Berlin: Mittelweg für Molkenmarkt in Mitte
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.08.2023 von Matthias Alexander

Im Interview mit der „taz“ hat der Berliner Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler unlängst eine programmatische Aussage gemacht: „Es geht nicht nur um, bauen, bauen, bauen ‘, sondern darum, ,zuhause, zuhause, zuhause‘ zu schaffen in lebendigen Quartieren.“ Die Formulierung ist ungelenk, die Botschaft des pragmatischen und konfliktbereiten Sozialdemokraten dafür klar: Dort, wo größere Flächen neu bebaut werden, will Gaebler einen gestalterischen Ehrgeiz entwickeln, der auf Alltagstauglichkeit zielt. Das täte Berlin zweifellos gut, dessen Baugeschehen zwischen steinern-starrer Investorenarchitekturlangeweile und überspannt-avantgardistischen Ökoinnovationsphantasien hin- und herschwankt.

Der Molkenmarkt bietet Gaebler, seit April im Amt und zuvor etliche Jahre als Staatssekretär in der Behörde tätig, die Möglichkeit zu zeigen, wie man es besser macht. Bei dem Areal südlich des Roten Rathauses handelt es sich um den Nukleus des alten Berlin . Von den Nationalsozialisten, die hier ihr Gauforum errichten wollten, den alliierten Weltkriegsbombern und den Stadtplanern der DDR wurde die kleinteilige Bebauung nach und nach zerstört, bis die Fläche zum wüsten Verkehrsraum verkommen war. In keiner anderen europäischen Metropole ist ein derart bedeutsames Areal vergleichbarer Größe zu überplanen. Für 44.000 Quadratmeter Wohnraum und 48.000 Quadratmeter Gewerbe, soziale Infrastruktur und Kultureinrichtungen ist Platz.

Da sich das Areal weitgehend im Besitz der öffentlichen Hand befindet, ist der politische Gestaltungsspielraum besonders groß. Auch deshalb wird in der Hauptstadt intensiv um die künftige Bebauung des Molkenmarkts gerungen. Das eine Lager fordert, den Molkenmarkt in möglichst enger Anlehnung an den historischen Stadtgrundriss und die alte Parzellierung kleinteilig zu bebauen. Das andere Lager polemisiert gegen jede Form von Anknüpfung an die Baugeschichte , befürchtet die Entstehung eines Luxusviertels für Reiche und setzt sich für ein sozial-ökologisches Musterquartier ein. Die einen registrierten mit Hoffnung, die anderen mit Sorge, dass die als ästhetisch konservativ geltende Architektin Petra Kahlfeldt zum Jahresbeginn 2022 neue Senatsbaudirektorin wurde; als sie das Ergebnis eines städtebaulichen Wettbewerbs zu einer unverbindlichen Empfehlung herabstufte und die Sache in die eigene Hand nahm, befeuerte sie diese Erwartungen noch.

Der Rahmenplan für den Molkenmarkt, den Gaebler nun vorgestellt hat, sorgt für Enttäuschung in beiden Lagern. Das Quartier zwischen Altem Stadthaus, Nikolaiviertel, Rathauspassagen und Littenstraße solle weder ein „supermodernes Quartier“ werden noch werde man ein „Stadtquartier aus dem 13. Jahrhundert rekonstruieren“, so der Senator. Stattdessen soll die Bebauung „historische Bezüge“ aufweisen, nicht zuletzt in den Dachformen. Man könnte auch die angestrebte Autofreiheit historisierend nennen; dezidiert zeitgenössisch sind Dachbegrünung, Regenwassernutzung und Solaranlagen.

Die erwartbaren Reaktionen, den Rahmenplan als Mittelweg im negativen Sinne abzutun, also als Versuch, es allen ein wenig recht zu machen, haben nicht lange auf sich warten lassen. Sie verkennen den entscheidenden Punkt. Der Plan ermöglicht differenzierte städtebauliche Vorgaben, die die Nutzung und Größe der Gebäude von den Straßen und Gassen und ihrer unterschiedlichen Funktion und Lärmbelastung her denken. Es wird sich um eine annähernd klassische Blockrandbebauung handeln, die mit verschiedenen Typologien von Höfen arbeitet. Für einen zentralen Ort dieses Ranges sollte nichts anderes in Betracht kommen. Es ist zudem ein Gestaltungshandbuch angekündigt, dessen Vorgaben Bauherren und Teilnehmer an den angekündigten Architekturwettbewerben folgen müssen. Hier zeigt sich die Handschrift Kahlfeldts.

Eine solche enge städtebauliche und architektonische Führung ist nach den Erfahrungen mit anderen Projekten in Berlin angemessen. Sie muss auch keineswegs verteuernd wirken: Gute Gestaltung ist, anders als oft behauptet, keine Frage des Budgets, sondern geistiger Anstrengung. Für die Bauherren , allen voran die beiden städtischen Gesellschaften WBM und Degewo, wird es angesichts der Preisentwicklung auf dem Bau gleichwohl eine wirtschaftliche Herausforderung sein, insbesondere den Anteil von fünfzig Prozent mietpreisgedämpften Wohnungen darzustellen.  

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