Welt vom 21.04.2023 von Marcus Woeller

Die Sanierung des Berliner Pergamonmuseums wird den Steuerzahler rund 1,5 Milliarden Euro kosten. Jetzt muss der Publikumsmagnet sogar für dreieinhalb Jahre schließen und kann vor 2037 nicht vollständig eröffnen. Ein Debakel, verursacht durch schlechte Planung.

Seit dem Jahr 2013 ist das Berliner Pergamonmuseum eine Baustelle . Der Nordflügel und der Mitteltrakt mit dem berühmten Pergamonaltar sind für das Publikum seit Jahren nicht mehr zugänglich. Am 27. März 2023 gab das für die Sanierung des Gebäudes zuständige Bundesamt für Bauordnung und Raumwesen (BBR) überraschend bekannt, das Museum ab Herbst 2023 für dreieinhalb Jahre komplett schließen zu müssen.

Dann beginnt der zweite Bauabschnitt, der die Instandsetzung des Südflügels, die Errichtung eines neuen Verbindungstrakts sowie des Stegs über die Spree und die Anbindung an die benachbarten Häuser auf der Museumsinsel vorsieht. Die vollständige Eröffnung des Pergamonmuseums, das Sammlungen vorderasiatischer, islamischer und hellenistischer Kunst beherbergt, ist erst für 2037 geplant.

Das macht fassungslos. Schockierender noch als die epische Dauer des Planungs-, Sanierungs- und Neubauprojekts (der Entwurf stammt bereits aus dem Jahr 2000) sind die veranschlagten Kosten. 489 Millionen Euro verschlingt der Bauabschnitt A, für den Bauabschnitt B kalkuliert das BBR 722,4 Millionen Euro. Für Risiken und Kostensteigerung sind zudem zusätzliche 295,6 Millionen Euro bereits eingepreist. Die Gesamtkosten (Stand Februar 2022) liegen damit bei 1,5 Milliarden Euro.

Wasserschäden im Pergamonmuseum

Ist dieses Mammutprojekt wahnsinnig oder dringend notwendig? Leider beides, muss man konstatieren. Wie marode das von 1910 bis 1930 gebaute Pergamonmuseum ist, erkennt man ohne Ingenieursexpertise. Die Fassaden sind in schlechtem Zustand, ebenso die Glasdächer, allein das über dem Südflügel hat eine Fläche von 4300 Quadratmetern. Seit Jahrzehnten dringt Wasser in das Haus ein. Es steigt die Furcht vor der großen Havarie.

Der Direktor des Islamischen Museums Stefan Weber rechnet die Wasserschäden schon mit seinen Dienstjahren auf. Wenn die Durchfeuchtung der tragenden Außenwände nicht gestoppt wird, könne ein teilweiser Verlust der historischen Bausubstanz nicht ausgeschlossen werden, so urteilt das BBR. Wenn also die Tragfähigkeit und damit die Sicherheit für Besucher wie für Artefakte nicht gewährleistet werden kann, ist die Schließung wohl gerechtfertigt.

Nun können viele der Kunstgegenstände im Pergamonmuseum aber nicht einfach eingelagert werden, sondern sie sind fest eingebaut wie eben der Pergamonaltar aus dem 2. Jahrhundert v. Chr., das antike Markttor von Milet aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. oder die babylonische Prozessionsstraße mit dem Ischtar-Tor aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert. Sie muss während der Baumaßnahmen aufwendig eingehaust und klimatisiert werden.

Um die Glasdächer und die davon abgehängten Tageslichtdecken zu erneuern, muss (wie schon beim Bauabschnitt A) ein temporäres Wetterdach über den Südflügel gebaut werden. Die Grundsanierung muss zudem "erschütterungsfrei" vonstattengehen. Und dass, wo im Untergrund ein alter Bekannter sein Unwesen treibt - der Kolk.

Dieser Kolk ist ein vierzig Meter tiefer, eiszeitlicher Strudeltopf aus Schwemmsand. Im Keller des Pergamonmuseums sieht man den Bogen einer gigantischen Brücke, die bei der Fundamentlegung über den Kolk gebaut werden musste, damit das Haus in diesem schlammigen Boden überhaupt Halt findet. Und diese Brücke hat Risse, ihre Widerlager müssen dringend statisch ertüchtigt werden. Wie auch das gesamte Gebäude, dass im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt wurde, seitdem aber nie grundsätzlich saniert, sondern immer nur ausgebessert wurde, wie Barbara Große-Rhode, die Referatsleiterin des BBR für die Museumsinsel, sagt.

Bauvorhaben mit "Anspruch"

Angesichts dieser Baumängel, der gegenwärtigen Nachhaltigkeitsbedürfnisse und vor dem Hintergrund allgemeiner Kostensteigerungen in der Bauwirtschaft erscheinen die Kosten von eineinhalb Milliarden Euro zwar immer noch irrwitzig, aber realistisch. Auch weil das Pergamonmuseum - inklusive seiner einzigartigen Dauerausstellung - nicht nur unter Denkmalschutz steht, sondern seit 1999 mitsamt der Museumsinsel (das Ensemble von Neuem Museum, Bode- Museum, der Alten Nationalgalerie und dem Alten Museum) auf der Weltkulturerbeliste der Unesco. Eine Sanierung stellt sich deshalb nicht infrage. Sie ist vielmehr geboten und hat "einen Anspruch" (Große-Rhode), will man den Status nicht verlieren.

Doch nach den Erfahrungen der vergangenen drei Jahrzehnte, während derer die Museumsinsel Dauerbaustelle und Milliardengrab war, muss man der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) als Betreiberin der Museen und dem BBR als Bauherrn vorwerfen, falsche Prioritäten gesetzt zu haben. Große-Rhode macht auch keinen Hehl daraus, dass sie die Bauarbeiten bei laufendem Betrieb für falsch hält. Gemeinsam hielt man aber lange daran fest, schließlich ist das Pergamonmuseum mit jährlich rund 800.000 Besuchern der absolute Publikumsmagnet unter den Berliner Museen. Die unausweichliche Schließung kommt nun viel zu spät.

Es wurden bereits "im Rahmen erster Erkundungen in den 1990er-Jahren insbesondere an der Stahlkonstruktion des Daches und an den Lichtdecken, den Fassaden und den Gesimsen umfangreiche Schäden sowie insgesamt eine völlig veraltete technische Ausrüstung festgestellt", referiert das BBR jetzt die Rahmenbedingungen der Baustelle. Daraus kann man aber nur schließen: Mit der Sanierung hätte viel früher begonnen werden müssen, wie etwa das Neue Museum, das von 1999 bis 2009 rekonstruiert worden war. Stattdessen legte man den Fokus auf den Neubau eines Eingangsgebäudes (James-Simon-Galerie), dessen Errichtung übrigens jener Kolk bereits über Jahre erschwerte, zu jahrelangem Bauverzug und Kostensteigerungen führte.

Die Museumsinsel wird für weitere Jahrzehnte Baustelle bleiben. Denn auch das Alte Museum harrt noch der umfassenden Grundinstandsetzung. Die Realisierung ist jedoch aus Finanzierungsgründen zurückgestellt. Der Planungsstand aus den Jahren von 1998 bis 2003 dürfte längst Makulatur sein. Und dann baut die SPK ja auch nicht nur in ihrem historischen Welterbebestand, sondern auch am Kulturforum. Dort dürfte die Debatte nun wieder aufflammen, wie die prognostizierten 600 Millionen für ein Museum des 20. Jahrhunderts zu rechtfertigen sind, dessen Entwurf die wachsenden Anforderungen an energieeffizientes und klimaschonendes Bauen bisher nicht erfüllt.

Die Welt im Internet: www.welt.de