Initiative übt Kritik an neuen Gestaltungsschwerpunkten von CDU und SPD
Berliner Morgenpost vom 06.04.2023 von Isabell Jürgens

Es ist nicht einmal eine halbe Seite im 135 Seiten umfassenden schwarz-roten Koalitionsvertrag, die bei der Initiative „Offene Mitte Berlin “ die Alarmglocken schrillen lässt. Die Initiative, die sich explizit gegen eine an der historischen Bebauung orientierte Weiterentwicklung der Berliner Mitte stark macht, befürchtet eine Korrektur der bisherigen, zwischen SPD, Grünen und Linken verabredeten Vorhaben im historischen Stadtkern. Dies gilt vor allem für den Molkenmarkt und das Marx-Engels-Forum – wobei Letzteres im Koalitionsvertrag gar keine Erwähnung findet.

Und genau das erzürnt die Initiative, zu der etwa die frühere Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke) und Architektenkammer-Präsidentin Theresa Keilhacker gehören. „Der neue Koalitionsvertrag stellt einen massiven Rückschritt gegenüber den bisherigen Planungen dar“, so Matthias Grünzig, Sprecher der Initiative. Vor allem die Nichtberücksichtigung der „fast schon baureifen klimaresilienten Umgestaltung des Rathausforums “ sei ein schwerer Schlag gegen eine ökologische Stadtentwicklung. Dieser Schritt sei umso unverständlicher, weil für das Projekt bereits erhebliche Planungsleistungen inklusive zweier Partizipationsverfahren und eines Realisierungswettbewerbes erbracht worden sind.

Tatsächlich wurde im Jahr 2021 der Entwurf des Büros RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten (Köln) zur Umsetzung für eine Neugestaltung der von der Spandauer Straße durchschnittenen beiden Plätze zwischen Fernsehturm und Spreekanal gewählt. Seit Mai 2022 läuft die Ausführungsplanung. Das Vorhaben soll ab kommenden Jahres realisiert werden. Die Kosten von 31 Millionen Euro sollen vor allem durch Mittel aus dem Bundesprogramm Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) finanziert werden – so war es zumindest unter der noch amtierenden rot-grün-roten Landesregierung vereinbart worden, die das Projekt im Koalitionsvertrag vom November 2021 verankerte.

CDU und SPD wollen auch Private bauen lassen

„Bei einem Stopp dieses Projekts wäre dieser Planungsaufwand verloren. Zudem würde das Gebiet weiter verwahrlosen“, so Matthias Grünzig weiter.

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe „ Stadtentwicklung , Bauen , Wohnen“ von CDU und SPD, die maßgeblich für die entsprechenden Formulierungen im vorliegenden Entwurf des Koalitionsvertrages zuständig waren, halten sich bedeckt. Aus der Nichterwähnung zu schließen, dass weit gediehene Planungen eingestellt würden, nur weil sie in dem Regierungsprogramm nicht erwähnt seien, sei falsch, heißt es lediglich aus Verhandlerkreisen. Vielmehr habe man im Bemühen, den Koalitionsvertrag schnellstmöglich fertigzustellen, „Konfliktthemen“ ausgeklammert. Dass konservative Kreise eher eine Bebauung nach historischem Vorbild bevorzugten, sei kein Geheimnis – das gelte auch für Teile der SPD. „Die Sorge, dass die CDU andere Akzente setzen will, kann aber durchaus berechtigt sein“, so ein Verhandlungsmitglied auf Nachfrage der Berliner Morgenpost vielsagend.

Während also konkrete Verabredungen zu dem Bereich zwischen Fernsehturm und Spree fehlen, lassen sich weitere Passagen tatsächlich als Korrektur der bisher verabredeten rot-grün-roten Stadtentwicklungspolitik lesen.

„Die Berliner Mitte wollen wir umfassend weiterentwickeln. Im neuen Quartier am Molkenmarkt streben wir die Errichtung von bezahlbarem Wohnraum, eine nachhaltige und gute Architektur, kleinteilige Strukturen und eine vielfältige Nutzung an. Dies werden wir mit den LWU (Landeseigene Wohnungsunternehmen) und gemeinwohlorientierten Bauherren realisieren“, heißt es in der Passage, die sich mit den weiteren Planungen für den Molkenmarkt beschäftigt.

Nach den aktuellen Planungen soll auf den landeseigenen Grundstücken ein vielfältiges Quartier mit bezahlbaren Wohnungen und kostengünstigen Räumen für Kunst und Kultur errichtet werden. Ebenfalls 2021 waren dazu zwei Siegerentwürfe für die städtebauliche Neugestaltung des Bereiches zwischen Rotem Rathaus und Berliner Stadthaus ausgewählt worden. Bauen sollten landeseigene Wohnungsunternehmen.

Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (parteilos, für SPD) hatte dagegen bereits kurz nach ihrem Amtsantritt Anfang 2022 gesagt, sie könne sich „ sehr wohl vorstellen, dass Grundstücke per Erbpacht an Genossenschaften, Baugruppen oder private Stiftungen gehen, die dort auch einige der geplanten Wohnhäuser errichten“.

Dass sich die Auffassung der Senatsbaudirektorin nun im Koalitionsvertrag wiederfindet, empört die „Offene Mitte Berlin “. Nur landeseigene Wohnungsunternehmen könnten dauerhaft zu bezahlbaren Mieten verpflichtet werden, argumentiert Sprecher Grünzig.

Bäume für das Humboldt Forum – und ein Brunnen für den Schloßplatz

Nichts einzuwenden hat die Initiative gegen die Absicht von CDU und SPD, „die Umgebung des Humboldt Forums mit Bäumen und qualitätsvollen Grünflächen“ aufzuwerten. Und auch, dass „mit dem Projekt Freitreppe der öffentliche Raum auf der Spreeinsel aufgewertet werden soll“. Etwas Kritik gibt es allerdings an der Aussage, dass „am historischen Standort des Neptunbrunnens eine Brunnenanlage errichtet werden soll“. Der Bau einer Brunnenanlage auf dem Schloßplatz sei grundsätzlich nicht falsch, heißt es. Allerdings wäre ein erheblicher Aufwand für seinen Umbau nötig, den man kritisch sehe.

Der Siegerentwurf aus dem Jahr 2021 für die Gestaltung von Rathaus und Marx-Engels-Forum in Mitte sieht eine Grünfläche mit vielen Bäumen vor. Davon ist bei CDU und SPD nichts zu lesen.

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