In Mitte müssen fünf wichtige Aufgaben gelöst werden, schreibt Baustadtrat Ephraim Gothe
Berliner Morgenpost vom 23.07.2023 von Ephraim Gothe (SPD), Stadtrat für Stadtentwicklung in Mitte

Berlin In den zwei Jahrzehnten nach der Wende stand kein Stadtteil mehr im Fokus grundlegender Planungen , öffentlicher Debatten und beeindruckender Baustellen als der Bereich zwischen dem Potsdamer und Leipziger Platz und dem neuen Regierungsviertel im Spreebogen . Wie eine Perlenkette reihen sich heute entlang des ehemaligen Mauerverlaufs zwischen Ost und West Europacity, Hauptbahnhof, Humboldthafen, Kanzleramt , Reichstag, Pariser Platz, der Potsdamer Platz inklusive des unterirdischen Regionalbahnhofs bis zum grandiosen Gleisdreieckpark zwischen Schöneberg und Kreuzberg.

Dieser Fokus verlagert sich nun in den Bereich der ehemaligen Berliner Altstadt und der Spreeinsel, erweitert um den Alexanderplatz mit seinen Ausläufern Haus der Statistik und Alexanderstraße, dem Museumsquartier am Köllnischen Park, dem Spittelmarkt und dem Eingang in die Leipziger Straße, über den Gendarmenmarkt , die Friedrichstraße , die Komische Oper und Unter den Linden , wo seit sechs Jahren 52 leere Baumscheiben noch immer auf neue Linden warten.

In den letzten 20 Jahren sind in diesem Stadtraum Dutzende von anspruchsvollen Projekten herangereift, die nun in die bauliche Umsetzung kommen. Und zwar sämtlichst unter den Vorzeichen der Nachhaltigkeitskriterien, die gegenwärtig den Stadtentwicklungsdiskurs in allen Großstädten der Welt bestimmen: Klimaanpassung, Mobilitätswende, Schwammstadt, leistbarer Wohnungsbau in städtischer Hand, Nutzung grauer Energie, Schaffung von sozialer und kultureller Infrastruktur, Energiewende, und alles verbunden mit einem hohen Maß an Partizipation, an Einbindung der Zivilgesellschaft. Wie in der „Neuen Leipzig Charta 2020“ postuliert, hat Berlin nun die Chance, seinen historischen Kern in ein Stadtquartier des Gemeinwohls zu transformieren. Angefangen mit dem Haus der Statistik , wo in großem Maßstab Flächen für soziale und kulturelle Nutzungen, leistbare Wohnungen und ein neues Bezirksrathaus entstehen.

Dazu kommen die Hochhäuser am Alex, die ihre Energie über Geothermie aus Grund- und Abwasser ziehen und die Neugestaltung des großen Freiraums zwischen Fernsehturm und Humboldt Forum. Weiter geht es mit dem Molkenmarkt , wo Tausende Asphaltquadratmeter in ein kleinteiliges, gemischt genutztes Quartier in städtischer Hand verwandelt werden , die Umgestaltung der Alten Münze in einen Kulturstandort und auch dem Flussbadprojekt für den Spreekanal, der Wiedererlangung einer Bauakademie , dem außergewöhnlichen Bau des „House of One“ als gemeinsamem Projekt der drei Buchreligionen, den Bau zweier neuer großer Stadtbrücken unter Betrieb, der Mühlendammbrücke und der Gertraudenbrücke, einem „Leipziger Park“ im breiten Teil der Leipziger Straße, die Liste ist lang und beeindruckend.

Insgesamt können am Haus der Statistik, am Molkenmarkt und an der Breiten Straße rund 700 neue bezahlbare Wohnungen in städtischer Hand entstehen und die Bestände der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) an der Rathauspassage, dem Nikolaiviertel, auf der Fischerinsel und an der Leipziger Straße ergänzen.

Also Vorfreude auf einen Zukunftsort Berliner Mitte? Alles in bester Ordnung? Um nun diese alte Berliner Mitte zu einem Zukunftsort zu transformieren, bedarf es einer planerischen, organisatorischen und partizipativen Kraftanstrengung erster Güte. Es bleiben fünf Herausforderungen, die für die Stadt zu meistern sind:

Die Mobilitätswende
Zwar ist die neue U5 fertig, eine Straßenbahn vom Alex zum Potsdamer Platz inklusive zweier „ verkehrswendetauglicher “ Brücken in Planung , eine Radschnellverbindung durchs Brandenburger Tor bis in die Karl-Marx-Allee ebenfalls, doch der übergeordnete Pkw- Verkehr in Ost-West-Richtung über Karl-Liebknecht-Straße – Unter den Linden und über Grunerstraße – Leipziger Straße ist ungebremst, hier ist bislang noch nicht das Kraut gewachsen, um den „motorisierten Individualverkehr“ wirksam zu reduzieren. Ein integriertes Mobilitätskonzept für die Berliner Mitte, seit sieben Jahren angekündigt, muss nun endlich erarbeitet werden.

Energetisches Quartierskonzept

Alle Teilprojekte arbeiten an Konzepten regenerativer Energie- und Wärmekonzepte. Eine Zusammenschau gibt es nicht, die Bedeutung des Fernwärmenetzes für das Gesamtquartier ist noch nicht ermessen. Stichwort „Kommunale Wärmeplanung“.

Schwammstadt bauen

Am Molkenmarkt wird die größte zusammenhängende Asphaltfläche Berlins nun schon erfolgreich durch archäologische Grabungen abgetragen, kleinteilig bebaute Blöcke mit grünen Innenhöfen sind das Ziel. Karl-Liebknecht-Straße, Grunerstraße, Spandauer Straße, Stralauer Straße, Leipziger Straße bieten noch ein immenses Potenzial für Teilentsiegelung und Hunderte Straßenbäume. Auch dies muss übergreifend geplant werden.

Technische Rahmenkoordination

Das Patchwork der verschiedensten Baustellen verlangt ein hohes Maß an kluger Koordination. Bodendenkmalpflege, Leitungsbau der verschiedensten Leitungsträger, Baustellenverkehr und Erreichbarkeit aller Adressen, dazu eine Vielzahl „Träger öffentlicher Belange“, die stets beteiligt werden müssen, sind herausfordernd. Hierfür gab es in den 1990er-Jahren für die Großbaustelle „Potsdamer Platz/Regierungsviertel“ ein eigenes Referat, das in einer Art permanent tagender Abstimmungskonferenz alle Akteure unter einen Hut brachte. Hierzu werden sich Senat und Bezirk innovativ aufstellen!

Baustelle wird wieder zur Schaustelle

„Wer macht was wann und wo?“, die ständige Einbindung verschiedenster Nachbarschaften ins Geschehen, die begleitende Partizipation zum „wie machen wir es“ und die „Baustelle zur Schaustelle“ machen, ist eine anspruchsvolle Gesamtaufgabe. In den 1990er-Jahren wurde dafür eine riesige rote Infobox auf dem Leipziger Platz errichtet, die selber zur Attraktion wurde.

Berlin hat die Herausforderung erkannt und wird für den „Zukunftsort Berliner Mitte“ eine Förderkulisse aufstellen, die zu 30 Prozent Bundesmittel einwerben kann und die genannten Aufgaben in den Mittelpunkt stellt. Der Bezirk Mitte wird kooperativ mitwirken und darauf achten, dass gerade die lokalen Nachbarschaften, in denen etwa 40.000 Menschen leben, bestmöglich einbezogen werden. Die Liste prominentester Institutionen, die adressiert werden wollen, ist allerdings auch so lang wie beachtenswert. Angestrebt wird das Förderprogramm „Lebendige Zentren und Quartiere (LZQ)“. Die Ausschreibung eines Integrierten Stadtentwicklungskonzepts (ISEK) ist bereits erfolgt.
Auf dieser Grundlage kann der Senat ein Fördergebiet beschließen, um aus der historischen Mitte einen gemeinwohlorientierten Zukunftsort zu machen und dies mit ein Drittel Bund- und zwei Drittel Landfinanzierung.

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