Aktuell wird über den Weiterbau der Stadtautobahn diskutiert. Dabei sollte die Umweltbelastung nicht außer Acht gelassen werden
Berliner Zeitung vom 20.09.2023 von Murat Uzun

Die Autobahn A100 in Berlin, einst ein Symbol für Fortschritt und wirtschaftliche Entwicklung, ist heute ein Monument der Kontroverse, das die Zerrissenheit unserer Gesellschaft in Fragen von Umwelt, sozialer Gerechtigkeit und städtischer Planung widerspiegelt. In einer Zeit, in der der Klimawandel nicht mehr ignoriert werden kann und die sozialen Ungleichheiten sich verschärfen, wirkt die Fortführung eines solchen Projekts wie ein Relikt aus einer vergangenen Ära, das sich störrisch gegen den Wandel stemmt.

Die ursprüngliche Idee, West- Berlin effizient an das bundesdeutsche Autobahnnetz anzubinden, mag in der Zeit des Kalten Krieges sinnvoll gewesen sein. Doch heute, in einer vereinten Stadt und einem vereinten Deutschland, wirkt dieses Argument hohl und überholt. Die A100 ist zu einem Fossil der Verkehrspolitik geworden, das die drängenden Fragen unserer Zeit nicht nur ignoriert, sondern sie sogar verschärft.

Ausstoß von Treibhausgasen

Die Umweltauswirkungen sind nicht zu leugnen. Der Bau und die Erweiterung der A100 fördern den Autoverkehr und damit den Ausstoß von Treibhausgasen. Während Städte weltweit daran arbeiten, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren, ist die Fortsetzung dieses Projekts nicht nur rückwärtsgewandt, sondern auch gefährlich. Es ist, als würde man in einem brennenden Haus sitzen und weiterhin mit Streichhölzern spielen.

Auch die sozialen Auswirkungen der A100 sind nicht zu unterschätzen. Die Autobahn zerschneidet Stadtteile und fördert die soziale Segregation. Sie nimmt Raum ein, der für bezahlbaren Wohnraum oder Grünflächen genutzt werden könnte, und konzentriert stattdessen den Verkehr und die damit verbundenen Emissionen in bestimmten Gebieten. Dies hat nicht nur gesundheitliche Folgen für die Anwohner, sondern verschärft auch die sozialen Ungleichheiten in der Stadt.

Wer trifft die Entscheidung über die Fortführung eines so umstrittenen Projekts? Ist es die lokale Politik, die die unmittelbaren Auswirkungen am besten kennt, oder die Bundespolitik, die oft von wirtschaftlichen Interessen und Lobbyismus beeinflusst wird? Die Entscheidungsstrukturen sind undurchsichtig und lassen wenig Raum für die Beteiligung der Bürger, die letztlich die Konsequenzen tragen müssen.

Die Befürworter der A100 präsentieren eine Reihe von Argumenten, die auf den ersten Blick überzeugend wirken könnten. Sie betonen die wirtschaftlichen Vorteile, die verbesserte Verkehrsinfrastruktur und die Entlastung des innerstädtischen Verkehrs als Hauptgründe für den Bau der Autobahn. Auch die Schaffung von Arbeitsplätzen während der Bauphase wird als positiver Nebeneffekt hervorgehoben. Diese Argumente spiegeln eine traditionelle Sichtweise wider, die Autobahnen als Motor für wirtschaftliche Entwicklung und Modernisierung sieht.

Doch halt! Bevor Sie den Spatenstich feiern, sollten Sie einen Moment innehalten. Bei näherer Betrachtung zeigen sich erhebliche Schwächen in dieser Argumentation. Die Annahme, dass der Bau der A100 die wirtschaftliche Entwicklung fördern würde, ist ein Überbleibsel aus einer Zeit, in der Umwelt- und Sozialfragen wenig Beachtung fanden. In der heutigen Zeit der Klimakrise ist es unverantwortlich, Infrastrukturprojekte zu fördern, die den Autoverkehr und damit den CO2-Ausstoß erhöhen.

Und was ist mit der Behauptung, die A100 würde den innerstädtischen Verkehr entlasten? Studien zeigen, dass der Bau neuer Straßen oft zu mehr Verkehr führt, ein Phänomen, das als „induzierter Verkehr “ bekannt ist. Dieser Effekt könnte sogar dazu führen, dass Menschen, die bisher öffentliche Verkehrsmittel genutzt haben, aufgrund der neuen Autobahn wieder auf das Auto umsteigen. Ein klarer Rückschritt in einer Zeit, in der der Fokus eigentlich auf der Förderung nachhaltiger Verkehrsmittel liegen sollte.

Aber warten Sie, es kommt noch besser: Auch die kurzfristige Schaffung von Arbeitsplätzen während der Bauphase kann die langfristigen sozialen und ökologischen Kosten nicht aufwiegen. Die Unterhaltung einer Autobahn ist teuer und bindet Ressourcen, die sinnvoller in den Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln, Radwegen und Fußgängerzonen investiert werden könnten. Somit kommen wir zu der Frage, wie grüne Städte das Leben, auch aus sozialer Perspektive, verbessern können.

In der modernen Welt, in der Städte zu immer dichter besiedelten Zentren des Lebens werden, stellt sich die dringende Frage, wie diese urbanen Räume nachhaltig und gesund gestaltet werden können. Die wissenschaftliche Forschung zeigt immer deutlicher, dass die Art und Weise, wie Städte gebaut und verwaltet werden, direkte Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen, die Qualität des sozialen Lebens, die Erhaltung der Tierwelt und die Vitalität der Kulturszene hat.

Hitzige Debatte

Weniger Autos und Lärm senken den Stress und fördern soziale Interaktionen. Parallel dazu schaffen Grünflächen und Dachgärten Lebensräume für Tiere, was die ökologische Stabilität fördert. Die Kulturszene, angereichert durch Kunst und Musik, bietet den Menschen Entspannung und Inspiration. Insgesamt ist es dringend notwendig, dass Stadtplaner, Politiker und Bürger gemeinsam an einer nachhaltigen Stadtentwicklung arbeiten, um die Lebensqualität für alle zu verbessern.

In der hitzigen Debatte um die A100 in Berlin lohnt es sich, einen Schritt zurückzutreten und das größere Bild zu betrachten. Während Befürworter die wirtschaftlichen Vorteile und die verbesserte Verkehrsinfrastruktur anpreisen, scheinen sie eine Reihe von Fragen zu übersehen, die uns alle betreffen.

Wer von uns möchte wirklich, dass sinnlose Autobahnen unsere Städte durchschneiden, die Umwelt belasten und den sozialen Zusammenhalt untergraben? Ist es das, was wir unter „Fortschritt“ verstehen? Visualisieren Sie eine Stadt, die auf Nachhaltigkeit und Lebensqualität ausgerichtet ist, oder ist die Zukunft, die wir anstreben, eine endlose Schleife aus Stau, Arbeit und Parkplatzsuche?
Die Annahme, dass der Bau der A100 die wirtschaftliche Entwicklung fördern würde, ist ein Überbleibsel aus einer Zeit, in der Umwelt- und Sozialfragen wenig Beachtung fanden.

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