Französische Hauptstadt erweitert das Netz massiv. Am Ende soll es doppelt so groß sein. Taugt das als Vorbild? Ein Ortsbesuch
Morgenpost vom 22.05.2024 von Jessica Hanack
Paris In 21 Meter Tiefe kann man bereits auf dem künftigen Bahnsteig stehen, auf die Gleise und in den Tunnel hineinschauen. Treppen führen von der Eingangshalle herunter, auch Rolltreppen sind schon verbaut, derzeit zum Schutz aber noch unter Holzplatten verborgen. Denn auch wenn der U-Bahnhof bereits erkennbar ist, ist bis zur geplanten Eröffnung Ende 2026 noch einiges zu tun.
Dieser Bahnhof, der gerade am Entstehen ist, befindet sich im Pariser Vorort Le Blanc-Mesnil. 25 Menschen sind hier momentan mit dem Ausbau beschäftigt, an diesem Dienstag sind auf der Baustelle außerdem Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) , die auch Aufsichtsrätin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ist, und BVG-Chef Henrik Falk unterwegs. Denn im Pariser Umland entsteht weit mehr als nur die neue Station Parc du Blanc-Mesnil. Sie ist lediglich ein kleiner Teil des Gesamtprojekts „Grand Paris Express“.
Auf vier neuen Linien sollen automatisierte U-Bahnen fahren
Dieses Großvorhaben wollen sich Giffey und Falk sowie weitere Vertreter der BVG und der Senatswirtschaftsverwaltung ansehen, um zu schauen, wie Berlin und BVG davon lernen können. Das Tempo und die Entschlossenheit, mit der das Projekt vorangetrieben wird, hat die beiden in jedem Fall beeindruckt. Von dem „Spirit“, sagte Falk, könne man etwas nach Berlin mitnehmen.
Insgesamt sind beim „Grand Paris Express“ vier neue Linien geplant, auf denen automatisierte U-Bahnen im Zwei- bis Drei-Minuten-Takt fahren sollen. Außerdem wird die bestehende Linie 14 sowohl nördlich als auch südlich von Paris verlängert, sie soll noch pünktlich vor den Olympischen Spielen im Sommer fertig werden. Auch die Linie 11 ist bereits so weit ausgebaut, dass der neue Streckenabschnitt im Juni in Betrieb gehen soll.
Wie umfassend das Projekt ist, wird an weiteren Zahlen deutlich: 68 neue U-Bahn-Stationen sind geplant sowie 200 Kilometer an neuen U-Bahn-Strecken. Das bedeutet eine Verdopplung des bestehenden Netzes, das schon jetzt das viertgrößte in Europa ist. Im Idealfall wird mit zwei bis drei Millionen Passagieren am Tag gerechnet, die die neuen U-Bahn-Linien nutzen werden. Im Fokus steht das Umland der französischen Hauptstadt, wo der Hauptteil der neuen Stationen liegen soll. Insbesondere zwischen den Vororten soll die Anbindung so schneller und direkter funktionieren. Dazu trägt auch das Tempo bei, mit dem die Züge unterwegs sein sollen: 55 bis 65 Kilometer pro Stunde sind vorgesehen, bei den Bestandslinien sind es laut Jonathan Ninzatti von der „Société des Grand Projets“ nur 25. In Berlin wird im U-Bahn-Bereich eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde erreicht.
Seit Beginn der Planungen im Jahr 2012 hat sich die Zahl der vorgesehenen neuen Bahnhöfe noch mal deutlich erhöht, dafür sind aber auch die Kosten stark gestiegen: von ursprünglich 20 auf nun mindestens 36 Milliarden Euro. Das Geld soll aus Steuereinnahmen und langfristigen Darlehen kommen. Bis zum Jahr 2030, also rund 18 Jahre nach dem Start, will man fertig sein; dieses Datum war Ninzatti zufolge von Beginn an vorgesehen. Bei den Einzelvorhaben konnte der Zeitplan aber nicht immer gehalten werden. Die Eröffnung des Bahnhofs Parc du Blanc-Mesnil musste etwa infolge von Verzögerungen durch die Corona-Pandemie verschoben werden, sagte er.
Als die BVG im vergangenen Jahr ihr Konzept für die „Expressmetropole Berlin “ vorlegte, hatte sie bereits unter anderem auf Paris als Vorbild verwiesen. Zur Erinnerung: Die Vision sieht 171 Kilometer neuer U-Bahn-Strecken vor, dazu ergänzende Straßenbahn- und Schnellbuslinien. Als Ziel nannte es die BVG, Außenbezirke besser anzubinden und neue Querverbindungen zu schaffen. Ähnlich wird es in den Pariser Vororten gehandhabt.
Auch der schwarz-rote Senat treibt, wie bekannt, den Ausbau des U-Bahn-Netzes in Berlin voran. Am weitesten vorangeschritten sind die Vorbereitungen für den Lückenschluss der U3 zwischen Krumme Lanke und Mexikoplatz. Dazu kommt der Ausbau der U7 in Richtung Heerstraße und Flughafen BER, wofür aktuell Nutzen-Kosten-Untersuchungen erfolgen. Für die U8 ins Märkische Viertel hat der Senat erst im April beschlossen, weitere Untersuchungen anzustoßen. Außerdem hat Schwarz-Rot die Verlängerung der Linien U9 und U2 in Pankow im Blick.
Wie BVG-Chef Falk erklärte, sei es richtig, erst einmal Erfahrungen bei kleineren Projekten wie dem 800-Meter-Lückenschluss auf der Linie U3 zu sammeln und dort zu schauen, wie man Prozesse beschleunigen kann. Von der „großen Idee“, wie sie in Frankreich verfolgt wird, zeigte er sich dennoch beeindruckt, weil man so auch die Bevölkerung mehr begeistern könne. Giffey betonte, dass sich durch den U-Bahn-Ausbau nicht nur die Verbindungen von einem Ort zum anderen verbessern würden, sondern auch die Attraktivität der Gebiete um die neuen Stationen herum wachse. Dazu hob sie die Unterstützung des Pariser Projekts über die Amtszeiten verschiedener Präsidenten hinweg hervor. „Klar ist: Ohne nationale Unterstützung geht es nicht. Das ist etwas, das wir auch für Berlin festhalten müssen“, so Giffey. Insbesondere bei der Finanzierung der U-Bahn-Projekte ist Berlin zu einem erheblichen Anteil auf den Bund angewiesen. Sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene werden die finanziellen Möglichkeiten jedoch auf absehbare Zeit begrenzt sein.
Ein Punkt, der für Paris als besondere Herausforderung beschrieben wurde und auch die Verantwortlichen von Berliner Bauprojekten immer wieder beschäftigt, ist die Akzeptanz in der Bevölkerung. Um diese zu erreichen, gebe es in der „Société des Grands Projets“ eine eigene Abteilung mit 100 Mitarbeitern, schilderten die Planer. Die Akzeptanz der Anwohner nannten sie „fundamental“. Aus diesem Grund wird auch auf das Design der Stationen besonders viel Wert gelegt. Alle werden individuell entworfen, um sich möglichst gut ins Umfeld einzugliedern.