Bühnentechnische Rundschau vom 24.05.2023 von Karin Winkelsesser

Die Komische Oper Berlin ist seit ihrem Wiederaufbau 1966 nicht mehr grundlegend saniert worden. Die Beeinträchtigungen im täglichen Betriebsablauf sind sehr gravierend, vor allem die Arbeitsbedingungen und logistischen Abläufe inakzeptabel. Ein Lokaltermin wenige Monate vor dem Umzug ins Interim zeigt wesentliche Mängel. Karin Winkelsesser

Bereits von außen ist sichtbar, dass die Komische Oper Berlin in die Jahre gekommen ist: Der mit Sandstein verkleidete und mittlerweile sehr grau gewordene Bau von 1966 wirkt von Unter den Linden aus gesehen etwas verloren mit der ungenutzten Freifläche vor dem Gebäude. Schon im 19. Jahrhundert wurde an diesem Ort Theater gespielt, der Ursprungsbau geht auf das Projekt der berühmten Wiener Theaterarchitekten Fellner & Helmer aus Wien von 1882 zurück. Das Haus wurde im Jahr 1944 von einer Bombe getroffen, aber ab 1947 wurde in ihm mit dem neuen Namen „Komische Oper“ wieder gespielt. 1966 wurde das Haus rundum erneuert, der historische Zuschauerraum wurde in den Neubau integriert.

Eine Grundsanierung des Gebäude-Ensembles wurde seither nicht durchgeführt. Bereits in den 1990er-Jahren wurde ein umfassender Sanierungsbedarf festgestellt. Seit der Stuck 2018 von der Decke fiel, bestand Handlungsbedarf, wie Co-Intendantin Susanne Moser erläutert (siehe Interview Seite 48). Was ist der Status quo? Daniel Kaiser ist seit sieben Jahren Technischer Direktor an der Komischen Oper Berlin und hat das Bedarfsprogramm für die Belange der Bühnentechnik und Logistik mitentwickelt. Er erläutert die Grundzüge des Projekts und betont abschließend, dass es ihm ein großes Anliegen sei, dass die vom Haus anvisierten betrieblichen Verbesserungen in die weitere Planung und Umsetzung des Sanierungsprojekts einfließen. Den dafür notwendigen zusätzlichen Arbeitseinsatz kann er auf Dauer nicht leisten, zumal er jetzt neben dem täglichen Betrieb damit beschäftigt ist, den Umzug zum Ende der Spielzeit zu organisieren und dafür zu sorgen, dass das Schillertheater nach dem Auszug des Theaters am Kurfürstendamm zum Jahreswechsel wieder spielbereit ist. Wann der Rück-Umzug stattfinden kann, ist noch nicht klar, die Vorplanung wird voraussichtlich im Mai genehmigt.

Unter diesen Bedingungen ein ganzes Haus zu verpflanzen, ist kein einfaches Unterfangen. Für die Betreuung des Sanierungsprojekts seitens des Hauses hat die Intendanz eine eigene Stelle geschaffen. Frank Köckritz, Diplom-Ingenieur für Veranstaltungstechnik, ist seit sieben Jahren am Haus, kennt mittlerweile jeden Winkel und führt bei einem gemeinsamen Rundgang vom Keller bis zum Dach wesentliche Gründe für den Sanierungsbedarf vor.

In die Jahre gekommen
Ein wesentliches betriebliches Problem zeigt sich bereits bei der Anlieferung: Es gibt keine Laderampe für einen Sattelschlepper. Entweder ein Lkw oder ein Anhänger passt auf den Hubtisch. „Dies ist besonders bei Gastspielen schwierig, die mit Sattelzug kommen“, erklärt Köckritz. „Sie blockieren dann den ganzen Hof.“ Wegen der Grundstücksbegrenzung kann der Hubtisch nicht vergrößert werden, aber auch im Inneren ist zum Rangieren der Dekors wenig Platz. Sie müssen durch eine enge Tür um die Ecke geschoben werden. Diese Tür wird vergrößert, immerhin. Eine zweite, neue Anlieferung an anderer Stelle soll Abhilfe schaffen.

Der Weg führt durch Magazin und Montageraum zur Probebühne 1 im Innern des Hauses, ohne Tageslicht. Der Raum hat etwa die Größe der Hauptbühne und auch eine Schräge, die dieser in etwa entspricht. Lediglich zwei Kettenzüge und eine Drehscheibe sowie ein paar Scheinwerfer stellen die bühnentechnische Einrichtung. Hier finden auch Endproben statt, sofern möglich in Originaldekors. Sie wird zukünftig ein Magazin werden, denn alle Probebühnen werden in ein neues Gebäude umziehen (siehe Kasten Seite 55). „Das Bühnengeschehen bzw. die Probenarbeit soll prinzipiell für die Öffentlichkeit sichtbarer werden“, erläutert Köckritz einen Eckpfeiler des Umbauprojekts.

Stufen überwinden und steile Rampen abschaffen ist ein weiteres großes Thema der Sanierung. Der Weg führt über schräge Flure und über Stufen. Wie dort Garderobenständer, Dekorteile und anderes transportieren? Die Gebäudeteile stammen aus verschiedenen Jahrhunderten, zudem hat sich der Raumbedarf verändert. „Die Bühnenbilder sind in den letzten Jahren immer plastischer geworden und brauchen mehr Platz“, gibt Köckritz zu bedenken. Aber überall sind Kompromisse einzugehen, und so wird das Magazin nicht wesentlich vergrößert.

Wir gelangen zur Hauptbühne, wo der Modernisierungsbedarf besonders sinnfällig wird. Die Drehscheibe stammt aus den 1960er-Jahren, sie wurde von SBS Dresden in die schräge Bühne eingebaut. Die Zuganlage stammt ebenfalls aus der Entstehungszeit. Sie besteht aus Handzügen, ergänzt durch lediglich vier Maschinen- und zwei Beleuchtungszüge. Das Orchesterpodium kann abgesenkt werden, es wird wie auch die Drehscheibe erneuert. Der Bühnenturm ist aktuell 19 m hoch. Die Dekorteile, die nicht gebraucht werden, müssen Richtung Zuschauerraum mit Soffitten abgedeckt werden. Deshalb, aber auch um die erhöhten Lasten der geplanten Maschinenzüge aufzunehmen, muss der Bühnenturm neu gebaut und erhöht werden – in Leichtbauweise, weil das Gesamtgewicht nicht erhöht werden darf. Dazu wird er zunächst bis zu einer Höhe von etwa 10 m rückgebaut.

Die gemauerte Bühnenrückwand steht unter Denkmalschutz – ein Thema, das sich durch alle Bereiche zieht. Neben der Portalbrücke sind historisch gewachsene Anschlüsse mit Eberl-Steckern etc. zu sehen. „Die Abteilungen sind schneller als die Gebäude“, sagt Köckritz. Die Beleuchtung hat fast komplett umgestellt auf Moving-Lights, was auch an der geringen Bestückung der Portalbrücke sichtbar wird.

Um einen Blick in den Schnürboden zu bekommen, fahren wir auf die oberste Galerie – mit einem Personenaufzug. Bühnenaufzüge gibt es nicht. Der Weg von dort in die Unterbühne führt über den Orchestergraben. Er ist nur über Stufen zugänglich, eine Stolperquelle und für den Instrumententransport lästig. Die größeren Instrumente müssen über das Podium transportiert werden. Die Spiralifte stammen von 2015, sie werden während der Sanierung ausgebaut. Der Antrieb für den Eisernen Vorhang aus den 2000er-Jahren und ein alter Antrieb für die Portalbrücke von 1962 bieten sich an für einen Vergleich.

Historisches vom Dach bis zum Keller
Das strahlende Zentrum des noch historischen Gebäudeteils ist der mit goldenem Stuck dekorierte Zuschauerraum im Stil des Neo-Rokoko mit seinen 1190 Plätzen, verteilt auf Parkett und zwei Ränge. Dieser steht unter Denkmalschutz und darf nicht verändert werden. Auch nicht die geringe Sitzüberhöhung, die durch die erwähnte Bühnenschräge etwas kompensiert wird. Bis auf eine Aufpolsterung der Sitze und Modernisierung der sehr beliebten in den Rücksitzen eingebauten Übertitelungsanlage bleibt alles erhalten.

Um ein breiteres Veranstaltungsspektrum bieten zu können, wird die Bühne in Zukunft inklusive der Drehscheibe kippbar sein und kann dann für Bälle und Ballettaufführungen eine ebene Fläche bilden. Aus der verhängten Decke schaut lediglich der prunkvolle Kronleuchter aus der Entstehungszeit heraus. Diskutiert wird – vor allem unter akustischen Gesichtspunkten – über den Fußboden. Der rote, etwas schmuddelige Teppichboden ist in die Jahre gekommen, ein Holzfußboden zumindest unter den Sitzreihen ist ein aktueller Vorschlag. Die gemauerte Kuppel über dem Zuschauerraum wie auch die Dachkonstruktion stammen ebenfalls aus der Entstehungszeit. Die filigrane, genietete Stahlkonstruktion mit Spuren des Bombeneinschlags an einer Stelle sowie das Holzdach genießen Bestandsschutz, auch weil alles Neue schwerer sein würde. Auf dem Weg vom Dach zum historischen Kellergewölbe führt unser Weg über vollgestellte und durch nachträglich eingebaute Heizungsrohre und Elektroleitungen niedrige Flure, an Türen mit liebevollen Bildchen und Aufschriften vorbei – der Abschied vom Gewohnten wird trotz aller Mängel sicher nicht leichtfallen.

Niemand wird aber wohl den Orchesterprobenraum vermissen. Er ist im ehemaligen Ballettsaal untergebracht und hat wegen mangelnder Größe und Höhe eine Lautheit, die das Spielen dort anstrengend macht, denn ein Forte klingt dort einfach extrem laut. Vieles wird aber bleiben, vor allem die Ästhetik der 1960er-Jahre, die sich durchs Haus zieht und sich in Türgriffen oder den Geländern des Treppenhauses manifestiert. Das versteckt gelegene, umfangreiche Archiv wird in der Akademie der Künste zwischengelagert werden, lediglich was gebraucht und genutzt wird, zieht mit um. Auch der umfangreiche Kostümfundus, unter anderem für die an der Komischen Oper besonders große Komparserie bereitsteht, wird keinen Platz im Schillertheater finden. Er muss in ein großes Außenlager.

Im Keller angekommen, führt Köckritz seinen Lieblingsraum vor. Hier befindet sich die alte Betriebs-Mess-Steuer-Regeltechnik (BMSR) von 1967! Sie ist sogar begehbar, aber Vorsicht! Ein grünes Lämpchen leuchtet tatsächlich noch, und niemand weiß, welche Teile unter Strom stehen. Der Kellerbereich stammt noch aus dem 19. Jahrhundert. Die Wände sind feucht, durch die Bebauung in der Umgebung mit U-Bahn, Parkhäusern etc. hat sich der Grundwasserspiegel geändert, deshalb stehen Fundamente im Wasser und Schimmel hat sich gebildet. Eine Kunststoffwanne wird zum Schutz unter das Fundament gespritzt werden. „Ein Frevel, dass man diese Räume beim Wiederaufbau nicht nutzbar einbezogen hat“, findet Köckritz. Die großen Flächen haben nur schmale Flure und niedrige Decken, wir quetschen uns durch eine 1 m hohe Tür. Es gäbe aber viel Platz zur Lagerung von Requisiten etc. Eine entsprechende Umgestaltung ist Teil des Sanierungsprojekts. Allerdings hat man vom Nachbarn Staatsoper gelernt: Eine Vertiefung des Fundaments ist nicht vorgesehen.

Weiter spielen und ausziehen
Der Umzug ist bereits sichtbar: Verpackte Kostümständer, beschriftete Requisitenpakete und Dekors von abgespielten Stücken stehen in den Hallen und Fluren. Gleichzeitig gilt es aber für das ganze Team, noch mal eine intensive Saison mit endgültigen Abschieden von Produktionen aus der Ära Barrie Kosky und zahlreichen Neuinszenierungen durchzustehen. Der Erfolg der aktuellen Jubiläums-Spielzeit sollte dabei motivierend sein. Das Haus verzeichnet eine hohe Auslastung, was wohl auch mit dem Umzug und der Lust des Publikums, nach Corona wieder in die Oper zu kommen, zu tun hat.

Die letzte Premiere vor Redaktionsschluss war „Hamlet“ am 16. April. Die Grand Opéra des französischen Komponisten Ambroise Thomas nach dem gleichnamigen Drama von William Shakespeare gilt als eine Rarität in den aktuellen Spielplänen. In der Komischen Oper gab es stehende Ovationen für die Inszenierung von Nadja Loschky unter der musikalischen Leitung von Marie Jacquot mit beeindruckenden Sängerinnen und Sängern.

Für die Tragödie um „Sein oder Nichtsein“ hat Etienne Pluss (siehe BTR-Sonderband 2020) ein herrschaftliches Treppenhaus geschaffen, das sich mit Vorhängen und Details verändern lässt. Im zweiten Teil ist der Raum verrottet, der Boden ist mit Erdhaufen bedeckt und wird zum symbolischen Friedhof. Für die wechselhaften Stimmungen von festlich bis todesdüster sorgt Olaf Freese (siehe BTR 2/2019) mit seiner kongenialen und präzisen Lichtgestaltung. Auch die Kostüme von Irina Spreckelmeyer sind in das visuelle Konzept eingebunden mit dunkelroten zeitlosen, strengen Roben für fast alle Darstellerinnen und Darsteller – abgesehen von düsteren Herren in grauen Anzügen und Melone-Hüten als Totengräber. Hamlet aber überlebt, die Inszenierung nicht. Wie Susanne Moser erläuterte, kann sie leider nicht mit umziehen, wird aber bis dahin noch einige Male gespielt (siehe Seite 50). Abschied und Neuanfang liegen für das Haus dicht beieinander vor dem großen Umzug. -

Die Komische Oper der Zukunft
Das Sanierungsprojekt stellen wir detaillierter vor, sobald die genehmigte Planung vorliegt und auch mehr zu Terminen und Kosten bekannt ist. Das siegreiche Projekt der Architekten kadawittfeldarchitektur wurde vor allem für die Vielgestaltigkeit des Baukörpers und den Respekt und die gleichzeitige Weiterentwicklung des Bestehenden gelobt. Die Architekten stellen das Projekt wie folgt vor: „Die Komische Oper liegt in Berlin -Mitte, zwischen Unter den Linden und Behrenstraße in unmittelbarer Nähe zum Pariser Platz und Brandenburger Tor. Der in die Jahre gekommene Bestand, der aus verschiedenen denkmalgeschützten Baukörpern unterschiedlicher Epochen von 1890–1980 besteht, wird behutsam ertüchtigt und saniert; verschiedene Zeitschichten, die von der reichen Geschichte des Hauses erzählen, bleiben erhalten und werden teilweise wieder freigelegt. Der Neubau an der Glinkastraße ergänzt mit verschiedenen kleinteiligen Volumen die Funktionsbereiche der Oper und optimiert deren organisatorische Abläufe. Die Fassaden setzten sich – einem inszenierten Bühnenbild gleich – aus verschiedenen Elementen und Materialien zusammen, die aus dem Gestaltungskanon der Bestandsfassaden entwickelt wurden. Strukturierte Oberflächen aus Stein, Stahl, Keramik und Metall in unterschiedlichen Champagner- bis Rottönen bilden die vier verschiedenen Funktionsbereiche des Neubaus nach außen ab. Die publikumswirksamen Bereiche im Erdgeschoss wie Kasse, Eingänge, Café und Casino besitzen transparente Glasfassaden. Durch die Vor- und Rücksprünge der einzelnen Volumina entstehen Balkone, Loggien und begrünte Dachterrassen.“

Die Bühnentechnische Rundschau im Internet: https://www.der-theaterverlag.de/buehnentechnische-rundschau/