BBU-Chefin Maren Kern warnt: Der Heizungsaustausch wird nicht nur für Hausbesitzer teuer. Womit Mieterinnen und Mieter in Berlin rechnen müssen
Morgenpost vom 04.06.2023 von Isabell Jürgens

Berlin In Berlin fehlen unterschiedlichen Schätzungen zufolge 100.000 bis 200.000 Wohnungen, doch angesichts stark steigender Bau - und Finanzierungskosten werden zunehmend Bauvorhaben abgeblasen. Zugleich müssen Vermieter durch das geplante Verbot von neuen Öl- und Gasheizungen ab 2024 in neue Wärmeversorgung investieren. Ob das Gesetz wirklich so kommt, bleibt abzuwarten.

Maren Kern, Vorständin des Verbands Berlin -Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), erklärt, was das für Vermieter und Mieter bedeutet.

Nach rund 20 Jahren hat Berlin erstmals wieder einen schwarz-roten Senat. Was für Erwartungen verbinden Sie damit?

Maren Kern: Ich erhoffe mir mehr Lösungsorientierung und dass sich jetzt einiges beschleunigt und vereinfacht, der Koalitionsvertrag gibt das jedenfalls her. Da sind sehr viele Punkte, die ich sehr begrüße. Zudem habe ich nach den ersten Gesprächen mit den Senatsmitgliedern den Eindruck, dass es ein größeres Miteinander der verschiedenen Senatsressorts – unabhängig vom Parteibuch – und sogar eine leichte Aufbruchsstimmung in Berlin gibt. Es ist noch zu früh, um das endgültig beurteilen zu können. Aber diese Aufbruchsstimmung braucht die Stadt und ebenso die Zusammenarbeit der einzelnen Ressorts wie etwa Stadtentwicklung und Verkehr , damit Blockaden gelöst werden, die schon lange vor sich hingedümpelt haben.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Dafür ist es nach rund einem Monat noch zu früh, aber die Richtung stimmt. Die Verwaltungsreform und die Digitalisierung sind wesentliche Punkte, die im Koalitionsvertrag verabredet wurden. Das ist auch eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Bauen beschleunigt wird, zusammen mit dem geplanten Schneller- bauen -Gesetz. Ein größeres Miteinander sehe ich auch bei der Zusammenarbeit mit dem Land Brandenburg. Herr Wegner hatte in dieser Woche seinen Antrittsbesuch in Potsdam. Ich begrüße sehr, dass man sich in den beiden Regierungen nun stärker miteinander abstimmt. Sei es beim 29- oder 49-Euro-Ticket, was in der letzten Legislatur dann auf den letzten Metern nicht abgestimmt war, beim Verkehrswegeplan , beim Thema Wohnen, Unterbringung für Geflüchtete, Klimaschutz oder Flächenausgleich.

Die Abstimmung mit Brandenburg gab es aber doch auch vorher schon? Ich nenne nur den Landesentwicklungsplan Hauptstadtregion Berlin -Brandenburg, der regelmäßig überarbeitet wird.

Aber sehr gebremst! Einen Plan hat es gegeben, auch Ansätze hat es gegeben, aber ich habe einfach den Eindruck, dass das jetzt stärker und zielgerichteter in die Umsetzung kommt.

Auch Verwaltungsreform und Digitalisierung standen schon in diversen Koalitionsverträgen – Papier ist geduldig.

Ja, aber jetzt ist man in den Verhandlungen endlich mal wesentlich konkreter geworden. Die Koalitionäre sind sich über die Ziele einig. Und was uns besonders freut, ist das Kapitel Wohnen.

Was im Speziellen gefällt Ihnen da?

Unter anderem ist das Ziel mit aufgenommen worden, dass annähernd 50 Prozent der Berliner Mietwohnungen im gemeinwohlorientierten Segment sein sollen. Das stand nicht in den vorangegangenen Koalitionsverträgen. Ein für mich auch ganz wichtiges Thema sind die Wohnungsgenossenschaften. Hier haben wir die wichtige Neuerung, dass sie Grund und Boden vom Land Berlin erwerben können. Das ist eine Forderung, die wir schon seit vielen Jahren wiederholen. Erbbauverträge, die Rot-Rot-Grün vereinbart hatten, führen für die Wohnungsgenossenschaften, die dann darauf bauen , zu deutlich erhöhten Mieten.

Weitere positive Punkte?

Dass man die Randbebauung des Tempelhofer Feldes in Angriff nimmt. Wohnungsneubau durch städtische Gesellschaften und auch durch Genossenschaften, das ist die richtige Zielsetzung. Gleiches gilt für die Elisabeth-Aue.

Stadtentwicklungssenator Gaebler hat verkündet, dass er sich für diese Großbauvorhaben einsetzen wird und kleinere und umstrittene Nachverdichtungsvorhaben eher zurückstellen will. Finden sie das richtig oder werden damit Chancen vertan?

Ich würde das nicht gegeneinander ausspielen. Die Schwerpunktsetzung auf große Bauvorhaben mit 5000 oder 10.000 Wohnungen kann ich aber nachvollziehen, weil wir große Stückzahlen beim Neubau brauchen.

Sind denn die Weichenstellungen richtig gestellt, damit bezahlbarer Wohnraum entsteht?

Der Senat arbeitet an einer neuen Wohnungsbauförderung. Da steht im Moment noch infrage, inwiefern dann auch die Privaten dadurch Anreiz haben, in Berlin in den Bau von Sozialwohnungen zu investieren. Aber da ist man den aktuellen Rahmenbedingungen schon ein großes Stück näher gekommen. Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges haben wir auch wohnungswirtschaftlich eine gewandelte Welt. Wir haben nicht nur die Energiekrise, sondern auch um die 40 Prozent gestiegene Baukosten . Die werden sich in Zukunft maximal seitwärts bewegen, eine deutliche Senkung kann ich nicht sehen. Das hängt an den extrem gestiegenen Preisen für Baumaterialien und steigenden Lohnkosten zusammen, hinzu kommen noch die um das Vier- bis Fünffache gestiegenen Zinsen. Insofern haben sich die Rahmenbedingungen für den Neubau, aber auch für Modernisierungen dramatisch verschlechtert. Und wenn wir jetzt über gestiegene Kosten für das Bauen sprechen, dann müssen wir auch über Mieten reden.

Wie hoch muss die Miete sein, damit sich ein Neubau rechnet?

Eigentlich zwischen 16 und 20 Euro pro Quadratmeter, was für viele aber zu hoch ist. Um es mal zu verdeutlichen: Als der BBU 2010 erstmals gefordert hat, dass Berlin wieder in den Wohnungsbau einsteigt, hatten wir noch mit 8,50 bis 9 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter kalkuliert. Bis vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine waren wir bei 11,50 und 12 Euro, jetzt haben wir noch einmal ein Drittel mehr. Das ist etwas, was nur durch eine entsprechende Förderung kompensiert werden kann, wenn auch weiterhin bezahlbare Mieten für breite Schichten der Bevölkerung angeboten werden sollen – und das ist weiterhin unser Ziel. Aber man muss auch realistisch bleiben: Die 6,50 Euro Einstiegsmiete pro Quadratmeter in geförderten Neubauwohnungen, die Berlin zuletzt immer noch gehalten hatte, ist unter den heutigen Bedingungen nicht mehr zu finanzieren. Im geförderten Bereich wären 7,50 oder 8,50 Euro schon sportlich.

Sehen Sie da den Senat in der Pflicht?

Die Förderung muss zunächst auf Bundesebene ansetzen und sollte dann durch die Länder ergänzt werden, um so zu kostengünstigen, bezahlbaren Wohnungen zu kommen. Das gilt nicht nur für den Neubau, sondern auch für Modernisierung.

Bleiben wir noch beim Thema Neubau. Bauverbände prognostizieren einen erheblichen Einbruch bei den Fertigungszahlen, und große Wohnungsunternehmen wie Vonovia, die bei Ihnen neben den Kommunalen und den Genossenschaften ebenfalls Mitglied sind, kündigen an, keine neuen Bauvorhaben in diesem Jahr zu starten. Wie halten es Ihre anderen Mitglieder?

Laut Koalitionsvertrag sollen die sechs kommunalen Wohnungsbaugesellschaften 6500 Wohnungen jährlich errichten – statt bisher 7000. Auch das bleibt ein sehr hochgestecktes Ziel. Die Wohnungsgenossenschaften, private und kirchliche BBU-Mitglieder signalisieren uns in der überwiegenden Zahl, dass sie grundsätzliche Probleme haben mit dem Neubau, dass sie erst mal viele Projekte auf on hold, in Wartestellung, gestellt haben. Die Bauvorhaben , die weit vorangeschritten sind, die bauen sie zu Ende. Das heißt, wir werden auch immer noch neue Baufertigstellungen im nächsten, übernächsten und im darauffolgenden Jahr haben. Aber danach sieht es düster aus.

Wie düster genau?

Wir sehen schon jetzt am Rückgang der Baugenehmigungen , dass die Neubauzahlen künftig einbrechen werden. Auch die Banken melden, dass die kreditfinanzierten Objekte deutlich zurückgegangen sind. Um genauer zu erfassen, worauf wir zusteuern, läuft gerade eine Umfrage unter unseren Mitgliedern, in der wir ihre Investitionsplanungen für die kommenden Jahre abfragen. Das Ergebnis liegt uns noch nicht vor, aber ich wage mal eine Prognose, gestützt auf die Auftragseingänge bei den Baufirmen und die Entwicklung der Baukosten : Ohne die zum Bauen verpflichteten Landeseigenen werden wir bei den Investitionen ein Minus von 20 Prozent verzeichnen. Und trotz der hohen Bauleistungen der Landeseigenen werden wir insgesamt wohl noch bei zehn Prozent weniger Baufertigstellungen gegenüber dem Jahr 2022 landen.

Das würde bedeuten, dass etwa 1700 Wohnungen weniger fertig werden. Also werden in Berlin statt zuletzt 17.000 Wohnungen in diesem Jahr Ihrer Meinung nach nur etwa 15.300 Wohnungen fertig?

Das sind wohlgemerkt nur Schätzungen, verbindlich können wir ohnehin nur für unsere Mitgliedsunternehmen sprechen und die Umfrageergebnisse stehen noch aus. Aber ja – wenn es nicht sogar noch deutlich weniger werden, mittelfristig in jedem Fall. Der Bund ist jedenfalls dringend gefordert, die Rahmenbedingungen für das Bauen zu verbessern. Wir haben seit anderthalb Jahren keine angemessen ausgestatteten Förderprogramme auf Bundesebene. Dazu kommen die gesamten Unklarheiten zum Gebäudeenergiegesetz und auch zur Europäischen Gebäuderichtlinie. Denn obendrauf zu der ohnehin schon angespannten Marktlage am Bau kommt nun noch das ganze Thema Energie.

Wie sind Ihre Mitgliedsunternehmen bei der Energie, insbesondere bei der Wärmeversorgung aufgestellt?

Wir haben die Energiekrise des Winters 22/23 erfreulich gut gemanagt. Der Energieverbrauch bei unseren Mitgliedsunternehmen ist um 15 bis 20 Prozent gesunken. Neben den milden Temperaturen war das auch der Optimierung von Heizungseinstellungen, aber auch den Einsparungen durch die Mieterinnen und Mieter und der Mitglieder der Wohnungsgenossenschaften zu verdanken. Allerdings ist jetzt die Frage: Wird sich das im kommenden Winter fortsetzen? Und da kann ich nur sagen: Achtung an der Bahnsteigkante, in jedem Fall werden die Energiepreise hoch bleiben. Wir müssen auch weiterhin Energie sparen.

Dazu kommt nun das Gebäudeenergiegesetz , besser bekannt als Heizungsaustauschgesetz aus dem Hause von Wirtschaftsminister Robert Habeck. Nach dem, was man jetzt so hört, soll das Verbot von neuen Öl- und Gasheizungen zunächst nur für Neubauten gelten und dann gestaffelt erst für die verschiedenen Altersklassen. Können Ihre Mitgliedsunternehmen aufatmen?

Das ist schon besser, aber noch weg von gut, und wir wissen tatsächlich noch immer nicht, wann und was genau kommen soll. Im Neubau setzen unsere Mitgliedsunternehmen bereits in schätzungsweise 80 Prozent der Wohnungen auf den Einbau von Wärmepumpen oder andere nicht fossile Heizanlagen. Bei den Bestandsgebäuden sieht das anders aus, hier sind viele Fragen offen. Nicht überall sind aus Platz-, Effizienz- oder Lärmgründen Wärmepumpen möglich und sinnvoll. Und was in dem Gebäudeenergiegesetz noch gar keine Beachtung findet, ist die Frage der Finanzierbarkeit der Investitionen im Mietwohnungsbereich und entsprechend auch nach der sozialen Abfederung für die Mieterinnen und Mieter.

Was genau fordern Sie da?

Bislang stand nur das Einfamilienhaus oder Reihenhaus und der Eigentümer, der darin wohnt, im Fokus. Aber der gesamte Mietgeschosswohnungsbau ist überhaupt nicht ausreichend mitgedacht worden. Gerade die soziale Wohnungswirtschaft, also unsere Branche mit den niedrigen Mieten, kann diese ganzen Kosten nicht allein stemmen. Ohne umfassende Unterstützung wird es nicht gehen.

Gibt es denn ihrerseits eine Beispielrechnung, was da so für Kosten beim Mehrfamilienhaus auf die Mieter zukommen?

Nach dem Stand des ersten Entwurfs haben Wohnungsverbände, auch im Zusammenspiel mit der diskutierten Europäischen Gebäuderichtlinie mit ihren weitreichenden Sanierungsvorgaben für Wohngebäude, eine Verdreifachung der bisherigen Modernisierungsinvestitionen prognostiziert. Heruntergebrochen auf unsere Mitgliedsunternehmen würde das bedeuten, dass sie statt 600 Millionen nun 1,8 Milliarden Euro jährlich investieren müssten.

Kosten, die auf die Mieter umgelegt werden?

Grundsätzlich können acht Prozent der Modernisierungskosten auf die Mieter umgelegt werden. Weil wir von dem Gesetz auch ziemlich überrascht wurden und es in den vergangenen Wochen ständig Veränderungen gab, haben wir noch keine genauen Berechnungen, was da auf die Mieter zukommen könnte, wenn das Gesetz in Kraft treten würde.

Berlin ist eine Mieterstadt, kann man nicht dennoch abschätzen, womit Mieter, deren Wohnungen bislang noch mit fossilen Brennstoffen versorgt werden, rechnen müssten?

Ich versuche das mal sehr über den dicken Daumen, die Leute wollen ja wissen, was auf sie zukommen könnte. Vorweggeschickt: Gebäude sind komplexe Gebilde, mit dem Einbau nur einer Wärmepumpe ist es also nicht getan. Das macht nur Sinn, wenn man auch noch mehr an dem Gebäude macht, beispielsweise eine Neuauflage der Dämmung oder den Einbau dreifach verglaster Fenster. Außerdem sind auch Arbeiten an den Heizanlagen in den Wohnungen notwendig, weil Wärmepumpenheizungen nur mit größeren Heizkörpern wirklich effizient sind. Bei einem Altbau, von denen wir in Berlin ja sehr viele haben, kommen so für die Heizungsumstellung schnell 900 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche an reinen Modernisierungskosten zusammen. Selbst wenn davon 30 Prozent gefördert würden – was jetzt mal eine großzügige Annahme ist –, wären das immer noch 420 Euro pro Quadratmeter, die mit acht Prozent auf die Miete umgelegt werden können. Das wären dann 2,80 Euro pro Quadratmeter. Für den Mieterhaushalt in einer 70-Quadratmeter-Wohnung wären es am Ende über 2300 Euro mehr Miete pro Jahr. Das ist ein Haufen Geld.

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