Tagesspiegel vom 17.05.2023 von Teresa Roelcke

Einen städtebaulichen Masterplan für die Berliner Mitte hatte Schwarz-Rot im Koalitionsvertrag angekündigt. Und kaum ist die neue Regierung zwei Wochen alt, hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung , Bauen und Wohnen diesen anscheinend ausgeschrieben: Die Vergabeunterlagen für die Erstellung eines sogenannten ISEK (Integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept) für den Bereich Historische Mitte Berlin stehen seit dem 11. Mai online.
Das Thema „ Historische Mitte “ ist brisant, seit Monaten wird um dieses Areal gerungen, unter der neuen Regierung könnte es zu einem Kurswechsel hin zu einer historisierenden Bebauung kommen.

Auffällig an der nun veröffentlichten Ausschreibung ist: Es werden zahlreiche Materialien aufgelistet, die als Grundlagen in die Erstellung des ISEK einfließen sollen. Aber wichtige Dokumente, die in den vergangenen Jahren unter umfassender Beteiligung der Öffentlichkeit erarbeitet wurden, fehlen: Die vom Abgeordnetenhaus verabschiedeten Bürgerleitlinien zur Berliner Mitte, die Ergebnisse der Stadtwerkstatt und der Siegerentwurf des Landschaftsarchitekten Stephan Lenzen, mit dem ein Konzept für die neue Freiraumgestaltung am Rathaus- und Marx-Engels-Forum festgelegt wurde.

Streitpunkt in den Koalitionsverhandlungen

Zum Rathaus- und Marx-Engels-Forum gab es in der Fachgruppe zu Stadtentwicklung in den Koalitionsverhandlungen offenbar einen Dissens: Auf der Grundlage des im August 2021 bekanntgegebenen Siegerentwurfs solle das Forum „als öffentlicher und nachhaltiger Freiraum zügig partizipativ realisiert werden“, wünschte sich die SPD. Die CDU war dagegen und hatte sich auch in der Vergangenheit bereits immer wieder dafür ausgesprochen, hier eine Art Altstadt zu rekonstruieren. Letztendlich gab es im Koalitionsvertrag dann gar keine Formulierung zum Rathaus- und Marx-Engels-Forum.

Auf Anfrage, warum diese Unterlagen nicht als Grundlagen für den ISEK genannt werden, antwortete die Stadtentwicklungsverwaltung dem Tagesspiegel, man stehe erst am Anfang der Erarbeitung eines ISEK für den Bereich Historische Mitte Berlin . „Selbstverständlich“ seien die erwähnten Dokumente Grundlage für dessen Erarbeitung: „Das gilt übrigens für alle bisherigen politischen Beschlüsse und abgeschlossenen Planungen dazu, auch wenn diese in der Ausschreibung nicht explizit erwähnt sind.“ Auf die Frage, weshalb andere Dokumente in der Ausschreibung als Grundlagen erwähnt sind, die genannten aber nicht, gab die Senatsverwaltung keine Antwort.

Schleichende Verschiebung der Ziele

Die Ausschreibung war auch im Hauptausschuss am Mittwoch im Abgeordnetenhaus Thema. Steffen Zillich, haushaltspolitischer Sprecher der Linksfraktion, kritisierte, man beobachte „ein Prozess der schleichenden Verschiebung der Ziele“. Er lese die Ausschreibung nicht so, als würden die erfolgten Dialogverfahren noch eine Rolle für die weitere Entwicklung spielen: „Und das braucht eine politische Begründung.“

Julian Schwarze, Stadtentwicklungsexperte der Grünen, stellte außerdem fest, dass das Planungsgebiet sich in der Ausschreibung deutlich erweitert habe, verglichen mit früheren Ankündigungen. Die Diskussion um den Molkenmarkt oder das Rathausforum hätten zusätzlich gezeigt, dass versucht werde, eine historisierende Bebauung durchzusetzen. Dass in der Ausschreibung zum ISEK die bisherigen Wettbewerbe und ihre Umsetzungen nicht erwähnt werden „nährt Zweifel, ob zum Beispiel die fertigen Planungen für das Rathaus- und Marx-Engels-Forum weiter umgesetzt werden oder ob hier versucht wird, das Rad zurückzudrehen.“

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