Probleme beim Waisentunnel
Tagesspiegel vom 13.02.2024 von Jörn Hasselmann Neue

Schon die dritte Koalition streitet sich jetzt um einen U-Bahn-Tunnel, durch den noch nie ein Fahrgast gefahren ist. Der Waisentunnel musste vor sieben Jahren wegen Wassereinbruchs gesperrt werden. Später stellte sich heraus, dass der fast einhundert Jahre alte Tunnel unter der Spree im Bezirk Mitte nicht saniert werden kann, sondern abgerissen und neu gebaut werden muss.

Der Tunnel verbindet eigentlich die Linie U5 mit dem Rest des Netzes, er verläuft vom Alexanderplatz (U5) bis zur Jannowitzbrücke (U8). Seit der Sperrung ist die U5 eine Insel: Die Züge dieser Linie müssen nun per Tieflader regelmäßig in die U-Bahn-Werkstatt nach Britz gebracht werden. Von dort fahren sie dann in die Hauptwerkstatt Seestraße in Wedding zur Prüfung. Das ist teuer und mühselig.

Neubau dürfte deutlich teurer werden als geplant

Doch der Neubau des Tunnels ist weit teurer und weit mühseliger. Der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses hatte die Verkehrsverwaltung und die BVG wegen der Probleme zu einem weiteren Bericht aufgefordert, dieser ist fertig und liegt dem Tagesspiegel vor. Doch eine neue Kostenschätzung gibt es nicht, der Bericht wiederholt einfach die Ende 2021 ermittelte Schätzung von 55 Millionen Euro. Seitdem sind die Baukosten jedoch regelrecht explodiert, nicht nur in Berlin . An diesem Mittwoch will der für Finanzen zuständige Hauptausschuss erneut über den Pannentunnel diskutieren.

Der SPD-Abgeordnete Sven Heinemann hatte die Summe schon Ende 2021 angezweifelt. „Als Haushaltspolitiker mache ich da ein Fragezeichen dran. Unter 100 Millionen ist das nicht zu machen“, hatte er damals dem Tagesspiegel gesagt.

Nicht nur die Finanzierung ist ungeklärt, nun gibt es zusätzlich Probleme, vor allem mit der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung. Denn die Spree ist eine wichtige Wasserstraße. Deshalb soll der Fluss immer nur halbseitig gesperrt werden, damit auf der anderen Hälfte Schiffe fahren können. Diese Bauweise sei 2021 „seitens der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) prinzipiell bestätigt“ worden, teilte die BVG mit. Der Tunnel liegt nahe der Mühlendammschleuse , die sehr stark genutzt wird. 2006 fuhren dort 3500 Binnenschiffe und 15.930 Ausflugsdampfer. Neuere Zahlen sind nicht bekannt.

Die WSV fordert nun „zahlreiche vertiefende Berechnungen hinsichtlich Schiffbarkeit und Hydraulik“, wie es in dem Bericht an den Haushaltsausschuss heißt. Die WSV will von der BVG Berechnungen, die vom Worst Case ausgehen, nämlich einem Hochwasser, wie es statistisch nur alle 100 Jahre einmal vorkommt. Fachleute nennen das „HQ100 (100-jähriges Hochwasser)“. Neben dem WSV äußerten in dem Anhörungsverfahren im Rahmen der Planfeststellung auch andere Institutionen Bedenken.

In dem Bericht heißt es deshalb: „Da die bestehenden Konflikte zwischen den Verfahrensbeteiligten noch nicht behoben worden sind, konnte das Planfeststellungsverfahren bislang nicht zum Abschluss gebracht werden.“ Wie und vor allem wann es weitergeht, ist unklar. Erst mit einem erteilten Planfeststellungsbeschluss – das ist eine Art Baugenehmigung – kann die Ausschreibung der Arbeiten erfolgen. Für den eigentlichen Bau werden vier Jahre angenommen.

BVG nennt den Tunnel „alternativlos“

Der Waisentunnel war 1930 eröffnet worden. Nun ist sicher, dass der Neubau 2030 zum 100. Geburtstag nicht fertig sein wird. Weiter beharrt die BVG auf dem Tunnel („alternativlos“). Vor zwei Jahren hatte Heinemann vorgeschlagen, das bestehende Gleis der Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn (NME) für die Überführung der U-Bahn-Wagen zu nutzen. Die Strecke der NME zwischen den Neuköllner Bahnhöfen Hermannstraße und Rudow verläuft dicht an der U-Bahn-Werkstatt Britz vorbei, nur ein kurzes Verbindungsgleis wäre nötig.

Der Vorschlag wurde jedoch wegen angeblich „komplizierter, zeit- und kostenaufwendiger Planungs - und Genehmigungsprozesse“ verworfen. Experten haben als Alternative die Verbindung der beiden Netze zwischen U5 und U9 an der Turmstraße vorgeschlagen. Dies hätte einen doppelten Nutzen, die Röhre für den Betriebstunnel könnte weitgehend Teil einer seit Jahrzehnten geplanten Verlängerung der U5 zur U9 an der Turmstraße sein. Diese Verlängerung hätte für Fahrgäste immensen Nutzen.

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Abzweigung des Waisentunnels. 1930 war der Tunnel eröffnet worden. Nun ist klar, dass der Neubau bis zum 100. Geburtstag 2030 nicht fertig sein wird.

Zitat

Unter 100 Millionen ist das nicht zu machen.

Sven Heinemann (SPD) hielt die Kostenschätzung von 55 Millionen Euro für den Neubau schon Ende 2021 für unrealistisch.

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