Berliner Zeitung Stadtgespräch vom 28.08.2023 - Interview: Maritta Tkalec 

Unternehmerin Marie-Luise Schwarz-Schilling plädiert für die Wiederauferstehung von Jüdenhof und Gymnasium zum Grauen Kloster

Marie-Luise Schwarz-Schilling ist eine waschechte Berlinerin – geboren in Wilmersdorf und dort auch aufgewachsen. In ihrem Lebenslauf fällt auf, wie oft sie als Pionierin unterwegs war und sich unerschrocken auf neue Felder vorwagte – als Unternehmerin und Autorin und nun als Stifterin, die das Elend in der historischen Stadtmitte beenden will. Wir treffen die elegante 91 Jahre alte Dame voller Tatendrang in ihrer Wohnung in Friedenau. Am Klingelschild ist die Wohnung als Zentrum ihres jüngsten Projektes ausgewiesen: der Stiftung Mitte Berlin .

Frau Schwarz-Schilling, warum haben Sie sich entschlossen, eine Stiftung für die Mitte Berlins zu gründen?

Weil mir aufgefallen war, dass Berlin keine Mitte hat, sondern nur ein Loch. Und da ich Berlinerin bin, hat mich das geärgert. Es gibt schon sehr viele Vereine, die sich um die Mitte Berlins bemühen. Aber sie richten nichts aus. Es wird immer nur das Problem beschrieben, und ich dachte: Nun müssen wir wirklich etwas machen. Und dann habe ich Benedikt Goebel gefunden. Er versteht, was ich meine, wenn ich von der Stadt Berlin spreche: eine schöne, auch gemütliche Stadt und interessante Stadt – hinsichtlich der Gebäude.

Was bringen Sie Neues ein?

Einen unternehmerischen Impuls, und das ist hier etwas Neues. Bisher wollten viele der Leute mit ähnlichen Ansichten vor allem reden. Ich bin Unternehmerin, ich möchte einen messbaren Erfolg. Da ist es mit Reden und dem Schreiben kluger Texte eben nicht getan. Seit zwei Jahren überlegen wir nun gemeinsam, was man bräuchte, um etwas zu ändern.

Und wie lautet die Antwort?

Dass wir Bilder brauchen – die Leute müssen sehen, wie das Stadtzentrum aussehen könnte. Wir haben also Bilder entwickelt, gemeinsam mit einem polnischen Designerbüro. Wir machen Bilder und zeigen sie – im Internet und auch beim Mitte-Fest, das wir vom 1. bis 3. September in der Parochialkirche und um sie herum veranstalten. Es muss sichtbar werden, was anders werden soll. Die Leute müssen sehen können – nicht nur Beschreibungen hören. Bilder können Interesse wecken, Ausstrahlung entfalten, Anteilnahme gewinnen.

Worin besteht der unternehmerische Impuls?

Die Sache braucht finanziellen Anschub, also ausreichend Geld. Und Ergebnisorientierung – man muss sehen, dass etwas daraus wird. Wir haben jetzt zwei Anlaufstellen: Zum einen muss man mit den Entscheidern arbeiten, also dem Senat. Zum anderen ist da natürlich die Öffentlichkeit – denn viele Berliner wissen ja gar nicht, dass sie eine Mitte haben.

Und praktisch?

Nehmen wir das Beispiel der Bilder: Wir waren uns schnell einig, dass wir sie brauchen. Benedikt Goebel wusste, wer schöne Visualisierungen machen kann. Das kostet natürlich Geld, und ich habe gefragt „Na, wie viel denn?“ Als wir das wussten, ging es los. Ein unternehmerisches Herangehen. Nur mit Spenden, wie zuvor, konnte das nicht geleistet werden. So ein Bild zu entwerfen, kostet ja schon um die 1000 Euro. Wir haben jetzt vier wunderbare Bilder, die zeigen, wie verschiedene Orte aussehen könnten – das Graue Kloster, der Molkenmarkt . Und das fünfte kommt. Das machen alles Fachleute Website, Druck – da ist viel zu tun.

Der vollständige Name Ihrer Gründung lautet Stiftung Mitte Berlin – für das Herz der Stadt. Das klingt recht emotional.

Das ist ein Appell ans Gemüt – die Mitte muss ja ein Gemütsort sein, an den man gerne hingeht, an dem man sich freut. Weniger emotional gesprochen, geht es um die Re-Urbanisierung des Stadtkerns, denn dorthin gehören ja nicht nur Bürogebäude. Für mich hat Berlin einen starken Gemütswert als Stadt. Viele Berliner lieben ihren Kiez – aber es mangelt an Liebe für die historische Mitte . Es gibt ja gegenwärtig dort auch wenig Liebenswertes – außer dem Fernsehturm, den wollen wir natürlich alle behalten. Man könnte sich Berlin als einen Körper vorstellen, mit seinen Organen – und das wichtigste unter diesen ist das Herz. Wenn das nicht pulsieren kann, weil dort nichts ist außer Autobahnen, wo nichts los ist, dann ist das schlecht für die ganze Stadt.

Welche Hauptziele soll die Stiftung Mitte erreichen?

Berlin ist ja im 15. Jahrhundert zu einer Fürstenstadt geworden, aber es war vorher schon eine richtige Bürgerstadt. Es gibt nun wieder das Schloss, die Museen – die gute Stube der Stadt. Aber es muss ja auch einen Ort geben, wo sich Anwohner und Touristen von der ganzen Kultur erholen können, ein Bierchen trinken, etwas Leckeres essen, einkaufen können. Das Residenz- Berlin – also neben dem Schloss der Gendarmenmarkt , Unter den Linden , Museumsinsel – ist repariert, aber das bürgerliche Berlin östlich vom Schloss ist ja noch kaputt. Dieses Berlin der Bürger, das wollen wir wieder herstellen. Der Stiftung liegt der Molkenmarkt am Herzen, aber auch das Gebiet zwischen Fernsehturm und Spree. Nach derzeitiger Planung soll da ja ein Park hinkommen ...

Wie soll der Molkenmarkt aussehen?

Das zeigen die Bilder. Alles kommt nun darauf an, welche Gelände der Senat freigibt, damit dort normale Leute etwas bauen können – möglichst in klassischer Weise, aber nicht alles wird klassisch sein können. Dazwischen werden sicherlich auch Plattenbauten stehen, vielleicht in Holzständerbauweise. Aber eigentlich bin ich mit Holz nicht einverstanden, denn wir wollen ja nicht Häuser bauen , die alle zwanzig Jahre rekonstruiert werden müssen und bei einem Abriss viel Material in den Müll geschmissen wird. Stein hingegen überdauert. Holz hält nicht lange und eine Kernstadt gehört in Stein gebaut.

Könnten das die heute als Bauherren vorgesehenen Wohnungsbaugesellschaften?

Wohl nicht, die haben ja eine ganz andere Funktion – schnell, viel und billig bauen . Aber an diesem Ort geht das nicht. Da müssen gute Häuser stehen, die bei guter Pflege, 200 Jahre halten.

Aus den Bildern geht hervor, dass Sie sich eine an das Ende der Zwanzigerjahre angelehnte Bebauung wünschen ...

... ja, es soll so ähnlich aussehen wie vor dem Krieg. Aber natürlich gibt es keine Festlegung, dieses Haus muss so sein, jenes so aussehen. Und dann kommt der Preis ins Spiel, derzeit ist der Grundstückspreis ein Wahnsinn: 13.000 Euro pro Quadratmeter am Molkenmarkt hat der Senat als Bodenrichtwert festgelegt. Wer soll denn kaufen, was die Wohnungsbaugesellschaften dort errichten – und wer soll dafür die Miete zahlen? Allerdings bekam die Wohnungsbaugesellschaft, die dort bauen soll, die Grundstücke in ihr Betriebsvermögen übertragen – sie bezahlte nur einen Euro für die beiden Blöcke A und B am Molkenmarkt .

Das klingt günstig für die Gesellschaften ...

De facto aber treibt sie der Senat in eine schwierige Situation: Sie sollen etwas Besonderes bauen – schön, ökologisch, nachhaltig – und sollen dann weit unter Marktpreisen vermieten. Aber die Gesellschaften müssen alle Bauleistungen von Privat zukaufen, sie haben dafür keine eigenen Kapazitäten – und das kostet. Sie sind also nur Durchreichestationen an die privaten Baukonzerne . Das bedenken Politiker meist nicht genug. Das Bauen eines Quadratmeters Wohnfläche kostet heutzutage bereits 4000 Euro. Bis zum Baubeginn am Molkenmarkt werden sich die Kosten weiter erhöhen. Eine Vermietung für 8,50 Euro pro Quadratmeter ist damit nicht möglich – auch nicht durch Querfinanzierungen. Die Wohnungsbaugesellschaften müssten Wunder bewirken. Wenn es zum Schwur kommt, müssten die Wohnungsbaugesellschaften vom Senat Hunderte Millionen Euro Bauzuschuss erbitten. Träte das ein, stünden private Hausbauer sicherlich bereit – und der Senat könnte seine Millionen für sozialen Wohnungsbau an anderen Orten ausgeben.

Welches Finanzierungskonzept schlagen Sie vor?

Teilprivatisierung. Und der Senat soll den Käufern vorschreiben, ein Drittel der Wohnungen dauerhaft zu reduzierten Mietpreisen anzubieten. Ohne soziale Verpflichtung kein Kaufvertrag. Bei einem Grundstückspreis von 15.000 Euro pro Quadratmeter würde das aber auch nicht funktionieren. Andererseits sind Sozialwohnungen unverzichtbar für die Mischung der Leute, die da wohnen. Damit dort die „ Berliner Mischung“ entsteht.

Streben Sie den Wiederaufbau besonderer Gebäude an?

Ja, den Großen Jüdenhof und das Graue Kloster. Das sind unsere Marksteine, die wir gern wieder so aufgebaut hätten, wie sie vor der Zerstörung waren. Ein Favorit ist auch das Eckhaus am Molkenmarkt 4, wo Johann Friedrich Böttger in der Zornschen Apotheke das Porzellan erfunden hat. Allerdings sind die Fluchtlinien der Straßen 25 Meter zurückversetzt und verdreht – und wir wollen keinen Nachbau auf einem anderen Grundstück. Das wäre eine Schimäre – wenn Wiederaufbau, dann am Originalstandort.

Am Wochenende findet das Mitte-Fest statt, was wäre Ihnen wichtig?

Die Leute sind zum Gucken eingeladen, sie sollen sich treffen, verschiedene Vereine sind da. Sie sollen reden, sich äußern. Wir bieten Altstadt auf Zeit – drei Tage städtisches Leben, mit Essen, Trinken und Musik. Wir zeigen, wie lebendig es sein könnte.

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