Tagesspiegel vom 09.10.2023 von Boris Buchholz
Die Kinder der Klasse 123c der Steglitzer Rothenburg-Grundschule sitzen auf dem runden Teppich in der Mitte des Klassenzimmers im Kreis. Es geht um die Kalender, die die Kinder ihren Eltern zu Weihnachten basteln. „Ist euch schon einmal aufgefallen, dass die Monate verschieden lang sind?“, fragt Referendarin Pauline Schellin. Doch wie viele Tage hat welcher Monat? Die Kinder ballen ihre Fäuste und Jasper erklärt: „Die Knochen sind die 31 Tage, die ohne 30 Tage.“ Die Lehrerin mag es mehr landschaftlich, jetzt werden Knöchel-Berge und Faust-Täler gezählt.
Als später die Berge, Täler, Monatsnamen und Anzahl der Tage auf einem Übungsblatt gekennzeichnet und notiert werden sollen, helfen die älteren Schülerinnen und Schüler den jüngeren. „Die Ersties können ja noch nicht so gut schreiben“, sagt ein Schüler der dritten Jahrgangsstufe. Und Gloria erklärt einem Jungen noch einmal das Prinzip der Berg-und-Tal-Zählerin: „Schau mal, das geht so.“
Die Rothenburg-Grundschule ist eine von bundesweit nur 15 Schulen, die es in die letzte Runde des Deutschen Schulpreises 2023 geschafft haben; aus Berlin ist sie die einzige Kandidatin. Am Donnerstag wird die Jury verkünden, welche Schule in diesem Jahr zur besten Schule Deutschlands erkoren wird.
Inklusion und Altersmischung passen gut zusammen
Altersmischung ist nur ein Merkmal, dass die Grundschule aus Steglitz auszeichnet. 280 Kinder lernen an der Rothenburg-Grundschule in zwölf Klassen: Die Klassenstufen eins, zwei und drei werden ebenso gemeinsam unterrichtet wie die Klassen vier bis sechs. „Nach einer Woche weißt du nicht mehr, wer Klasse eins, zwei oder drei ist, die Kinder sind dann schon so selbstbewusst geworden“, sagt Kerstin Krins, die Schulleiterin. Dadurch, dass ältere und jüngere Kinder zusammen lernten, funktioniere auch die Inklusion an der Schule gut. Elf Prozent der Kinder haben einen diagnostizierten Förderbedarf .
„Durch die Altersmischung kann sich jedes Kind stark fühlen“, ergänzt Angela Gorek, die stellvertretende Schulleiterin. „Auch ein Kind mit Trisomie 21 kann sich als Drittklässler als wissend erleben.“ Schulleiterin Kerstin Krins schwärmt: „Es ist wunderbar, man hat so viel weniger Verhaltensprobleme.“
Wenn Bedarf erkannt wird, wartet wir nicht ab, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist, wir handeln sofort.Schulleiterin Kerstin Krins.
Was auch daran liegt, dass in der Schule Montessori-Pädagogik mit neuen diagnostischen Methoden kombiniert wird. „Wir haben jedes Kind im Blick“, sagt Kerstin Krins. Und im Computer: „Ich habe eine Schuldatenbank entwickelt und kann bei jedem Kind sehen, wo es gerade steht.“
Schon ab dem ersten Schultag wird für jedes Kind ein Diagnosekalender begonnen, Lernstandserhebungen und „diagnostische Verfahren“ gehören fest zum Schulalltag. Die Schule verfolge das Konzept „Response to Intervention“. Die Schulleiterin erklärt es so: „Wenn Bedarf erkannt wird, wartet wir nicht ab, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist, wir handeln sofort.“
Interdisziplinäre Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
Das Schulklima sei ein weiterer Grund, warum der Preis dieses Jahr nach Steglitz gehen sollte, sind sich das pädagogische Team und die Kinder einig. Es gebe im Kollegium eine große Offenheit, sagt Lehrerin Sofia Vadonis, alles sei transparent. Lehrende, Erzieherinnen und Erzieher sowie Schulhelfer arbeiten gemeinsam in den wöchentlich tagenden Klassenteams. „Man begegnet sich auf Augenhöhe“, bestätigt Erzieher Stefan. „Diese familiäre Atmosphäre und das Arbeiten Hand in Hand, das kenne ich nicht aus anderen Einrichtungen.“
„Ich finde es gut, dass Viert-, Fünft- und Sechstklässler in einer Klasse sind – und dass wir trotzdem nicht so krass viele Kinder sind“, sagt Jasmin aus der Fünften. Die 23 Schülerinnen und Schüler der Klasse 456a sitzen alle im Kreis auf dem Boden. Eigentlich wollten sie die Bestandteile von Bäumen – von Jahresringen bis zur Borke – untersuchen, jetzt beantworten sie die Fragen des Reporters.