Kein neues Senatsmitglied hat so polarisiert wie Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU). Ein Gespräch über Radwege, das Vorbild Barcelona und neue Ideen für Parkplätze
Morgenpost vom 21.07.2023 von Joachim Fahrun und Jessica Hanack

Berlin Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) hat seit Beginn ihrer noch kurzen Amtszeit für viel Aufsehen gesorgt: Durch die Friedrichstraße fahren seit Juli wieder Autos, Schreiner hat diverse Radwegeprojekte noch einmal angehalten, um die Planungen zu überprüfen – und ist dafür viel kritisiert worden. Im Interview spricht sie über ihre Ansprüche an die Verkehrsplanung , die Entsiegelung von Flächen und Pläne für das Parken in der Stadt.

Frau Schreiner, Sie stehen durch Ihre Entscheidungen zur Radwegeplanung zurzeit stark in der Kritik. Wie haben Sie die vergangenen Wochen erlebt?

Manja Schreiner : Ich bin in der Politik angekommen, würde ich sagen. Das hat tatsächlich großen Widerhall und ein großes Medienecho hervorgerufen. Wir sind aber dafür angetreten, dass wir Sachen anders machen. Die Linie, die wir beim Radwegeausbau verfolgen, ist klar vorgezeichnet: Wir wollen Radwege bauen , sogar mehr Radwege bauen . In Berlin soll ein Radwegenetz von 2700 Kilometern entstehen, aber in dreieinhalb Jahren schaffen wir natürlich nur einen Bruchteil davon. Jetzt geht es darum zu schauen, welche Projekte wir uns vornehmen, um effektiv Lücken zu schließen und Außenbezirke besser anzubinden.

Haben Sie manchmal Angst um Ihren Mann, der mit seinem Dienst-E-Bike in Berlin unterwegs ist?

Mein Mann ist tatsächlich schon zwei Mal gestürzt. Ich weiß um die Gefährlichkeit für Fahrradfahrer in der Stadt, meine Kinder fahren auch regelmäßig Fahrrad. Und ich sehe auch aus der Perspektive einer Autofahrerin all die gefährlichen Situationen, die im Verkehr entstehen. Der Autofahrer hat natürlich seine Knautschzone und ein größeres Gefährt, deshalb ist es richtig, aus der Sicht der ungeschützten Verkehrsteilnehmer auf die Straßen zu schauen, weil die am gefährdetsten sind.

Das heißt: Wenn Sie von vielen jetzt als Autolobbyistin gesehen werden, fühlen Sie sich da falsch eingeschätzt?

Ich nehme alle in den Blick. Es geht um ein Miteinander statt eines Gegeneinanders. Es geht darum, dass wir keine singuläre Betrachtung machen, sondern alle anderen Bedürfnisse auch in den Blick nehmen.

Jetzt gibt es aber Radverkehrsprojekte wie an der Grunewaldstraße, bei denen verschiedene Akteure wie auch die IHK und die BVG schon einbezogen waren. Sie wollen die Planungen trotzdem noch mal überarbeiten. Was wollen Sie dabei noch verändern?

Es ist eine Art Check. Dabei wird geschaut, ob alle Kriterien für Verkehrssicherheit und für die Leistungsfähigkeit einer Straße berücksichtigt wurden. Es gibt immer wieder Planungen in der Stadt, die nicht gelungen sind. Das schadet der Akzeptanz von Radverkehrsprojekten. Viele Menschen können es nicht nachvollziehen, wenn eine Fließspur weggenommen wird und auf dem neuen Radweg dann gar kein Radverkehr stattfindet.

Aber schafft nicht das Angebot auch die Nachfrage?

Wir wollen, wie gesagt, Radwege bauen . Auch bei den Projekten, die wir uns jetzt noch mal anschauen, steht fest, dass ein Radweg entsteht. Aber wir nehmen mehr in den Blick. Bei den Projekten, die wir jetzt wieder freigegeben haben, hat sich gezeigt, dass kleine Änderungen möglich sind, um das Thema Verkehrssicherheit noch besser zu berücksichtigen. Bei der Grunewaldstraße weiß ich, dass es eine umfassende Beteiligung für den Bereich Liefer- und Wirtschaftsverkehr gegeben hat . Das ist beispielgebend. Wir haben uns die Grunewaldstraße nicht wegen der geplanten Lieferzonen noch mal genauer angeguckt. Es ging unter anderem darum, wie viele Kreuzungen betroffen sind und wie viele gefährliche Situationen dort entstehen können.

Für Ihr Vorgehen gab es nicht nur Kritik, sondern auch Beifall. Viele Menschen haben die CDU auch gewählt, weil sie weiter Auto fahren wollen wie bisher. Produzieren Sie da nicht auch Enttäuschungen, wenn Sie sagen, Sie wollen eigentlich mehr Radwege bauen als die Vorgängerregierung?

Das Bedürfnis der Menschen kann ich nachvollziehen. Viele sind auf das Auto angewiesen, auch für den Wirtschaftsverkehr brauchen wir es. Wir benötigen deshalb auch weiter gute, leistungsfähige Hauptstraßen, um dafür ruhige Kieze zu haben. Das ist letztlich auch das Superblock-Konzept aus Barcelona. Dort setzt man auf leistungsfähige Trassen, die ein Gebiet umschließen, in dem es dann verkehrsberuhigte Zonen gibt. Auch in Berlin brauchen wir noch Hauptstraßen, die das abfangen, was in anderen Straßen reduziert wird. In den nächsten Jahren kann man das dann noch mal anpassen und mehr Straßenraum für andere Nutzungen freigeben.

Wenn die Menschen weiterhin Auto fahren, müssen sie das auch irgendwo abstellen, auch in den Kiezen. Wie wollen Sie das Parken handhaben?

Wir müssen uns schon über das Parken Gedanken machen. Es gibt platzsparende Lösungen, die eher in die Höhe gehen und in der Stadt also auch auf kleinerer Grundfläche funktionieren. Tiefgaragen sind im Bau sehr teuer, deshalb muss man gucken, welche Alternativen gibt es, um Parkraum auf privaten Flächen zu schaffen, damit man aus dem öffentlichen Raum rauskommt.

Dafür muss doch dann aber das Parken im öffentlichen Raum so teuer werden, dass die Menschen sagen: Das Parken im Parkhaus ist für mich eine Alternative.

Das Thema werden wir diskutieren. Bei den bestehenden Parkhäusern müssen wir uns anschauen, wie man gute Angebote schafft, weil viele im Moment leer stehen. Was das Thema Parkraumbewirtschaftung angeht, kann ich mir Privilegierungen von E-Fahrzeugen gut vorstellen. Aber Fakt ist: Wir können nicht einfach das Parken teurer machen ohne ein Konzept, wie man die soziale Lage oder Menschen im Schichtdienst berücksichtigt.

Sie haben bei der Überprüfung von Radwegen auch immer wieder auf den öffentlichen Nahverkehr verwiesen, für den es keine Nachteile geben soll. Was planen Sie denn, um Busse und Straßenbahnen zu beschleunigen?

Bei Busspuren hat sich zuletzt wenig getan. Ich setze mich auf Bundesebene für Änderungen in der Straßenverkehrsordnung ein, damit wir mehr Flexibilität haben und Busspuren rechtssicher anlegen können. Für Busfahrer ist es natürlich Stress, wenn sie im Stau stehen, deshalb brauchen wir Busspuren und Vorrangschaltungen. Aber ich glaube, auf lange Sicht wird das nicht reichen. Wir sollten unsere Wasserwege noch besser nutzen für den Personen- und Güterverkehr. Und durch den Mangel an Busfahrern müssen wir für kleinteilige Verkehre in den Kiezen perspektivisch über autonomes Fahren nachdenken. Andere Städte wie San Francisco machen das vor. Das gehört zum Mobilitätsmix dazu. Außerdem setzen wir die U-Bahn- Planung ganz hoch, das ist auch richtig so.

Warum?

Der Straßenraum ist begrenzt. Ich setze darauf, dass die U-Bahn - Planung durch die angestoßene Beschleunigung auf Bundesebene künftig schneller geht. Dazu wollen wir auch auf Landesebene schauen, was man beschleunigen kann. Insgesamt ist die Verkehrswende ein großes Mosaik. Es gibt keinen sachlichen Grund, Verkehrsarten gegeneinander auszuspielen. Es wird nur gemeinsam gehen.

Wie gefällt ihnen eigentlich die Friedrichstraße jetzt, nachdem sie wieder für Autos offen ist?

Sie ist gewöhnlich, aber im Herbst starten wir das Masterplanverfahren für die dauerhafte Gestaltung.

Wird es denn irgendwo anders Fußgängerzonen geben in der Stadt?

Wir haben das Masterplanverfahren für die Berliner Mitte mit Anwohnern und Gewerbetreibenden und werden sehen, was sich daraus ergibt. Prinzipiell haben wir nichts gegen Flaniermeilen und Einkaufszonen. Aber sie müssen funktionieren.

Sie hatten früher schon mal den Hackeschen Markt als Fußgängerzone ins Auge gefasst. Ist das nicht mehr so, weil ihre CDU-Parteifreunde im Bezirk eine Sperrung der anliegenden Straßen für Autos kritisch sehen?

Der Hackesche Markt funktioniert heute schon sehr gut. Da ist für eine Gestaltung als Fußgängerzone nicht mehr viel notwendig, außer natürlich ein funktionierendes Lieferkonzept. Wenn man Einzelbeispiele herausgreift, wird man sofort festgenagelt. An der Friedrichstraße läuft es jetzt so, wie es sein sollte. Dass nämlich nicht die Politik den ersten Pflock einrammt, sondern dass wir ein Beteiligungsverfahren aufsetzen, um Ideen Raum zu geben.

Betrifft das genannte Masterplanverfahren auch Unter den Linden ?

Unter den Linden muss man natürlich großräumig mitbetrachten. Wir haben dort eine schöne Chaussee, deren Straßenraum schon jetzt gut aufgeteilt ist.

Wir reden ja viel über Schwammstadt, Wassermanagement, Umgang mit Starkregen. Dafür müssen weite Flächen entsiegelt werden. Welche sollten das sein?

Ich denke da vor allem an die vielen Parkplätze an Supermärkten. Die Handelsunternehmen sollten ihre Flächen hier moderner und weniger versiegelt gestalten. Da müssen wir auch über Förderprogramme für diejenigen nachdenken, die Flächen öffnen oder anderen Asphalt nutzen. Auch bei großen Plätzen müssen wir Potenziale finden.

Wo sehen Sie die?

Der Alexanderplatz mit seiner riesigen versiegelten Fläche sticht ins Auge. Oder die Flächen rund um das Schloss. Wir müssen Denkmalschutz und Nachhaltigkeit miteinander versöhnen. Das gilt auch für Solaranlagen auf denkmalgeschützten Gebäuden. Wir müssen den Turbo in den Solarausbau bekommen, wenn wir Berlin vor 2045 klimaneutral bekommen wollen. Das läuft im Stadtgebiet über Geothermie, Abwärme von Rechenzentren und Kläranlagen sowie über Solar.

Es begleitet uns schon seit mehreren Jahren der Konflikt um die neue Bauordnung . Sie sind als Umweltsenatorin für die Öko-Aspekte zuständig, müssten sich also beispielsweise für grüne Fassaden, recycelbares Baumaterial oder grüne Dächer einsetzen. Das könnte dem Ziel widersprechen, schnell und günstig zu bauen . Wie werden sie sich verhalten?

Es muss gelingen, beides miteinander zu versöhnen. Ich bin überzeugt, dass Bauen in Zukunft nur noch nachhaltig geht. Aber natürlich ist es für kleine und mittlere Unternehmen schwierig, sich im täglichen Leben auf die Nachhaltigkeit zu fokussieren. Architekten müssen nachhaltige Lösungen entwickeln. Bauherren müssen Ziele entsprechend formulieren. Dann kriegen wir einen großen Schub. Die Banken finanzieren nach ESG-Kriterien, also nach Richtlinien für Umwelt- und Sozialbelange. Wer die nicht einhält, dem bricht womöglich die Finanzierung weg.

Warum kann man das nicht in die Bauordnung schreiben, wenn es ohnehin jeder machen muss?

Faktisch wird es sowieso passieren. Unsere Bauordnung ist schon recht fortschrittlich. Da werden wir auf grüne Aspekte gucken müssen. Das ist meine Aufgabe als Umwelt- und Klimasenatorin, das tue ich auch. Das Problem ist aber, wie wir das in die Umsetzung kriegen.

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