Die landeseigene WBM feiert Richtfest auf dem ehemaligen Mauerstreifen. Die Wohnungen gibt es für eine geringe Miete
Morgenpost vom 02.02.2024 von Isabell Jürgens

Berlin  Wer in Berlin baut , muss sich auf überraschende Funde gefasst machen. Sei es beim U-Bahn- Bau vor dem Berliner Rathaus, bei dem Bauarbeiter auf expressionistische Skulpturen stießen, die die Nazis als „entartete Kunst“ beschlagnahmt und dort gelagert hatten. Oder bei Ausgrabungen auf dem Gelände des Berliner Schlosses , bei dem Skelette von Tausenden Menschen gefunden wurden . Einen historisch bedeutsamen Fund machte auch die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft WBM, die an der Bernauer Straße auf dem ehemaligen Mauerstreifen ein Wohnhaus errichtet. Bei der Erstellung der Bodenplatte taten sich plötzlich Löcher auf. Denn direkt unter dem Fundament verlief ein Fluchttunnel.

Am Donnerstag feierte die WBM-Richtfest für 87 Wohnungen, die in zwei fünf- und sechsgeschossigen Wohnungsbauten direkt an der Bernauer Straße 26 entstehen. Das Besondere: Die Häuser befinden sich inmitten der Erinnerungslandschaft entlang der Bernauer Straße zum Gedenken an die Berliner Mauer. Die Bernauer Straße liegt an der Grenze zwischen den Bezirken Wedding und Mitte. In Zeiten des geteilten Deutschlands verlief dort die Berliner Mauer entlang der Ost- Berliner Häuserfront und teilte die Straße in Ost und West.

Nach Angaben der Gedenkstätte Berliner Mauer gab es allein an der Bernauer Straße mindestens zwölf Anläufe für Fluchttunnel. Aus Verzweiflung versuchten Menschen, auf unterirdischem Wege in den Westen zu gelangen. Dass sich auch unterhalb der Bernauer Straße 26 ein Tunnel befand, war deshalb keine große Überraschung. „Allerdings wurde der Tunnel wesentlich tiefer vermutet“, so Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD), der auch zum Richtfest gekommen war.

Der nur 50 Zentimeter breite und 70 Zentimeter hohe Tunnel habe die „Republikflüchtlinge“ jedoch nicht in die Freiheit, sondern direkt in die Arme der Grenzsoldaten geführt. „Die Grenzer hatten die Erschütterungen bei den Arbeiten am Tunnel per Echolot geortet und wussten daher Bescheid“, so der Baustadtrat .

27 Wohnungen werden zu 6,80 Euro je Quadratmeter und Monat vermietet

Der ehemalige Postenweg im Bereich zwischen Brunnen- und Schwedter Straße führt über den hinteren Teil des Grundstücks und wird in Abstimmung mit der Stiftung Berliner Mauer weiterhin als Teil der Erinnerungskultur öffentlich zugänglich sein. Der auf der Baustelle entdeckte Fluchttunnel wurde behutsam durch das Verfüllen mit einem Flüssigboden gesichert, um seine Bedeutung für kommende Generationen zu bewahren.

Die 87 Wohnungen, von denen 27 mit Mietpreisbindung zu 6,80 Euro je Quadratmeter und Monat vermietet werden, sollen in genau einem Jahr fertig sein. Die WBM hatte das Baugrundstück im Jahr 2019 von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) erworben. Lars Dormeyer, Geschäftsführer der WBM, bezifferte die Baukosten für das Vorhaben auf 40 Millionen Euro. Rund 15 Millionen seien davon Grundstückskosten gewesen. „Weil dies eins unserer teuersten Projekte ist, werden die frei finanzierten Wohnungen zu marktüblichen Preisen vermietet“, sagte Dormeyer. Bewerbungen für eine der Wohnungen sind ab Herbst dieses Jahres möglich.

Der Bau von Wohnungen an der Bernauer Straße – mitten in der Erinnerungslandschaft Berliner Mauer – geht auf ein Gutachterverfahren für den Gesamtbereich im Jahr 2007 zurück. Viele Wohnungen und eine international bekannte Gedenktopografie sind seitdem entstanden. „Eine der letzten Baulücken wird heute mit einem bezahlbaren, nachhaltigen und architektonisch ansprechenden Wohnungsbau geschlossen“, rief Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt in Erinnerung.

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