Die WBM will weniger harte Vorgaben für Sozialwohnungen bei einem Neubauprojekt
Berliner Zeitung vom 05.03.2024 von Ulrich Paul
Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin sollen bei Neubauten „grundsätzlich mindestens 50 Prozent der Wohnfläche mit öffentlicher Förderung“ errichten – um einen hohen Anteil preiswerter Wohnungen zu schaffen. Darauf haben sich die städtischen Vermieter und der Senat in einer Kooperationsvereinbarung verständigt. Bei der geplanten Bebauung der Breite Straße unweit des neuen Berliner Schlosses will die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) jedoch davon abweichen.
Von den dort geplanten 82 Wohnungen sollen nur 25 mit Förderung des Landes Berlin als Sozialwohnungen errichtet werden, teilt WBM-Sprecher Matthias Borowski auf Anfrage der Berliner Zeitung mit, das sind lediglich 30 Prozent. Für die künftigen Bewohner bedeutet dies, dass in der Breite Straße überwiegend teure Wohnungen entstehen. Denn während sich die anfänglichen Quadratmetermieten für geförderte Wohnungen zurzeit je nach Einkommen auf 7 Euro, 9,50 Euro oder 11,50 Euro kalt belaufen, gilt für frei finanzierte Wohnungen eine Obergrenze von durchschnittlich 15 Euro je Quadratmeter Wohnfläche kalt.
Wirtschaftliche Gründe
Der WBM-Sprecher sagt, schon bei der Einbringung der Grundstücke, also bei deren Übertragung an die WBM, habe das Wohnungsunternehmen von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Zusage erhalten, von der 50-Prozent-Regelung abweichen zu dürfen. Und zwar aus Gründen der Wirtschaftlichkeit.
Die Pläne stoßen auf Kritik. „Wir erwarten, dass auch bei den weiteren Planungen das Ziel Schaffung von bezahlbarem Wohnraum an erster Stelle steht und alle anderen Aspekte diesem Ziel untergeordnet werden“, sagt Matthias Grünzig von der Initiative Offene Mitte Berlin. Die Festlegungen der Kooperationsvereinbarung, nach denen „mindestens 50 Prozent der Wohnfläche mit öffentlicher Förderung mietpreis- und belegungsgebunden“ errichtet werden sollen, müssten auch an der Breite Straße angewendet werden. „Eine Abweichung von dieser Regelung ist angesichts des dramatischen Mangels an bezahlbarem Wohnraum nicht akzeptabel“, sagt Grünzig.
Ähnlich äußert sich der Grünen-Abgeordnete Julian Schwarze. „Damit wird der Bau von ausreichend bezahlbaren Wohnungen torpediert“, sagt Schwarze. „Der Senat wird dem Ziel, preiswerten Wohnraum zu schaffen, nicht gerecht.“ Grünzig ist noch aus einem anderen Grund alarmiert. Eine Abweichung von der Kooperationsvereinbarung wäre „eine schwerwiegende Sache, weil sie ja auch ein Präzedenzfall für weitere Projekte landeseigener Wohnungsbaugesellschaften wäre“, sagt er. „Die Kooperationsvereinbarung wäre dann praktisch ausgehebelt“, so Grünzig.
An der Breite Straße will die WBM auf einem 3651 Quadratmeter großen Grundstück zwischen Scharrenstraße und Neumannsgasse fünf Wohn- und Geschäftshäuser errichten und archäologische Funde integrieren. Die beste Architektur soll im Rahmen eines Wettbewerbsverfahrens gefunden werden. Auf die Ankündigung des nicht offenen Realisierungswettbewerbs im Dezember vergangenen Jahres gingen „circa 500 Teilnahmeanträge“ ein, wie die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vor kurzem mitteilte. Mindestens 30 und maximal 50 sollen als Teilnehmer für den Wettbewerb ausgewählt werden. Das Preisgericht soll am 1./2. Juli zusammentreten.
Unterdessen meldet sich die Allianz Berliner Bürgervereine mit einer Warnung vor „Billigfassaden“ zum Wettbewerb zu Wort. Der Allianz gehören verschiedene Vereine an, die sich für eine Gestaltung der Mitte nach historischem Vorbild einsetzen. Dazu gehören unter anderem die Gesellschaft Historisches Berlin, das Forum Stadtbild Berlin und die Planungsgruppe Stadtkern.
„Bei der Auswahl der Preisträger für die Breite Straße sollten Architekturentwürfe vorrangig berücksichtigt werden, die hinsichtlich der Gestaltungsqualität und Materialwahl an die historische Bautradition des Ortes anknüpfen“, heißt es in einer Stellungnahme der Allianz vom Montag. „Es sollte mit den traditionell regional verwendeten Fassadenmaterialien wie Putz, Ziegel und Natursteinen wie Sand- oder Kalkstein gebaut und damit eine differenzierte Fassadengestaltung ermöglicht werden“, finden die Vereine. „Anstriche sollten in ortstypischen Farbtönen erfolgen.“
Es sollte zudem „eine klare Dreiteilung der Fassaden in Sockel-, Mittel- und Dachzone erfolgen, mit den für Berlin typischen Schrägdächern und ohne sichtbare Technikaufbauten“, so die Allianz der Bürgervereine. Dabei sollten auch gestalterische Charakteristika bedeutender Vorgängerbauten wiederaufgenommen werden, beispielsweise des 1966/67 abgebrochenen Ermelerhauses aus den 1720er-Jahren, das an der Breite Straße 11 stand.
Die Fassadengestaltung mache „nur einen kleinen Anteil der Gesamtkosten eines Neubaus aus“, der sich bei einer Straßenfassade im Blockverbund auf circa vier Prozent belaufe, argumentieren die Vereine. „Die Mehrkosten für eine hochwertige und zeitlos schöne Ausführung fallen dementsprechend kaum ins Gewicht, der Gewinn für das städtische Umfeld ist jedoch erheblich.“ Ansprechend gestaltete, solide, in der regionalen Bautradition stehende Architektur habe auf lange Sicht die beste Klimabilanz, da zu erwarten sei, dass sie auch von zukünftigen Generationen als würdiger Bestandteil des Altstadtkontextes geschätzt und erhalten werde.
„Die Breite Straße, eine der ältesten Straßen im historischen Zentrum Berlins, hat Besseres verdient als Billigfassaden wie beim nahebei gelegenen Neubau der WBM an der Fischerinsel“, heißt es von der Allianz der Bürgervereine.
Auch auf die Mieten geht die Allianz ein. Es sei wichtig, dass die städtischen Wohnungsbaugesellschaften Menschen mit niedrigem oder mittlerem Einkommen das Wohnen in Mitte ermöglichen. Aber kommunal finanzierte Wohnungsbaugesellschaften hätten „auch eine Verantwortung für die gesamte Stadt und ihre Gesellschaft und sollten auch dieser durch qualitätvolle, allgemein als schön empfundene, beständige Architektur einen bleibenden Wert zurückgeben“, so die Vereine.
Die WBM erklärt, sie sei sich der Verantwortung bewusst. „In Anbetracht der herausragenden Lage legen wir besonderen Wert auf die ästhetische Gestaltung“, sagt WBM-Sprecher Borowski, „und achten dabei zugleich auf die Wirtschaftlichkeit des Gesamtvorhabens“.
„Die Breite Straße bietet die Chance, ökologisches Bauen, bezahlbaren Wohnraum und eine innovative Architektur zu verbinden“, sagt der Grünen-Abgeordnete Schwarze. „Wenn sich die selbst ernannte Allianz mit ihren Vorschlägen durchsetzt, droht hier ein Stopp für bezahlbaren Wohnungsbau“, warnt er. Irritierend sei, „wie von einigen Lobbygruppen für historisierende Stadtarchitektur versucht wird, im Vorfeld des Wettbewerbs Einfluss zu nehmen und der Jury Vorgaben gemacht werden sollen“, sagt Schwarze. „Es ist schon sehr gewagt zu behaupten, welche Architektur von der gesamten Bevölkerung als schön empfunden würde“, so der Grünen-Abgeordnete. „Gerade in der Mitte Berlins haben wir über die Jahrhunderte immer wieder Veränderungen im Stadtbild erlebt“, sagt er. „Hier eine Epoche hervorzuheben und damit alle anderen Vorschläge für einen Städtebau an der Breiten Straße als unpassend abzuwerten, noch bevor überhaupt Ergebnisse des Wettbewerbs vorliegen, ist falsch.“
Ordentliches Verfahren
Die Präsidentin der Berliner Architektenkammer Theresa Keilhacker sagt: „Das hohe Interesse am Wettbewerb für Wohn- und Geschäftshäuser an der Breite Straße belegt, dass Architektinnen und Architekten in Berlin bereit sind, sich an ordentlichen Verfahren, die durch die Architektenkammer Berlin begleitet werden, rege zu beteiligen.“ Sie wünsche sich „hier eine Vielfalt an Einreichungen, die sich hinsichtlich ihrer Gestaltung auf den Genius Loci beziehen und gleichzeitig notwendige Klimaschutzbelange und Zukunftsfähigkeit in Material, Konstruktion und Ästhetik zum Ausdruck bringen.“