Tagesspiegel vom 25.05.2023 von Christiane Peitz

„Es war schon fünf nach zwölf“
Die ehemaligen Zentralen Tierlaboratorien der Charité zwischen Teltowkanal und Hindenburgdamm in Lichterfelde, der sogenannte Mäusebunker, wurden vom Landesdenkmalamt jetzt unter Denkmalschutz gestellt. Inzwischen steht dank eines größeren Werkstattverfahrens fest: Die Berliner Brutalismus-Ikone kann tatsächlich nachgenutzt werden.
Um das Bauwerk, das mit seinen wie Kanonenrohre aus dem Betonpanzer ragenden blauen Entlüftungsrohren an einen Panzerkreuzer erinnert, gab es in den letzten Jahren eine leidenschaftliche Debatte. Errichtet wurde der Mäusebunker zwischen 1971 und 1978 für 134 Millionen Mark, nach einem Entwurf von Gerd und Magdalena Hänska. Vielen galt er als das hässlichste Bauwerk Berlins.
Nachdem 2020 die letzten Labormäuse auf das Klinikgelände in Buch umgezogen waren, wollte die Charité das Gelände in Lichterfelde anderweitig nutzen und beantragte den Abriss. Vor einigen Jahren begann aber auch die (Wieder-)Entdeckung des Brutalismus als verkannter Architekturstil. Architekten, Kunsthistoriker und Architekturfreunde starteten eine Rettungsaktion für den Mäusebunker. Heute genießt der in Ausstellungen, Filmen, Publikationen und Veranstaltungen zur Technikmoderne gewürdigte Bau Kultstatus, nicht nur bei Brutalismus-Fans in aller Welt.

Herr Rauhut, die Charité wollte den Mäusebunker 2020 abreißen, die Genehmigung war schon vorhanden. Bürgerinitiativen haben das verhindert. Wieso wird er erst jetzt unter Denkmalschutz gestellt, fast zweieinhalb Jahre später als das Hygiene-Institut gleich gegenüber?
Es lag an der schon vorliegenden Abrissgenehmigung. Das Landesdenkmalamt hatte den Fall bis dahin nicht geprüft: Der Brutalismus war ja erst nach der „SOS Brutalismus“-Ausstellung 2017 im Frankfurter Architekturmuseum allmählich ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Ausgangslage war dann schwierig: Die Charité wollte das Gelände für eine Erweiterung des Benjamin-Franklin-Campus nutzen, während der Denkmalwert des Mäusebunkers immer deutlicher wurde. In der Tat verdanken wir es dem Engagement vieler Menschen im In- und Ausland, dass die Uhr von fünf nach zwölf auf fünf vor zwölf zurückgedreht werden konnte.

Mit der Unterschutzstellung bleibt es nun dabei, dass hier zwei sehr unterschiedliche brutalistische Architekturen nebeneinander anzutreffen sind: der organischere Bau des Hygiene-Instituts, in das künftig ein Fraunhofer-Institut ziehen soll, vom Architekturbüro Fehling + Gogel mit seinem geschwungenen Beton und der strenge Kubus der Hänskas.

Wie ging es dann um fünf vor zwölf weiter?
Wir haben uns zusammengesetzt, das Land, der Bezirk, die Charité und das Denkmalamt, und ein städtebauliches Werkstattverfahren angestrengt. Es wurde klar, dass die Charité das Areal doch nicht zur Weiterentwicklung des Campus benötigt. Damit war der Druck vom Mäusebunker genommen.

Das Landesdenkmalamt leitete daraufhin ein Modellverfahren in die Wege. Was ist darunter zu verstehen?
Modellhaft ist das Verfahren zum einen, weil wir alle Beteiligten frühzeitig in einer Reihe von Fachwerkstätten an einen Tisch gebracht haben, die Protagonisten auf Senats- wie auf Bezirksebene, die Charité und auch Akteure aus den Hochschulen, den Bund Deutsche Architektinnen und Architekten oder etwa den Regionalinkubator Berlin Südwest. Zum anderen übernimmt das Landesdenkmalamt erstmals die Koordination bei einem solchen Verfahren. Wir wollten klären, ob man einen derart ungewöhnlichen Bau überhaupt nachnutzen kann, und zwar als Denkmal. Die Antwort lautet: ja.

Das Beton-Schlachtschiff lässt sich ja nicht so einfach umnutzen. Es ist schlecht belüftet, hat sehr kleinteilige Laborgeschosse und 2,25 Meter niedrige Technikgeschosse. Welche Ideen gibt es da inzwischen?
Zu den Restriktionen des Baus gehören die Schadstoffbelastung und die schlechte Belichtung. Zu den Talenten gehört seine Statik: die hohe Deckentraglast sowie die Tatsache, dass dieser von außen so kompakt wirkende Flächenspeicher aus fünf statisch separaten und potenziell autonomen Bausegmenten besteht. Deshalb ist der Mäusebunker ideal für Mischnutzungen. Cafés, Veranstaltungsräume, gewerbliche Nutzungen, Räume für die Forschung und die künstlerische Praxis, so ließe er sich aktivieren. In dieser Gegend am Teltow-Kanal fehlt es ohnehin an Orten für die Stadtgesellschaft.

Und wie kann es heller werden? Die Technikgeschosse haben gar keine Fenster, die Laboretagen nur kleine Gauben.
Laut Untersuchungen des Natural Building Labs der TU Berlin lassen sich Lichthöfe in das Gebäude schneiden. Durch gezielte architektonische Eingriffe sind das Belüftungs- und das Belichtungsproblem lösbar. Aufwändiger ist die Entsorgung der Schadstoffe, ein hoher Kostenfaktor. Aber das Land Berlin müsste diese Kosten auch dann aufbringen, wenn nicht nachgenutzt würde.

Im Modellverfahren ist öfter von Kohabitation die Rede. Flora und Fauna übernehmen die flachen Technikgeschosse, der Mensch zieht in die Laboretagen ein: eine schöne Spinnerei? Oder der ernstgemeinte Versuch einer Wiedergutmachung an einem Ort, an dem Tierversuche stattfanden?
Wir haben sogar diskutiert, ob wir das Gebäude der Natur und den Tieren komplett überlassen. Aber sein Wert für die Stadtentwicklung ist doch zu hoch. Natürlich sollte bei der Nachnutzung das Verhältnis von Mensch und Tier thematisiert werden, schon weil die Ästhetik des Gebäudes von seiner Geschichte geprägt ist. Warum nicht gerade hier über einen anderen Umgang der Wissenschaft zur Natur nachdenken? West- Berlin investierte in den 70er und 80er Jahren in Wissenschaftsbauten, weil Wissen als wichtige Ressource galt in einer Stadt, die wenig anderweitige Schätze hatte. Der Mäusebunker stellt eine Frage an uns: Wie gehen wir mit hochspezifischen Bauten aus dieser Zeit um, in der wir irrigerweise annahmen, Energie und Ressourcen seien im Überfluss vorhanden? Damals wurde europaweit sehr viel Geld für sehr aufwändige Gebäude ausgegeben, die schwierig nachzunutzen sind. In Berlin trifft das unter anderem auch auf das ICC zu.

Das heißt, wenn eine Umnutzung beim Mäusebunker gelingt, gelingt sie anderswo bestimmt?
Wir müssen vor allem klären, ob die Entwicklung über eine Konzeptvergabe oder über eine Public Civic Partnership laufen soll wie beim Haus der Statistik. Das wird jetzt saniert und soll von der Zivilgesellschaft und von der Berliner Verwaltung genutzt werden. Beide treiben gemeinsam die Entwicklung voran. Auch beim Mäusebunker gibt es private Interessenten.

Der Architekt Arno Brandlhuber und der Galerist Johann König, die die brutalistische St. Agnes-Kirche zur Galerie umgebaut haben, wollten den Mäusebunker für 2,87 Millionen Euro kaufen. Das ist der Grundstückswert minus die Kosten für die Schadstoffbeseitigung.
Auch andere haben uns kontaktiert. Für manche Immobilienentwickler sind schwierige Bestandsgebäude offenbar spannend. Wir müssen alle vertrösten, bis entschieden ist, ob das Gebäude als landeseigenes Projekt oder etwa über eine Erbpacht von privater Seite entwickelt werden soll.

Und wie ist nun der Stand der Dinge beim ICC?
Anders als beim Mäusebunker ist dort die Nutzung nicht offen, denn das ICC kommt nur für Kongress- und Kulturzwecke infrage. Deshalb ist hier eine Konzeptvergabe sinnvoll, um einen Betreiber und Nutzer zu finden. Die Wirtschaftsverwaltung bereitet sie derzeit vor, das Landesdenkmalamt ist eingebunden. Die Herausforderung wird sein, jemanden zu finden, der dort so viel Programm stattfinden lassen, dass das ICC sich rechnet. Ein weiteres Modellverfahren à la Mäusebunker könnte es vielleicht bei den Autobahnröhren durch die Schlangenbader Straße geben. Der Tunnel wird wegen der enormen Sanierungskosten vielleicht nie wieder geöffnet, aber die Wohnanlage darüber soll bleiben. Wir führen dazu erste Gespräche mit der Verkehrsverwaltung .

Als Berlins Landeskonservator sagen Sie: Denkmalschutz ist Klimaschutz. Gilt das exemplarisch auch für den Mäusebunker?

Die Klimakrise zwingt uns, unser Verhältnis zum Bestand neu zu denken. Abrisse können wir uns eigentlich nicht mehr leisten, schon wegen der grauen Energie, die in den Gebäuden gespeichert ist, also den bereits bei ihrer Erstellung erfolgten CO₂-Emissionen. Der Abriss sorgt für neuen CO₂-Ausstoß, ein Neubau sowieso. Deshalb verstehe ich den Mäusebunker als Reallabor dafür, wie die Bauwende in der Klimakrise zu schaffen ist.

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Zitat
Abrisse können wir uns eigentlich nicht mehr leisten. Ich verstehe den Mäusebunker als Reallabor dafür, wie die Bauwende in der Klimakrise zu schaffen ist.
Christoph Rauhut , Landeskonservator Berlin

Infobox
Eine Zukunft für den Mäusebunker
Das Landesdenkmalamt, seit 2018 unter Leitung von Christoph Rauhut, hat zur Zukunft des Mäusebunkers seit 2021 ein Modellverfahren organisiert. Die Ergebnisse werden am 30. Juni in der Berlinischen Galerie vorgestellt, die an diesem Donnerstag wiedereröffnet wird. Zu den neuen Ausstellungen gehört die Architektur-Schau „Suddenly Wonderful“ über markante, schwierig umzunutzende West- Berliner Zeugnisse der Technikmoderne wie das ICC, der Mäusebunker und das ehemalige Hygiene-Institut.

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