Berlin bekommt eine zweite Nord-Süd-Trasse für die S-Bahn. Doch der Zeitplan wackelt
Berliner Zeitung vom 15.05.2023 von Peter Neumann

Mitten in Berlin entsteht eine S-Bahn-Strecke – und kaum einer merkt’s. Die Arbeiten an der rund vier Kilometer langen Trasse in Mitte sind inzwischen weit gediehen, teilte die Deutsche Bahn (DB) der Berliner Zeitung auf Anfrage mit. Es könnte aber sein, dass der Verkehr auf der neuen Linie S15 zwischen Gesundbrunnen und Hauptbahnhof später als angekündigt beginnt. Die City-S-Bahn – eine lange Geschichte, die immer länger wird.

City-S-Bahn: So heißt die zweite Nord-Süd-Trasse der S-Bahn, die im Berliner Stadtzentrum entsteht. Anfangs lautete der Arbeitstitel S21. Doch das erinnerte zu sehr an das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, das immer teurer wird und intern nicht mehr als Vorzeigevorhaben gilt. Der erste Bauabschnitt sieht auf der Karte wie ein Y aus.

„Oben“, also im Norden, zweigen bei den S-Bahn-Stationen Westhafen und Wedding Gleise vom Ring ab. „Unten“, am vorläufigen südlichen Ende, entsteht unter der Invalidenstraße am Hauptbahnhof ein provisorischer Tunnelbahnhof mit einem 75 Meter langen Bahnsteig.

Material- und Lieferengpässe

Im Fokus steht der Ast, der sich am S-Bahnhof Wedding ausfädelt, dort wird gebaut, und dort soll künftig die S15 verkehren . Wie steht es darum? „Die neue City-S-Bahn nimmt weiter Gestalt an“, sagte ein Bahnsprecher. „Der Gleisbau der rund vier Kilometer langen Strecke vom nördlichen Ring bis zum Hauptbahnhof mit Signalen und Weichen ist mittlerweile weitestgehend abgeschlossen. Derzeit erfolgt die Montage der bahntechnischen Ausrüstung wie Signaltechnik und S-Bahn-Stromanlagen.“

Auch der Bau des unterirdischen S-Bahnhofs am Hauptbahnhof, der für einige Jahre als Endstation der Neubaustrecke dienen soll, geht voran. „Aktuell werden die Fahrtreppen und ein Aufzug eingebaut“, erläuterte der Bahnsprecher. „In den nächsten Wochen und Monaten wird der S-Bahnhof mit weiteren Anlagen ausgestattet. So werden zum Beispiel der Bodenbelag, die Beleuchtung und die Fahrgastinformationsanzeiger installiert.“

So weit – so gut. Doch auf die Frage, ob der bisherige Zeitplan gehalten werden kann und die S15 zum Fahrplanwechsel im Dezember 2023 ins Rollen kommt, gibt es keine eindeutige Antwort von der Bahn. „Die bundesweiten Material- und Lieferengpässe wirken sich auch auf das Bauprojekt der City-S-Bahn aus“, teilte der Sprecher mit.

„Aktuell ist noch nicht vollends sichergestellt, dass die elektrotechnischen Komponenten für die Stromversorgung am neuen Bahnsteig rechtzeitig geliefert werden können. Sobald dabei Verbindlichkeit besteht und wir die Terminketten innerhalb des Projekts miteinander abgeglichen haben, informieren wir die Öffentlichkeit, inwiefern die Inbetriebnahme des Interimszustands erfolgen kann.“

Es heißt also: warten, bis Gewissheit besteht. Anders formuliert: Die Bahn schließt nicht aus, dass die neue S-Bahn-Linie zwischen Gesundbrunnen, Wedding und Hauptbahnhof von Dezember 2023 an befahren wird. Es kann aber auch sein, dass die Neubaustrecke erst 2024 eröffnet wird. In diesem Fall wäre es nicht die erste Verzögerung.

Lange Zeit hieß es, dass der Betrieb auf dem ersten Abschnitt der S21/City-S-Bahn 2017 beginnen soll. Doch Grundwassereinbrüche und andere Probleme sorgten für Verzögerungen. Mehrmals gab es neue Projektleiter. Später war von Ende 2022 die Rede. Doch die Auswirkungen der Corona-Pandemie bremsten auch dieses Projekt, sodass die Inbetriebnahme zuletzt auf Ende 2023 verschoben wurde. „Lieferengpässe beim Material und Mangel bei Fachpersonal machten die Terminanpassung nötig“, hieß es.

Immerhin: Die Fahrzeuge für die Strecke stehen bereit. Es wird sich um S-Bahnen des neuesten Typs handeln. „Für den S-Bahnbetrieb zwischen Gesundbrunnen und Hauptbahnhof sind drei Halbzüge mit jeweils vier Wagen der Baureihe 483/484 vorgesehen“, teilte ein S-Bahner mit. Zwar sei die Linie S15 relativ kurz. „Doch wir müssen drei Umläufe bestücken, weil die Verhältnisse am Gesundbrunnen das erfordern. Wenn dort ein Zug vom Hauptbahnhof ankommt, muss der Gegenzug gleich abfahren.“ Es müsse also immer ein Zug in der Kehranlage Gesundbrunnen sein, hieß es.

Die City-S-Bahn soll nicht unter der Invalidenstraße am Hauptbahnhof enden. Der 1,9 Kilometer lange zweite Bauabschnitt soll die unterirdischen Gleise zum Potsdamer Platz führen. Zu ihm gehört der endgültige Tunnelbahnhof, der neben der Endstation der Linie U5 unterm Hauptbahnhof entstehen soll. Im vergangenen Jahr stellte die Bahn ein maritimes Gestaltungskonzept vor – der Humboldthafen liegt nebenan.

Baugrube am Brandenburger Tor

Doch weil im Boden östlich des Hauptbahnhofs Vorleistungen im Weg sind, die beim Rennen mit der Zeit vor der Bahnhofseröffnung 2006 im Untergrund betoniert wurden, wird der S-Bahnhof anders als geplant 2026 noch nicht fertig. Für die Station Perleberger Brücke, die am ersten Bauabschnitt an der Streckengabelung in Moabit entsteht, ist bereits klar: Statt 2026 wird die Station frühestens 2029 fertig.

Südlich der Spree wird das Reichstagsgebäude, Sitz des Bundestags, auf beiden Seiten unteririsch umfahren. Wo die Tunnelstrecke das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas passieren wird, ist strittig. Absehbar ist, dass im Bereich Dorotheenstraße/Scheidemannstraße/Brandenburger Tor eine Baugrube entstehen wird – das Tor wird Baustellenkulisse. Unter dem Potsdamer Platz müsste die heutige Nord-Süd-S-Bahn gesperrt werden. Rechnungen gehen von 22 Monaten aus.

Angesichts der vielen Herausforderungen auf dem Mittelteil setzen sich der Fahrgastverband IGEB und andere Experten dafür ein, den dritten Bauabschnitt vorzuziehen. Die 3,9 Kilometer lange Trasse soll vom Potsdamer Platz zum Gleisdreieck verlaufen und von dort weiter zu den beiden S-Bahn-Stationen an der Yorckstraße führen. Damit wäre die zweite Nord-Süd-Strecke der Berliner S-Bahn komplett. Doch auch die wird erst zum Ende der 2030er-Jahre hin fertig. Zuletzt war von 2037 die Rede.

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