Die Stiftung Mitte Berlin setzt sich für die Bebauung von Berlins Mitte nach historischem Vorbild ein.
Morgenpost Online News vom 30.10.2023

Es nieselt, auf der Leipziger Straße dröhnt der mehrspurige Verkehr vorbei, wenige Menschen sind unterwegs und zu allem Überfluss haben an diesem grauen Nachmittag auch noch die wenigen Cafés und Restaurants in näherer Umgebung geschlossen. Berlins historische Mitte , so scheint es, ist fest entschlossen, den Beweis anzutreten, dass die Klage von Marie-Luise Schwarz-Schilling nur allzu berechtigt ist: „Sehen Sie sich doch um, alles ist trostlos und hässlich , die Menschen fühlen sich hier nicht wohl“, sagt die 91-Jährige, die trotz ihres Alters fest entschlossen ist, das zu ändern.

Vor einem Jahr hat die Unternehmerin und Autorin genau zu diesem Zweck die „Stiftung Mitte Berlin “ (SMB) gegründet. Die SMB und ihre Gründerin setzen sich seitdem unermüdlich dafür ein, dass im Bereich der ehemaligen Altstadt, wo dies noch möglich ist, Plätze, Gebäude und Denkmäler aus der Zeit vor 1933 wieder entstehen.

Um zu zeigen, wie eine Rekonstruktion auch unter der Berücksichtigung der heute schon errichteten Gebäude möglich ist, hatte ihre Stiftung das Büro Pixelcraft aus Katowitz/Katowice in Polen damit beauftragt, zu visualisieren, wie die Berliner Mitte künftig aussehen könnte,  wenn die Gebäude der Berliner Mitte 1928 in das Jahr 2028 übertragen werden .

Offenbar überwiegend mit Erfolg: „Wir haben viel positive Resonanz bekommen, sowohl im Senat, in der Presse aber auch in der Bevölkerung“, sagt Marie-Luise Schwarz-Schilling. Das habe sich auch beim kürzlich von der Stiftung in der Parochialkirche ausgerichteten Mitte-Fest gezeigt, zu dem mehr als 600 Menschen kamen, um sich über die Wiedergewinnung des Berliner Stadtkerns zu informieren und zu diskutieren. Im Fokus stand dabei besonders die Rückgewinnung des Großen Jüdenhofs sowie der Wiederaufbau des Gymnasiums zum Grauen Kloster. Allerdings beides Projekte, die im Widerspruch zu den aktuellen Planungen rund um das neue Quartier Molkenmarkt stehen.

Genau das hat allerdings auch dazu geführt, dass der Stiftung nicht nur Wohlwollen entgegenschlägt . Am Molkenmarkt im historischen Zentrum von Berlin wird seit mittlerweile mehr als 25 Jahren geplant und inzwischen seit vier Jahren gebaut. Allerdings betreffen die Bauarbeiten bislang lediglich den Rückbau und die Neutrassierung der überdimensionierten Grunerstraße. Wie die Gebäude aussehen sollen, ist dagegen noch offen.

Seit 2016 gibt es immerhin einen Bebauungsplan für das neue Quartier, anschließend wurden mit aufwendiger Bürgerbeteiligung in zahlreichen Workshops Leitlinien formuliert, die die Grundlage für einen städtebaulichen Wettbewerb lieferten. , ging der Streit darum, wie das Quartier mit rund 450 Wohnungen, Gewerbe und Kulturflächen konkret bebaut werden soll, jedoch erst richtig los.

Denn Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (parteilos, für SPD) kürte auch ein Jahr später nach erneuter Überarbeitung keinen Sieger. Stattdessen hat der Senat im August 2023 auf Basis dieser beiden Entwürfe den Rahmenplan und ein „Gestaltungshandbuch“ zum Molkenmarkt beschlossen. Beide sollen als Grundlage für die anschließenden Hochbau- und Freiraumwettbewerbe dienen.

Ein Vorgehen, das Grüne und vor allem die Linke stark kritisieren , weil sie eine historisierende Architektur statt einer zukunftsorientierten Architektur befürchten, wie es der Grünen-Politiker Julian Schwarz formulierte. Ebenso bildete sich ein Bündnis aus rund 200 unterschiedlichen Initiativen und Einzelpersonen , die einen „Aufruf für ein soziales und ökologisches Modellquartier am Molkenmarkt “ starteten. Die Unterzeichner befürchten, dass „am Ende ein Entwurf steht, der den Leitlinien nicht mehr gerecht wird“.

Stifterin verweist auf die beliebten Gründerzeit-Quartiere

Marie-Luise Schwarz-Schilling hält das jedoch für ungerechtfertigte Kritik an einer am historischen Vorbild orientierten Bebauung . „Wer sagt denn, dass die nicht zukunftsfähig ist?“, entgegnet sie, „historisch ist modern!“. Die Forderung, dass dort nur landeseigene Wohnungsbaugesellschaften möglichst viele Sozialwohnungen errichten sollen, werde nicht dazu führen, dass ein lebendiges, urbanes Quartier, eine wirklich schöne Mitte voller Wohnungen, kleiner Geschäfte, Cafés und Restaurants entstehen könne. „Wenn nur die Landeseigenen bauen , entstehen doch vor allem großformatige Plattenbauten , das wird doch dem Ort nicht gerecht“, findet sie.

Die Frau des früheren Postministers Christian Schwarz-Schilling (CDU) ist sich sicher, dass viele Berlinerinnen und Berliner das genauso sehen. Die Berliner Gründerzeit-Kieze gehörten schließlich zu den bevorzugten Wohngebieten, argumentiert sie. Man wolle zudem der verbliebenen DDR-Architektur nicht zu Leibe rücken, versichert sie. Sondern lediglich „Anregungen“ für den Geburtsort Berlins rund um Molkenmarkt , Petriplatz und Marienkirche geben, in denen noch große Leerräume bestehen . Als Leerräume bezeichnet die 91-Jährige dabei auch die breiten Straßen, die zurückgebaut werden sollten sowie Parkplätze. Aber eben auch die Freifläche zwischen Rathaus-Forum und Humboldt-Forum.

„Ein Unort, den im Grunde niemand kennt“

Um zu zeigen, was sich dringend ändern muss, hat es sich die Stiftungsgründerin trotz ihrer Gehbehinderung nicht nehmen lassen, von ihrem Wohnort in Friedenau mit dem Taxi zur Gertraudenbrücke zu kommen. „Der Taxifahrer hat gar nicht gewusst, wie er zur kleinen Gertraudenstraße kommt“, sagt sie. Und sieht darin einen weiteren Beweis für ihre Überzeugung „dass dies ein Unort ist, den im Grunde auch niemand wirklich kennt“.

Die denkmalgeschützte , zwischen 1894 und 1895 erbaute Gertraudenbrücke ist mit der in den 1970er Jahren errichteten, parallel verlaufenden mehrspurigen Neuen Gertraudenbrücke ins Abseits gerückt. Die Skulptur der heiligen Gertrud blickt seitdem nur noch auf Fußgänger und Radfahrer, während in ihrem Rücken der Verkehr mehrspurig entlang donnert.

„Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie schön und harmonisch die Altstadt an dieser Stelle früher war“, sagt die 1932 in Berlin geborene Diplomvolkswirtin. „Man kann das alles nicht zurückholen. Aber zumindest versuchen, Anmut, Grazie und Fröhlichkeit hereinzuholen“, sagt sie. „Dazu muss der Verkehr raus“, fügt sie resolut hinzu.

Umfrage: Mehrheit wünscht Bebauung wie aus Vorkriegszeiten

Um herauszufinden, was die Berliner von einer zumindest teilweisen Rekonstruktion historischer Gebäude in Berlins Mitte halten, hat sich die Stiftung mit anderen Initiativen, die ähnliche Ziele verfolgen, zusammengeschlossen und eine Umfrage in Auftrag gegeben. „Aus der Forsa-Umfrage geht klar hervor, dass dies der Wunsch der Mehrheit ist - insbesondere, was den Molkenmarkt betrifft“, sagt sie.

Laut Forsa-Umfrage finden 59 Prozent der Berlinerinnen und Berliner den heutigen Zustand im Bereich der historischen Mitte rund um das Rote Rathaus „wenig bis gar nicht attraktiv“. Und wünscht sich, konkret zur Situation am Molkenmarkt befragt, mehrheitlich (52 Prozent) eine Neubebauung, die sich an der Bebauung vor dem Zweiten Weltkrieg orientiert. 41 Prozent lehnen dies ab. „Mein großer Wunsch ist, dass die Berliner nicht nur stolz auf ihre neue Mitte sind, sondern sie sogar lieben“, sagt sie.

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