Tagesspiegel.de vom 20.07.2023 von Markus Voigt

Es ist ein Drama: In der vielleicht größten sozialen Frage unserer Zeit treten wir auf der Stelle. Der Wohnungsbau in Deutschland kommt nicht vom Fleck. Die Politik hinkt allen selbstgesteckten Zielen meilenweit hinterher. Statt der von der Bundesregierung avisierten 400.000 neuen Wohnungen werden wir im laufenden Jahr wohl allenfalls etwas mehr als die Hälfte schaffen.

Auch der Blick in die Zukunft verheißt wenig Gutes: Die Zahl der erteilten Baugenehmigungen ist 2022 um fast sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken und beläuft sich nun absolut auf 354.400. Das ist der niedrigste Wert seit 2018. Um die Dynamik der sich verändernden Marktlage zu illustrieren: 2021 wurden mit 380.700 Baugenehmigungen so viel wie seit 1999 nicht erteilt.

Der Wind hat sich gedreht. Wir stehen vor einer Zäsur, es deutet sich eine tiefe Krise der Bauwirtschaft an. Die Zeiten, in denen Projektentwickler gute Geschäfte machten, sind jedenfalls vorbei. Der Giftcocktail aus weiter steigenden Zinsen, explodierenden Materialkosten, fehlenden Fachkräften und teuren Auflagen wird zu einem massiven Substanzverlust im Hochbau führen. Die Großen der Branche stöhnen, viele der kleineren Vertreter ihrer Zunft müssen um ihre Existenz fürchten.

Stillstand auf Baustellen

Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind gerade bei uns in Berlin spürbar. Auf den Baustellen der Hauptstadt herrscht Stillstand. Gehämmert, gemauert und verputzt wird kaum noch. Private Investoren ziehen sich zurück, große Wohnungsunternehmen stellen ihre Neubauaktivitäten vollständig ein. Die Schieflage zwischen Angebot und Nachfrage entwickelt sich zum Wahrzeichen der Stadt, zuletzt sind die Angebotsmieten bei Bestandsimmobilien um sage und schreibe 27 Prozent angestiegen – so rasch wie nirgendwo sonst in Deutschland.

5.000 Euro pro Quadratmeter kostet der Bau einer Wohnung heute mindestens.

Statt der angestrebten 20.000 Fertigstellungen pro Jahr, dürften wir schon im laufenden Jahr allenfalls auf die Hälfte kommen. Es ist heute schlichtweg unmöglich, eine Wohnung mehr für weniger als 5000 Euro pro Quadratmeter zu errichten. Im Gegenzug müssten Investoren Mieten in Höhe von mindestens 16,50 erzielen, um auf ihre Kosten zu kommen. Als sozial verträglich – und politisch gewollt – gilt aber ein Mietniveau von 6,50 bis 7,50 Euro. Was also tun?

Der Bauingenieur Markus Voigt ist Präsident des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) und verhandelte für die CDU-Seite den Koalitionsvertrag in der Arbeitsgruppe Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen mit.

Wenn wir nicht wollen, dass sich Wohnungsnot und Bauwirtschaftskrise eine auf Dauer angelegte Liaison fatale eingehen, müssen wir jetzt handeln. Wir müssen Bedingungen schaffen, die dem Markt wieder Leben einhauchen und es Bauherrn ermöglichen, auskömmlich zu wirtschaften. Alles, was die Kosten weiter steigen lässt, gehört auf den Prüfstand. Insbesondere brauchen wir einen politischen Rahmen, der sich am Primärziel – dem Schaffen von Wohnraum – orientiert.

Keine langen Wunschlisten

Wir können es uns schlichtweg nicht leisten, den Wohnungsbau mit einer langen und teuren Wunschliste zu belasten. Die Logik: Lieber ein Studentenwohnheim ohne Fahrstühle, das tatsächlich entsteht, als ein vollausgestattetes Wohnheim, das Luftschloss bleibt.

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Genehmigungsfiktionen auf breiter Front bringen Tempo in die Prozesse, die Digitalisierung bietet ein enormes Potenzial, um Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen.
Eine intelligente Förderkulisse muss die zur Verfügung stehenden Gelder dort einsetzen, wo sie maximale Wirkung entfalten – und nicht dort, wo sie politisch opportun erscheinen.

Insbesondere aber brauchen wir, gerade bei uns in Berlin , endlich ein Klima, das Planungssicherheit schafft und Investoren nicht als Heuschrecken verunglimpft, sondern als Möglichmacher willkommen heißt. Zeit ist ein entscheidender Faktor: Es gilt, schnellstmöglich alle vorhandenen Kräfte mobilisieren, um eine tiefgreifende Krise zu verhindern. Eine vorausschauende, mutige und auf Kooperation setzende Wohnungspolitik ist ein zentraler Schlüssel für ein soziales und prosperierendes Berlin von morgen.

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