Ein Schlüssel zum Kloster
Tagesspiegel vom 18.07.2023 von Rolf Brockschmidt

Zunächst schien es ein Routineeinsatz zu sein. Vor dem Münster in Herford, der großen mächtigen Kirche im Zentrum der Stadt, sollte 1989 eine Straße neu gepflastert werden. Bei den Bauarbeiten stießen die Arbeiter schnell auf Funde. Matthias Wemhoff, damals Student der Mittelalter-Archäologie in Freiburg, war gerade als Volontär am Museum für Kunst und Kultur in Münster und wurde von der Bodendenkmalpflege nach Herford geschickt, um sich das anzusehen.

„Ich habe schnell verstanden, dass das Pflaster der Straße am Anfang des 20. Jahrhunderts ohne Unterbau auf Schichten gelegt wurde, die 1000 Jahre älter sind“, erzählt Wemhoff heute. Seit 2008 ist er Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin und damit auch Berliner Landesarchäologe. „Im Straßenraum sind wir dann auf Gräber gestoßen, die zu den frühesten Befunden an diesem Ort gehörten.“

Zeuge der Siedlungsanfänge

In einer sauberen Grube unter zwei Steinen fand Wemhoff eine Kanne mit Henkel und Tülle. „Bisher wurde kein vergleichbares Gefäß gefunden, es gibt uns immer noch Rätsel auf“, sagt er heute. Sicher sei, dass das Gefäß vor 800 vorsichtig in die Grube gelegt und mit zwei Steinen abgedeckt worden ist. Zu dieser Zeit waren eher randlose Töpfe bekannt, von Hand geformt. Ob das außergewöhnliche Gefäß eine Opfergabe war, ist nicht geklärt. In jedem Fall führt der Fund in die Anfänge der mittelalterlichen Besiedlung im Zentrum des heutigen Herfords.Für den damals angehenden Archäologen wurde aus dem spontanen Einsatz zur Klärung der Umstände am Münster eine dreijährige Ausgrabung, die er mit einem Team von bis zu 20 Personen leitete.

Der Hügel, auf dem der Gebäudekomplex errichtet worden war, ist, so die schriftliche Überlieferung, um 789 der Ort gewesen, an dem der adelige Waltger das älteste Kloster Westfalens gegründet hat. „Wir haben drei Jahre rund um die Kirche gegraben und dabei die Bauentwicklung dieses bedeutenden monastischen Komplexes weitgehend klären können“, erzählt Wemhoff. 823 wurde das Stift Herford zur Reichsabtei erhoben und erhielt im 12. Jahrhundert die Reichsunmittelbarkeit, das heißt, die Äbtissin unterstand unmittelbar dem Kaiser und wurde damit zu einer Fürstin des Heiligen Römischen Reiches.

In dem Damenstift hätten vor allem hochadelige Damen gelebt. Die Ehefrau von König Heinrich I., Mathilde, stammte aus diesem seit karolingischer Zeit so bedeutenden Kloster. Das erkläre auch die Größe des ab 1220-1250 erbauten Münsters von Herford, der bis dahin größten Hallenkirche Deutschlands.

Erst aus der Kombination von Kirche und Kloster verstehe man die Dimensionen der Kirche, die durch das seit über 500 Jahren verschwundene Kloster nicht mehr nachvollziehbar gewesen sei. Nun wird demnächst der Grundstein für ein Archäologisches Fenster gelegt, ein doppelgeschossiges Gebäude, aus dem man in die Ausgrabungen hinabsteigen könne.

Fundament der Stadtgeschichte

Allein die bisher an dieser Stelle vorhanden gewesene Nachformung der Klostermauern habe die historischen Zusammenhänge noch nicht erfahrbar gemacht, sagt Wemhoff. Durch das jetzt nach 34 Jahren geplante Gebäude werde der Stadtraum um die große Kirche neu gefasst, dreidimensional markiert und für die Stadtgesellschaft erfahrbar gemacht. Das Kloster zeigt für Wemhoff, was Archäologie für die Stadtgeschichte bedeutet.

Es drängt sich die Parallele zum Neuen Markt in Berlin auf: Ihn sichtbar zu machen, würde die Funktion der Berliner Marienkirche, die jetzt als Solitär am Rathausforum steht, unterstreichen. In Herford hat Wemhoff als Berater beim Archäologischen Fenster gezeigt, wie wichtig Sichtbarkeit von Stadtstrukturen sein kann. Die Grabung rund um das Herforder Münster machte er dann 1992 in seiner Dissertation zum Thema – legte damit den Grundstein für seine wissenschaftliche Karriere.

Der Tagesspiegel im Internet: www.tagesspiegel.de