Tagesspiegel vom 25.01.2024 von Klaus Theo Brenner

Desaströser Tanz um den Molkenmarkt

Die Grundlage aller politischen und planerischen Entscheidungen in Berlin seit der Wende war die „Reurbanisierung“ der Innenstadt auf Grundlage der historischen Stadtbaustruktur mit Straßen, Plätzen und einer parzellierten Blockrandbebauung in Abstimmung mit den historischen Bestandsbauten – so weit, so gut!

Die Frage ist aber: wie? Genau an dieser Stelle beginnt das aktuelle Desaster am Molkenmarkt 

Das Ende der neunziger Jahre von Senatsbaudirektor Hans Stimmann erstellte „Planwerk Innenstadt“ basierte auf einer parzellierten Blockstruktur – vergleichbar mit anderen Projekten der Stadtrekonstruktion in Berlin -Mitte (zum Beispiel um den Potsdamer und Leipziger Platz). Das planerische Grundmodell, das alle diese Projekte verbindet, ist ein Blockkonzept mit individualisierten Stadthäusern auf Grundlage einer verbindlichen Parzellenstruktur mit Einzelvergabe – das „Städtische Reihenhaus“.

Das planerische Ziel ist Vielfalt in der Einheit

Das Ergebnis ist eine gestalterische Vielfalt im stadträumlichen Zusammenspiel der Häuser, allerdings geprägt durch verbindliche architektonische Gestaltregeln, bezogen auf die Nutzung, die Materialität und die typologischen Charaktereigenschaften der Häuser zwischen Erdgeschoss und Dachzone. Das planerische Ziel ist die Vielfalt in der Einheit des städtischen Quartiers, wobei die konsequente Umsetzung der Parzellierung-Strategie eine wesentliche Voraussetzung ist für die „gute Stadt“ – besonders in der Innenstadt von Berlin.

Ich habe mit meinem Projekt am Schinkelplatz in Berlin in dieser Hinsicht eine negative Erfahrung gemacht: Wir haben sieben Parzellen vorgegeben. Nach dem Ausscheiden von Hans Stimmann aus dem Senat wurde die Vergabe des Gesamtareals auf zwei Parzellen reduziert. Die kleinteilige Parzellierung ist zwar noch erkennbar, wurde aber architektonisch eher monoton umgesetzt.

Das, wie oben beschrieben, in vielen Bereichen der Berliner Innenstadt erfolgreich umgesetzte Prinzip des „städtischen Reihenhauses“, basiert jedoch auf einer charakteristischen Vielfalt der Stadthäuser, realisiert auf Grundlage von Parzellierung und klaren Gestaltungsvorgaben.

Was bedeutet das für den Molkenmarkt? Die Parzellierung – besonders auch im Kontext einer historischen (aber möglicherweise nicht historisierenden) Bezugnahme – ist eine gestalterische Spielregel zwischen Block/Straße/Haus, sie ist aber notwendigerweise auch ein Vergabemodell an individuelle Bauherrn , wie wir das in Berlin -Mitte, aber auch in anderen Städten erlebt haben (zum Beispiel Dom-Roemer-Areal in Frankfurt oder in Potsdam rund um das Stadtschloss).

Alle diese Projekte in Berlin -Mitte und darüber hinaus stehen für eine Stadtbaupolitik mit klaren architektonischen Vorgaben auf Grundlage einer parzellierten Blockstruktur. Am Molkenmarkt fing das Desaster schon damit an, dass die Ausschreibung des Wettbewerbs 2021 so formuliert war, als hätte es das „Planwerk Innenstadt“ eigentlich nie gegeben – mit der Konsequenz eines offenen Entwurfsspektrums vor dem bewusst undeutlich formulierten historischen Hintergrund und ohne einen klar formulierten städtebaulichen Qualitätsanspruch.

Dieses Wettbewerbs-Desaster hat dann im Anschluss an das Wettbewerbsverfahren folgerichtig zu einem politischen Entscheidungsdesaster geführt.

Wenn wir jetzt das Thema Molkenmarkt vor dem Hintergrund des Entscheidungslabyrinths vom „Planwerk Innenstadt“ über den offenen städtebaulichen Wettbewerb bis hin zur politischen Entscheidung 2023 mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften und einer historisierenden Scheinparzellierung kritisch betrachten, stellt sich die Frage nach der städtebaulichen Ordnung am Molkenmarkt und deren Realisierung. Hier gibt es verschiedene Entwurfsmodelle.

Der Status Quo: ein konfuser Planungsprozess

Erstens, alle Baublöcke werden von einer Wohnungsbaugesellschaft einheitlich oder nach Block-Einheiten differenziert bebaut. Zweitens, alle Blöcke werden einzeln vergeben und jeweils in einer individuellen Architektursprache realisiert. Drittens, alle Blöcke werden in kleinere Blockeinheiten aufgeteilt und individuell vergeben und architektonisch gestaltet. Viertens, alle Blöcke werden parzelliert und jede Parzelle wird individuell verkauft und im Rahmen eines gestalterischen Rahmenplans baulich realisiert.

Der aktuelle Zustand ist aber: Wir haben ein, zwei oder drei städtische Wohnungsbaugesellschaften als Grundeigentümer, die ohne einen fundierten gestalterischen Rahmenplan quasi „zum Schein“ eine parzellierte, historisch geprägte Blockstruktur realisieren sollen. Vor dem Hintergrund der oben genannten Realisierungsspielregeln Straße/Block/Haus–Bauherrschaft und Parzellierung ist der aktuelle Planungszustand widersprüchlich.

Er bildet einen eher konfusen Planungsprozess ab, zwischen dem „Planwerk Innenstadt“, dem ergebnisoffenen städtebaulichen Wettbewerb und der politischen Kehrtwende zur historisch geprägten Blockstruktur.

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Zitat

Vor dem Hintergrund der Realisierungsspielregeln Straße/Block/Haus–Bauherrschaft und Parzellierung ist der aktuelle Planungszustand widersprüchlich.

Klaus Theo Brenner, Stadtarchitekt

Autorenprofil : Klaus Theo Brenner arbeitet als Architekt in Berlin . Neben weiteren Preisen und Nominierungen wurde er für das Projekt Rummelsburger Bucht mit dem deutschen Städtebaupreis ausgezeichnet.

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