Berlins neuer Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler über notwendige Einnahmen der landeseigenen Wohnungsunternehmen und Neubau in Krisenzeiten
Berliner Zeitung vom 05.05.2023 von Ulrich Paul

Seit einer Woche ist er im Amt. Im Interview mit der Berliner Zeitung beschreibt Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD), wie er mehr bezahlbare Wohnungen schaffen will, warum er sich eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes vorstellen kann und wieso es aus seiner Sicht keinen dauerhaften Mietenstopp bei den städtischen Unternehmen geben kann.

Herr Gaebler, die Koalition will bis zu 20.000 Wohnungen jährlich errichten, hat aber zugleich erklärt, dass dies in Anbetracht der jetzigen Rahmenbedingungen nicht sofort erreichbar sein wird. Welche Zahl an Wohnung halten Sie für realistisch? Und wann werden die 20.000 Wohnung jährlich erreicht?

Das ist im Moment wirklich schwer vorherzusagen. Es gibt unterschiedliche Prognosen. Die einen sagen, dass die Fertigstellungszahlen zunächst nach oben gehen und ab 2025 sinken. Andere sagen, dass erst mal weniger Wohnungen fertig werden und die Zahl später wieder steigt. Am Ende geht es aber nicht um eine Zahl, sondern darum, dass wir den Bedarf abdecken. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Menschen, die in der Stadt sind, ein für sie bezahlbares Zuhause bekommen. Ziel wäre, dass wir zumindest das Niveau aus dem vergangenen Jahr halten, als 16.500 Wohnungen errichtet wurden.

Wie kann der Neubau insbesondere preiswerter Wohnungen vorangebracht werden?

Indem wir die Förderbedingungen für den Bau von Sozialwohnungen überarbeiten. Dabei werden wir uns auf die aktuellen Marktbedingungen einstellen. Zugleich wollen wir erreichen, dass wir geförderte Wohnungen auch für Haushalte mit mittleren Einkommen errichten. Weil die auf dem Wohnungsmarkt zurzeit auch keine Wohnung mehr bekommen. Deswegen müssen wir sehen, dass auch Wohnungen im mittleren Preissegment entstehen. Und wir benötigen dann aber auch beschleunigte Prozesse. Denn lange Verfahren kosten auch viel Geld.

Viele Bauprojekte sind durch die explodierenden Baukosten und die steigenden Zinsen unwirtschaftlich geworden. Gibt es Überlegungen, wie die öffentliche Hand hier eingreifen kann?

Die gibt es. Den landeseigenen Wohnungsunternehmen werden bereits Projekte angeboten. Doch sie stehen selbst unter Kostendruck. Eine Investition muss für sie am Ende auch wirtschaftlich sein. Aber das ist etwas, woran wir arbeiten. Zugleich wollen wir die Verlässlichkeit in die Genehmigungsprozesse stärken. Damit es nicht eine unbestimmte Zeit braucht, bis beispielsweise die obere Naturschutzbehörde irgendwas bewilligt. Es muss für alle klar sein, dass Zeit eine Rolle spielt. Je länger es dauert, umso teurer wird ein Bauprojek. Bisher ist das noch nicht bis in die letzte Sachbearbeiterebene durchgedrungen.

Die schwarz-rote Koalition will mit einem internationalen städtebaulichen Wettbewerb die Möglichkeiten für eine behutsame Randbebauung des Tempelhofer Feldes ausloten. Auf welcher Rechtsgrundlage soll der Wettbewerb stattfinden? Eine Bebauung des Feldes ist zurzeit gesetzlich nicht möglich?

Wir wollen ja keinen Bauwettbewerb, sondern einen Ideenwettbewerb machen. Und einen Ideenwettbewerb kann ich immer machen, ohne dass ich dafür eine konkrete rechtliche Grundlage habe. Wir wollen uns ein Bild darüber machen, welche Ideen es für eine mögliche Randbebauung gibt. Dort könnten sicher mehrere Tausend neue Wohnungen entstehen – und zwar in der Innenstadt, wo es ansonsten nur noch wenig freie Flächen gibt. Für mich ist es dabei zugleich wichtig, klarzumachen, dass es nicht um eine flächenhafte Überbauung des Feldes geht, sondern darum, dass die besondere Qualität des inneren Bereichs, der weiten Freifläche, erhalten bleibt. Darüber wollen wir in einen Dialog mit der Bürgschaft eintreten.

Sind Sie für eine Randbebauung?

Ich kann mir eine Randbebauung gut vorstellen. Insbesondere in den Bereichen, die sowieso versiegelt sind und die bereits gut erschlossen sind, wie die Flächen an der Oderstraße und am Tempelhofer Damm. Am Columbiadamm muss man mal sehen, was möglich ist, weil es dort wegen des Radarturms nur eingeschränkte Möglichkeiten gibt. Und im Süden könnte zumindest eine Brücke vom angrenzenden Stadtgebiet auf das Feld errichtet werden. Die Pläne dafür liegen vor. So könnten die Menschen aus den Oberlandgärten schnell aufs Feld kommen. Ob dort zusätzlich ein S-Bahnhof entsteht und ob die Sportflächen erweitert werden wie ursprünglich geplant, müsste, wie alles andere, noch abgestimmt werden.

Im Stadtentwicklungsplan Wohnen von 2019 gibt es aber doch genug Flächen, um rund 200.000 Wohnungen in Berlin zu bauen, ohne das Tempelhofer Feld in Anspruch zu nehmen.

Ja, aber Sie wissen, dass vor jeder dieser Flächen eine Bürgerinitiative steht und fordert, gerade dort nicht zu bauen . Außerdem müssten nach dem Plan auch Kleingartenflächen in Anspruch genommen werden, die eigentlich nicht zur Disposition stehen. Wenn wir am Tempelhofer Feld die Möglichkeit haben, ein paar Tausend Wohnungen zu errichten, dann müssen wir vielleicht an anderer Stelle nicht jede Nachverdichtungsmöglichkeit ausreizen. Die Stadtgesellschaft muss irgendwann entscheiden, wie sie erreichen will, dass Leute, die jetzt in unzureichenden Wohnverhältnissen leben, eine passende Wohnung und ein neues Zuhause finden.

Laut Koalitionsvertrag ist zur Frage einer Randbebauung des Tempelhofer Feldes die Neubewertung durch die Berlinerinnen und Berliner maßgeblich. Was genau ist geplant?

Das muss in der Koalition noch geklärt werden. Wichtig ist das Signal, dass wir die Bevölkerung einbeziehen wollen. Wir werden eine mögliche Randbebauung nicht einfach per Parlamentsbeschluss durchsetzen.

Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sind die wichtigsten Partner des Senats für eine soziale Medienpolitik. Was können und was sollen sie leisten? Und welche Mieterhöhungsmöglichkeiten sollen sie nach dem Ende des Mietenstopps ab 2024 und dem Auslaufen der Übergangsregelungen nach dem Mietendeckel-Aus bekommen?

Die Gesellschaften müssen wirtschaftlich in der Lage sein, ihrem Auftrag nachzukommen. Das heißt, sie sollen nicht nur neu bauen, sondern auch im Bestand hochwertiges und bezahlbares Wohnen anbieten. Auch der hohe Sanierungsbedarf bezahlt sich nicht von alleine. Deshalb gehört eine moderate Mieterhöhung zum Geschäft der landeseigenen Unternehmen. Die Einkommen der Bewohnerinnen und Bewohner steigen in der Regel ja auch. Mit dem Mietenstopp haben wir den Gesellschaften schon relativ viel zugemutet, auch wenn es einen finanziellen Ausgleich gibt. Aber das kann der Landeshaushalt auf Dauer nicht stemmen. Die bestehende Härtefallregelung sorgt dafür, dass Haushalte mit geringen Einkommen finanziell nicht überfordert werden. Haushalte mit höheren Einkommen müssen aber nicht pauschal von Mieterhöhungen ausgenommen werden. Mein Ansatz ist, dass wir nach dem Auslaufen des Mietenstopps und der Übergangsregelung nach dem Mietendeckel-Aus da anknüpfen, wo wir vorher waren: Das bedeutet, dass moderate Mietsteigerungen möglich sind.

Wenn die Expertenkommission zur Vergesellschaftung von Wohnungen zum Ergebnis kommt, dass eine Vergesellschaftung rechtlich zulässig ist, soll ein Vergesellschaftungsrahmengesetz erarbeitet werden. Warum ist ein Rahmengesetz nötig – und warum soll es erst zwei Jahre nach der Verkündung in Kraft treten?

Das Rahmengesetz soll qualitative Anforderungen definieren, um überhaupt über eine Vergesellschaftung zu reden. Denn bisher gibt es nur die pauschale Aussage, dass Bestände von Unternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen vergesellschaftet werden sollen. Eigentlich muss man aber fragen, ob sich jemand besonders unsozial verhält oder seine Mieter schikaniert. Um dann im Bereich der Daseinsvorsorge der Auffassung zu folgen, dass der Staat eingreifen muss, um Wohnungsbestände in eigene Regie zu übernehmen. Das soll im Rahmengesetz festgelegt werden. Dass es erst zwei Jahre nach Verkündung in Kraft treten soll, liegt daran, dass wir dadurch die Möglichkeit haben, es zwischenzeitlich rechtlich überprüfen zu lassen, bevor es in Kraft tritt. Und in dieser Zeit Regelungen zur konkreten Umsetzung erarbeitet werden können.

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