „CDU und SPD sehen die Bewältigung der Klimakrise als eines der drängendsten Themen unserer Zeit“, heißt es im Vertrag.

Mit Mitteln aus dem Sondervermögen sollen etwa Sonder-Sanierungsprogramme oder die Ausweitung bestehender Programme für öffentliche Gebäude und Zweckbauten (z. B. Schul-, Verwaltungsgebäude-,Polizei-/Feuerwehrgebäudesanierungen, Krankenhäuser) gezahlt und die klimaneutrale Quartiersentwicklung unterstützt werden. Die Fördermittel für die energetische Sanierung von Wohngebäuden sollen ebenfalls aufgestockt werden.

Neben Sanierungen der Gebäudehüllen sollen insbesondere beschleunigte Investitionen in eine klimaneutrale Gebäudeenergieversorgung ermöglicht werden. „Dezentrale Energieerzeugung (Solarenergie, Geothermie, Wärmepumpen) und Fernwärmeversorgung aus erneuerbaren Energien müssen die fossilen Energiekonzepte ablösen“, heißt das vereinbarte Ziel. Der Kohleausstieg in Berlin soll beschleunigt und die Transformation des Gassektors zum Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur gefördert werden.

Aus dem Sondervermögen Klimaschutz sollen auch Investitionen in eine nachhaltige Verkehrsinfrastruktur und die Umstellung auf alternative Antriebskonzepte gezahlt werden. Dazu gehören der Ausbau des schienengebundenen Nahverkehrs, die Verbesserung der Angebotsqualität und Attraktivität des ÖPNV, insbesondere hinsichtlich der Anbindung der Außenbezirke, und der Ausbau der Ladeinfrastruktur. Zudem sollen öffentliche Fahrzeugflotten auf alternative Antriebskonzepte umgestellt und Investitionen in Fuß- und Radverkehr finanziert werden. Erklärtes Ziel ist es, „die Mittel aus dem Sondervermögen noch im Jahr 2023 wirksam werden zu lassen“.

Klimaschutz soll darüber hinaus als Staatsziel in der Berliner Verfassung verankert werden. Die 0,5 Prozent der Landesfläche, die mit dem „Wind-an-Land-Gesetz“ bis 2032 ausgewiesen werden müssen, wird die Koalition mit einem beschleunigten Planungs - und Genehmigungsverfahren auch für innerstädtische Kleinwindanlagen auf hohen Gebäuden zeitlich ambitioniert ermöglichen.

Die Stadtwerke sollen bei öffentlichen Bauprojekten unterstützen, PV-Anlagen zu installieren und zu betreiben. CDU und SPD haben ferner ein Sofortprogramm für 10.000 klimaresiliente Stadt- und Straßenbäume verabredet und das langfristige Ziel vereinbart, den Bestand von Straßenbäumen auf 500.000 anzuheben.

Mobilität und Verkehr

CDU und SPD haben den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und die Zusammenarbeit mit dem Bund und dem Land Brandenburg vereinbart. „Dazu gehören S- und U-Bahn-Linien ebenso wie die Straßenbahn, mit denen wir vor allem auch in den Außenbezirken das Mobilitätsangebot verbessern wollen“, heißt es.

Konkret sollen die folgenden S-Bahn-Netzerweiterungen fortgeführt werden: Siemensbahn Jungfernheide-Gartenfeld; S75 von Wartenberg über Malchow bis zur Sellheimbrücke. „Ebenso wollen wir den Nahverkehrsplan so anpassen, dass die S75 schnellstmöglich wieder bis zum Westkreuz und mindestens im 20-Minuten-Takt über die Stadtbahn geführt wird“.

Die begonnenen U-Bahn- Planungen zur Netzerweiterung sollen fortgesetzt werden: U2 bis Pankow Kirche, U3 bis Mexikoplatz (mit Anschluss zur S-Bahn), U7 zum Flughafen BER sowie bis Heerstraße Nord und U8 bis Märkisches Viertel.

Geprüft werden sollen auch die Verlängerungen: U2 nach Französisch Buchholz sowie nach Falkenhagener Feld, U3 nach Falkenberg sowie nach Düppel bis zur Stammbahn, U6 nach Lichtenrade, U8 über Wilhelmsruher Damm bis zur Bezirksgrenze Pankow, U9 nach Lankwitz und nach Pankow-Kirche, U10 vom Alexanderplatz über Weißensee und Malchow nach Buch sowie U11 vom Alexanderplatz nach Marzahn.

Auch der Bau von Straßenbahnstrecken soll vorangetrieben werden. Die Straßenbahn-Anbindung des Ostkreuzes und die Strecke Hauptbahnhof–Turmstraße sollen vollendet werden. Die folgenden Aus- und Neubauprojekte sind geplant: Mahlsdorf (62), Turmstraße-Jungfernheide (M5, M8, M10), Weißensee (Pasedagplatz)–Heinersdorf–S-Bhf. Pankow (12), Jungfernheide–Urban Tech Republic–Schumacher Quartier.

Konkret soll mit einem u nbefristeten 29-Euro-Ticket für alle und einem Sozialticket für 9 Euro der ÖPNV als klimafreundliches Fortbewegungsmittel attraktiver gemacht werden. „Wir streben dabei eine Lösung unter dem Dach des VBB an“, heißt es dazu. Ebenfalls in Abstimmung mit dem Verkehrsverbund Berlin -Brandenburg (VBB) soll eine Ausweitung des Tarifbereichs B auf den ersten Bahnhof außerhalb des Stadtgebiets zur Verringerung von Pendlerverkehr auf der Straße geprüft werden. Im Rahmen eines länderübergreifenden Konzepts sollen Park-&-Ride und Bike-&-Ride-Stellplätze am Stadtrand und vor den Toren Berlins ausgebaut werden: „Wir wollen perspektivisch mehr als 10.000 Abstellplätze für Kraftfahrzeuge und Fahrräder schaffen.

Die Koalition priorisiert, welche Radverkehrsprojekte aus dem Radverkehrsplan sie in dieser Legislaturperiode umsetzt. Bestehende Radwege sollen saniert und sichere Radspuren eingerichtet werden.

Bauen und Stadtentwicklung

Am Neubauziel von durchschnittlich 20.000 Wohnungen, davon 5000 Sozialwohnungen pro Jahr soll trotz der verschlechterten Rahmenbedingungen festgehalten werden. Von den neu zu errichtenden Wohnungen soll ein Anteil von rund 6500 Wohneinheiten pro Jahr auf die Landeseigenen Wohnungsgesellschaften (LWU) entfallen. Die wirtschaftliche Situation der LWU soll dafür verbessert werden, um eine zukünftige Schieflage zu verhindern. Ein Schneller- bauen -Gesetz, die Entschlackung der Bauordnung oder die Stärkung der Förderung sollen das Bauen beschleunigen.

Die Entwicklung der neuen Stadtquartiere für Berlin soll beschleunigt werden. Zur Beschleunigung der Quartiersentwicklung am Pankower Tor soll spätestens im ersten Quartal 2024 ein städtebaulicher Rahmenvertrag abgeschlossen werden. Für eine mögliche Randbebauung des Tempelhofer Feldes soll ein internationaler städtebaulicher Wettbewerb Ideen liefern. Der schrittweise Rückbau der A104 soll umgesetzt werden. Die Überbauung der A100 in bestimmten Abschnitten soll geprüft werden. Über die Zukunft der Friedrichstraße soll gemeinsam mit Anwohnern und Gewerbetreibenden verhandelt werden.

Wohnen und Mieten

Durch eine strategische Ankaufspolitik soll der kommunale Wohnungs- und Bodenbestand kontinuierlich erhöht werden. Das Ziel ist es, die öffentlichen Wohnungsbestände von unter 400.000 perspektivisch auf 500.000 Wohnungen zu erhöhen und gemeinsam mit den rund 200.000 Wohnungen der Genossenschaften annähernd 50 Prozent der Berliner Mietwohnungen in das gemeinwohlorientierte Segment zu bringen.

Die kostenfreie Mieterberatung in den Bezirken soll verstetigt und bei Bedarf verstärkt werden. Ein digitales Mieten- und Wohnungskataster auf Landesebene soll die Mietenentwicklung transparent machen. Die Koalition will eine Prüfstelle zur Einhaltung der Mietpreisbremse einrichten. Ferner soll ein Gewerbemietspiegel über eine Bundesratsinitiative und die Verbesserung eines angemessenen Kündigungsschutzes geprüft werden. Die Bezirke sollen bei der Einrichtung weiterer Milieuschutzgebiete unterstützt werden.

Unter der Voraussetzung, dass die vom Senat eingesetzte Expertenkommission zur Umsetzung des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ eine verfassungskonforme Vergesellschaftungsempfehlung abgibt, verabschiedet die Koalition ein Vergesellschaftungsrahmengesetz. Das Gesetz soll zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft treten.

Moderne Verwaltung

Auch die seit Langem geforderte Modernisierung der Berliner Verwaltung wollen CDU und SPD mit einer Verwaltungsreform voranbringen. Dabei geht es im Kern um die Neuordnung der Aufgabenverteilung und Zusammenarbeit zwischen Senat und Bezirken. Durch ein modernes Personalmanagement sollen neue Mitarbeiter angeworben werden. Bei der Bezahlung von Verwaltungspersonal ist das Ziel, innerhalb von fünf Jahren Bundesniveau zu erreichen. Die Koalition will Behördenwege verkürzen. Die Nutzung von Online-Anträgen über das Service-Portal Berlin soll ausgebaut werden. Zusätzlich soll ein „digitales Bürgeramt der Zukunft“ erprobt und ein gemeinsamer Internetauftritt aller Verwaltungen entwickelt werden.

Kriminalitätsbekämpfung

Kriminalität in der Hauptstadt soll mit zusätzlichen technischen Mitteln bekämpft werden. An bestimmten Orten mit überdurchschnittlich viel Kriminalität soll es „anlassbezogen“ Videoüberwachung geben. Außerdem sollen Polizisten, Feuerwehrleute und Mitarbeiter der Ordnungsämter „unverzüglich“ sogenannte Bodycams erhalten, also Kameras an den Uniformen. Die Koalition will auch die Anschaffung eines eigenen Polizeihubschraubers für Berlin prüfen. Bisher teilt sich die Berliner Polizei einen Hubschrauber mit der Bundespolizei.

Schule und Bildung

Die Berliner Schulbauoffensive (BSO) für alle Schularten mit Sanierungs- und Neubaumaßnahmen soll fortgesetzt und beschleunigt werden. Dafür sollen zusätzliche Mittel bereitgestellt werden. Die Koalition wird dazu die Investitionsmittel der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge im Bereich Schulbau und Schulsanierung verdoppeln. Der Anschluss aller öffentlichen Schulen an das gigabitfähige Breitbandnetz soll bis Ende der Legislaturperiode 2026 erfolgen.

Das Probejahr am Gymnasium soll zugunsten einer neuen Eignungsfeststellung entfallen. Die obligatorischen Prüfungen des Mittleren Schulabschlusses am Gymnasium am Ende der Klasse 10 werden abgeschafft. Künftig wird es jährliche Vergleichsarbeiten geben. Die kostenlose Nachmittagsbetreuung für Jahrgangsstufe 3 an Schulen wird umgesetzt. Mindestens 2500 Absolventinnen und Absolventen im Jahr sollen gegen den Lehrermangel helfen, Dazu soll auch die Lehrkräfteverbeamtung schnellstmöglich umgesetzt werden.

Arbeit und Soziales

Der Landesmindestlohn und der Vergabemindestlohn sollen erhalten bleiben und „dynamisch angepasst“ werden. Die Anpassung soll dabei den Steigerungsempfehlungen der Bundesmindestlohnkommission entsprechen. Die Koalition will zudem für eine schrittweise Angleichung des Tarifniveaus von Tochterunternehmen landeseigener Unternehmen oder anderer Landesbeteiligungen an das Tarifniveau ihrer jeweiligen Mutterunternehmen sorgen. An der Tariftreue im Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetz soll festgehalten werden. Die Meisterfortbildung soll kostenfrei werden.

Gesundheit

Die Tochterfirmen der Landeskonzerne Vivantes und Charité sollen „schnellstmöglich“ wieder in den Mutterkonzern eingegliedert werden.

Helmut-Kohl-Platz

Auf einen lange strittigen Punkt haben sich CDU und SPD zuletzt auch noch geeinigt: „Wir nehmen Gespräche mit den Bezirken auf mit dem Ziel, eine repräsentative Straße beziehungsweise einen Platz nach Helmut Kohl zu benennen“, steht im Koalitionsvertrag.

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