Welt.de online vom 23.05.2023

Seit Jahren wird über die Frage gestritten, ob ein Teil der Berliner Friedrichstraße autofrei sein soll. Schon zweimal wurde die Straße für motorisierten Verkehr gesperrt. Nun nimmt das Thema eine neue Wendung.

Der jahrelange Streit über eine autofreie Berliner Friedrichstraße ist um ein Kapitel reicher: Nachdem ein rund 500 Meter langer Abschnitt nahe dem Gendarmenmarkt für die Einrichtung einer Fußgängerzone schon zwei Mal gesperrt wurde, dürfen dort in gut einem Monat wieder motorisierte Fahrzeuge rollen. Das teilte die nunmehr von der CDU geführte Verkehrsverwaltung am Dienstag mit.

Hintergrund der Entscheidung seien Einsprüche von Anliegern gegen die Sperrung des Abschnitts zwischen Leipziger und Französischer Straße, die zum Teil mit einem gerichtlichen Eilverfahren verbunden seien. Man wolle den Beschwerdeführern ein Moratorium anbieten und im Herbst einen breiten Beteiligungsprozess für ein städtebauliches und verkehrliches Gesamtkonzepts für die historische Mitte starten. Hier müssten Friedrichstraße, das Umfeld des Gendarmenmarktes und der Checkpoint Charlie gemeinsam gedacht werden.

Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) sagte, sie strebe für die Friedrichstraße und angrenzende Bereiche ein Konzept an, das den Bedarf und die Interessen der Anwohner und Gewerbetreibenden berücksichtige. "Für diesen wichtigen Ort in der historischen Mitte unserer Stadt werden wir deshalb nichts einfach nur vorgeben, sondern eine nachhaltig funktionierende Lösung gemeinsam mit den Betroffenen entwickeln." Sie setze hier auf ein "Miteinander".

Im August 2020 war der fragliche Abschnitt der Friedrichstraße unter Rot-Rot-Grün im Zuge eines Modellprojekts für die Verkehrswende erstmals gesperrt worden. Nach Abschluss eines Verkehrsversuchs gab es dafür aber keine Rechtsgrundlage mehr, deswegen wurde der Bereich im November 2022 zunächst wieder freigegeben.

Seit 30. Januar dieses Jahres sind Autos dort auf Betreiben der damaligen Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) wieder tabu. Zuvor hatte das Bezirksamt Mitte eine Umwidmung der Straße zur Fußgängerzone angeordnet - über dieses Vorgehen wird seither juristisch gestritten.

Mit dem nun angekündigten Moratorium will die Verkehrsverwaltung nach eigenen Angaben sicherstellen, dass die dauerhafte Gestaltung der historischen Mitte nicht durch parallele juristische Verfahren eingeschränkt wird oder Vorfestlegungen durch ein Gericht getroffen werden.

Die Reaktionen auf die Entscheidung der Verkehrsverwaltung fielen unterschiedlich aus. Der Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer (IHK), Robert Rückel, nannte sie "folgerichtig". "Und sie bietet die Chance auf den dringend notwendigen Neustart in diesem festgefahrenen Prozess." Die Vereinigung der Unternehmensverbände erklärte, es sei richtig, die Zukunft der Friedrichstraße und der angrenzenden Straßen noch einmal neu zu denken.

CDU-Fraktionschef Dirk Stettner erklärte, mit der Entscheidung werde "dogmatischer Unsinn zu Lasten von Anwohnern, Gewerbetreibenden und Autofahrern" beendet. Der SPD-Verkehrspolitiker Tino Schopf sagte: "Das jetzige Erscheinungsbild der Friedrichstraße ist nicht einladend und darum die Aufhebung richtig." AfD-Fraktionschefin Kristin Brinker meinte, die wichtige Nord-Süd-Verbindung sei für einen funktionierenden Individualverkehr in der Mitte Berlins unverzichtbar. "Diese übergeordnete Bedeutung der Straße muss bei künftigen Planungen für die historische Mitte berücksichtigt werden."

Die Grünen-Fraktion übte Kritik. "Das ewige Hin und Her sorgt für neue Unruhe und schadet in erster Linie der Wirtschaft", erklärte deren Sprecherin für Verkehrspolitik, Antje Kapek. Dass es in der Friedrichstraße zu Beginn der Sommerzeit mit vielen Touristen wieder Lärm und Abgase geben solle, sei unverständlich. "Das schadet vor allem den Gewerbetreibenden vor Ort, die kaum noch Platz für Tische und Bänke vor ihren Läden haben werden." Die Bezirksbürgermeisterin von Mitte, Stefanie Remlinger (Grüne), zeigte sich "überrascht", dass ab 1. Juli wieder Autos fahren sollen. " Der Bezirk bedauert, dass der Senat die Friedrichstraße nicht zumindest den Sommer über für Menschen zu Fuß geöffnet belassen hat", hieß es in einer Mitteilung.

Die Sperrung des fraglichen Abschnitts sollte aus Sicht der Grünen als Musterbeispiel dienen für eine ökologische Verkehrswende weg vom Auto und eine gerechtere Aufteilung des öffentlichen Raums. Gleichzeitig verfolgten die Befürworter das Ziel, die Friedrichstraße wirtschaftlich wiederzubeleben. Zuletzt hatte die Einkaufsmeile, an der das Luxuskaufhaus Galeries Lafayette liegt, im Vergleich zum Kurfürstendamm an Boden verloren. Viele Geschäfte schlossen - auch im Zuge der Corona-Pandemie. Das Bündnis "Rettet die Friedrichstraße!", dem Gewerbetreibende und Anwohner angehören, hatte gegen die Sperrung mobil gemacht.

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