Sechs Personen klagen gegen die Umbenennung der Mohrenstraße, die Klage des Historikers gilt als Leitantrag. Die Geschichte eines Streits.
Berliner Zeitung vom 03.07.2023 von Maritta Tkalec

Unverzüglich“ sollte die Umbenennung der Mohrenstraße nach dem Hauruck-Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Mitte vom August 2020 starten. Drei Jahre sind seither vergangen, die Mohrenstraße heißt immer noch Mohrenstraße. Der Widerstand von Bürgern hat die Eilvollstreckung durch das Bezirksamt Mitte bislang aufgeschoben. Der Versuch der Berliner Verkehrsbetriebe , den U-Bahnhof in Glinkastraße umzubenennen, war schon im Monat zuvor in Peinlichkeit und Rückzug geendet: Die Verantwortlichen hatten doch glatt übersehen, dass der russische Komponist Michail Glinka antisemitische Opern geschrieben hat.

In dieser Woche kommt – so oder so – wieder Bewegung in die nur scheinbar ruhende Streitfrage: Am Donnerstag, den 6. Juli um 10.00 Uhr wird die 1. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts unter dem Vorsitz von Richter Wilfried Peters, Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Berlin , über die von sechs Berliner Bürgern individuell eingereichten Klagen zusammen verhandeln. Als Leitklage gilt die des Historikers Götz Aly, bekannt durch seine Forschungen zum Nationalsozialismus, zuletzt auch zum deutschen Kolonialismus in der Südsee.

Erstmals zur Sache

Andere Klagen, die zahlreiche weitere Berlinerinnen und Bürger eingereicht hatten, waren aus formalen Gründen abgewiesen worden: Sie waren – anders als die jetzt vor Gericht tretenden – keine Anwohner der Mohrenstraße und daher nicht klageberechtigt. Das heißt: Es wird zum ersten Mal in der Sache verhandelt. Bekommen die Kläger Recht, bleibt der Name. Wer ihn weiterhin ändern will, müsste einen neuen Umbenennungsprozess starten.

Die Empörung nach dem Mohrenstraßenbeschluss der BVV war enorm gewesen, denn die grün-rote Zählgemeinschaft in der BVV Berlin Mitte hatte ohne jede Beteiligung von Anwohnern dem Druck aktivistischer Gruppen nachgegeben – für Bürgerinnen und Bürger gab es keine Veranstaltung, keine Information, keine Möglichkeit, andere Namensvorschläge einzureichen oder Alternativen zu debattieren.

Anton Wilhelm Amo (ca. 1703–ca. 1753), der erste bekannte Philosoph schwarzer Hautfarbe in Deutschland, konnte nichts dafür, dass er als Auserwählter von oben ohne Gegenkandidaten zum Namensgeber werden und die Mohrenstraße verdrängen soll – ausgerechnet er, der eine wichtige Disputatio an der Universität Halle zum Thema „De de iure Maurorum in Europa“ (zu Deutsch: Zur Rechtsstellung der Mohren in Europa) geführt hatte und damit heutige Behauptungen, Mohr sei seit ewigen Zeiten ein diskreditierendes Wort, widerlegte. Obendrein wurde die Biografie des gebürtigen Ghanaers von den interessierten Seiten historisch derart verdreht, bis sie passte.

Demokratische Mitsprache war auch nach dem BVV-Beschluss nicht vorgesehen. Zwar hatte die Linke einen Änderungsvorschlag eingebracht, der vorsah, Namensvorschläge zu sichten und eine öffentlich tagende Kommission auswählen zu lassen. Ein „ergebnisoffener öffentlicher Partizipationsprozess“ sollte der Öffentlichkeit die Möglichkeit geben, sich an der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte zu beteiligen. Den Vorschlag für ein solches demokratieübliches Verfahren stimmten Grüne und Sozialdemokraten nieder. Sie brachen auch mit ihrer sonst heiligen Regel, bis zum Erreichen der Geschlechterparität der Straßennamen Straßen nur nach Frauen zu benennen.

Besonders enttäuscht waren vor allem die in der Bürgerinitiative Pro Mohrenstraße Engagierten: Jahrelang hatte ihnen die SPD zugesagt, über einen sachlichen Diskussionsprozess zu einer historischen Einordnung des Namens zu kommen. Es hatten bereits Entwürfe für Informationstafeln vorgelegen. Während der BVV-Debatte hatte Sascha Schug, SPD-Fraktionsvorsitzender, Unwohlsein angesichts des Verfahrens erkennen lassen und eingeräumt: „Ja, wir weichen vom Üblichen ab, aber das ist jetzt notwendig.“ Man gehe auf das Drängen von „Menschen aus dem kolonialen Bereich“ ein. Er gab also zu, demokratische Gepflogenheiten dem Druck einer lauten Minderheit zu opfern.

Zur Begründung hatte es in dem Umbenennungsantrag von Grünen und SPD geheißen: „Nach heutigem Demokratieverständnis ist der bestehende rassistische Kern des Namens belastend und schadet dem internationalen Ansehen Berlins .“ Die Formulierung „nach heutigem Demokratieverständnis“ irritierte die interessierten Bürgerinnen und Bürger zusätzlich. Obendrein wurden Erinnerungen an eine andere Mohrenstraßen-Wegbenennung wach: 1934 hatten die Nationalsozialisten in Coburg, der Stadt, die einen Mohren, den Heiligen Moritz, im Stadtwappen trägt, den Geehrten aus rassistischen Gründen getilgt. Die amerikanischen Befreier der Stadt vom Nationalsozialismus machten den NS-Beschluss von 1934 umgehend rückgängig und gaben der Stadt ihren Patron zurück.

In Mitte folgten der inzwischen wegen Manipulation bei einer Stellenbesetzung abgewählte Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel und die zuständige Kultur-Stadträtin Sabine Weißler (beide Grüne) dem „Ersuchen“ der BVV, die Umbenennung unverzüglich zu exekutieren. In einer Sitzung des Stadtrates fiel dann der entsprechende Beschluss. Die Allgemeinverfügung des Bezirksamts erschien im Amtsblatt vom 14. Mai 2021.

Es hagelte Bürgerprotest: 1134 Personen legten Widerspruch ein. Bald bekam jeder Einzelne Post vom Bezirksamt mit der Androhung von bis zu 741,37 Euro Verwaltungsgebühr. Angesichts dieser Drohkulisse wurden rund 900 Widersprüche zurückgezogen. Aus Leserzuschriften an die Berliner Zeitung sprach Wut über den Umgang des Amtes mit engagierten Bürgern. 237 blieben dabei und zahlten die schließlich auf 148,27 Euro festgelegte Widerspruchsgebühr. Alle Widersprüche wurden abgelehnt.

Lucas Schaal, CDU, holte bei der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus im Februar das Direktmandat in Mitte. Er hat im Wahlkampf die Wut der Bürger über die Verkehrspossen um die Friedrichstraße aufgenommen – und auch den nicht erloschenen Ärger über das Verfahren in der Mohrenstraße gespürt: „Das Thema bewegt die Anwohner hier so stark, dass es in den Diskurs der demokratischen Parteien geholt werden muss“, sagte er der Berliner Zeitung. Keinesfalls dürfe man das emotionale Thema den Extremen überlassen. Den Rechtsbegriff, der in der Formulierung „nach heutigem Demokratieverständnis“ stecke, also nach Gefühlslage, hält der Jurist für „nur schwer operabel“. Er bevorzugt den Weg der Kontextualisierung.

Als sein Parteifreund Joe Chialo, heute Kultursenator, im Herbst 2020 in den Bundestagswahlkampf einstieg, antwortete er im Interview mit der Berliner Zeitung auf die Frage „Mohrenstraße, ja oder nein?“: „Die Diskussion ist sehr aufgeladen – aber ich bin ein Freund des Kontextualisierens. Wenn man den Namen klar einordnet, sodass die Menschen den Zusammenhang erleben, dann ist das in Ordnung.“

Auch er erinnerte an die Stadt Coburg, die den Kopf eines Schwarzen im Wappen führt und damit den Heiligen Mauritius ehrt: „Ich finde den Gedanken großartig: Wenn man den im Mittelalter eingepflanzten Gedanken weiterträgt, in dem man die Abbildung ohne die rassistischen Signale zeitgemäß umwandelt, damit sich niemand daran stößt, wäre eine Heldengeschichte implantiert, die verbindet statt zu spalten.“ Er wolle Brücken bauen .

Der Historiker Götz Aly, langjähriger Kolumnist dieser Zeitung, klagt mit dem Ziel, die Allgemeinverfügung aufzuheben. Sie verstoße gegen den grundgesetzlich geschützten Gleichheitsgrundsatz, gegen das Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebot staatlichen Handelns sowie gegen kommunalrechtliche Regeln. Seinen Widerspruch habe das Bezirksamt nicht inhaltlich geprüft, sondern ein standardisiertes Ablehnungsschreiben verschickt. Zentrale Punkte seiner Argumentation seien hier genannt.

Laut Paragraf 40ff. des Bezirksverwaltungsgesetzes von Berlin wäre das Bezirksamt verpflichtet gewesen, „die Mitwirkung der Einwohnerinnen und Einwohner“ zu fördern und diese rechtzeitig „über ihre Mitwirkungsrechte zu unterrichten“. Das geschah nicht. Den Gleichbehandlungsgrundsatz sieht er verletzt, weil das Bezirksamt zwar anti- und postkoloniale Aktivistengruppen als „zivilgesellschaftliche Akteure“ anerkennt, nicht jedoch jene Bürgerinnen und Bürger, die, wie er selbst, „gegen das Ansinnen begründete Einwände erheben“. Diese Menschen gelten dem Bezirksamt „offensichtlich nicht als gleichrangige oder überhaupt als zivilgesellschaftliche Akteure“.

Auch er argumentiert gegen das Ansinnen, Straßennamen könnten geändert werden, wenn sie „nicht heutigem Demokratieverständnis“ entsprächen: Der „extrem schwammige Begriff“ öffne „interessengeleiteten, jeweils opportunen Interpretationen Tür und Tor“. Er verweist auf das „heutige Demokratieverständnis“ der Orban-Partei in Ungarn oder der Gefolgsleute Donald Trumps in den USA.

Als Historiker betont er, die Mohrenstraße sei Teil der Stadtgeschichte, „ein geschichtliches Monument“. Der Name wurde der Straße in der neu angelegten Friedrichstadt im Jahr 1709 verliehen. Nach 1684 hatte Brandenburg/Preußen mit einem Gesandten von der afrikanischen Westküste, Häuptling Jancke, in Berlin über einen Schutzvertrag verhandelt.

Ob die kleine Delegation an der künftigen Mohrenstraße gewohnt hat, ist ebenso wenig belegt wie andere Spekulationen über Unterkünfte von Hofmohren oder schwarzen Musikern. Fest steht allerdings: „Straßennamen werden nicht in beleidigender Absicht verliehen, sondern in der Regel in ehrender und/oder orientierender Absicht“, sagt Aly. „Niemand würde auf die Idee kommen, die Jüdenstraße umzubenennen, nur weil das Wort Jude immer wieder und sehr häufig als Schimpfwort gebraucht worden ist.“

Die Behauptung der Aktivisten, mit dem Namen Mohrenstraße habe man schwarze Menschen beleidigen wollen, kann demnach als abwegig beiseitegelegt werden. Eine gefühlte Diskriminierung, wie von Aktivisten angeführt, ist nach Auffassung der Kläger, zu denen auch Bodo Berwald, Rechtsanwalt und Vorsitzender der Bürgerinitiative Pro Mohrenstraße gehört, „rechtlich unbeachtlich“: „Maßgeblich ist allein, ob durch den Namen Mohrenstraße aus objektiver Sicht gesetzlich geschützte Rechte schwarzer Menschen verletzt werden und damit dem Ansehen Berlins geschadet wird.“

Zu den vorkolonialen Beziehungen Brandenburg/Preußens und Afrikas (Deutschland wurde 1884 Kolonialmacht, 175 Jahre nach der Benennung der Mohrenstraße) sagte William Gmayi Nsuiban, Historiker am Nationalmuseum in der ghanaischen Hauptstadt Accra, im Jahr 2022 Journalisten des RBB: „Nach allem, was wir wissen, gab es keine Anfeindungen.“ Die Brandenburger seien akzeptiert worden, man habe miteinander Geschäfte gemacht. Diese Geschäfte beinhalteten auch den Verkauf von etwa 20.000 Sklaven durch Afrikaner und deren Transport nach Amerika auf Brandenburger Schiffen.

„Nicht erforderlich“

Zu guter Letzt sei angeführt, welche Auskunft das eigene Bezirksamt dem Bürgermeister und der Stadträtin im November 2020 erteilten: Der Fachbereich 4 im Stadtentwicklungsamt stellte erstens fest: „Die Umbenennung ist im Verkehrsinteresse nicht erforderlich.“ Zweitens: „Der Namensvorschlag (Anton Wilhelm Amo) ist aus Sicht der Orientierungsfunktion öffentlicher Straßen nicht geeignet.“ Neben der angrenzenden Wilhelmstraße eine weitere Straße mit dem Element Wilhelm sei „durchaus problematisch“.

Drittens: Man halte die „angeregte Umbenennung“ der Mohrenstraße für „nicht zulässig“, weil Zweifel daran bestünden, dass der Name dem Ansehen Berlins schade. Viertens „sollte unter dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit abgewogen werden, ob den diversen Anliegern (u.a. Bundesministerien und Botschaften) bei insgesamt 69 Hausnummern tatsächlich eine Adressänderung zugemutet werden sollte“. Schließlich schade, fünftens, die mediale Berichterstattung über langwierige rechtliche Auseinandersetzungen dem Ansehen Berlins mehr als die Beibehaltung des Namens Mohrenstraße.

Das Bezirksamt Mitte hat seine Meinung nicht geändert: Man sei „optimistisch, dass die Straße final umbenannt werden kann. Dafür plant der Bezirk Mitte eine offizielle und öffentliche Einweihungszeremonie.“

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