Eigentumsfrage klären, Schulträger finden – dann kann auf Altberliner Grund junges Leben einziehen. Aber welche Art von Schule? Und welche Architektur?
Berliner Zeitung vom 02.06.2024 von Maritta Adam-Tkalec
Wie aus einem Gemälde Caspar David Friedrichs herausgeschnitten und neben eine der verkehrsreichsten Straßen der Berliner Mitte versetzt – so steht die romantische Ruine der mehr als 700 Jahre alten Franziskaner- Klosterkirche inmitten einer Grünfläche zwischen Kloster- und Littenstraße und versprüht einen nirgendwo sonst in Berlin zu spürenden Charme. Doch ihr fehlt die Nachbarschaft, die sie jahrhundertelang hatte: eine Schule voller junger Menschen.
Am 13. Juli 1574 stiftete der brandenburgische Kurfürst Johann Georg in den Gebäuden des nach der Reformation aufgelösten Franziskanerklosters das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster. Vor genau 450 Jahren entstand die Schule. Bis zur Eröffnung der Universität 1810 durch Wilhelm von Humboldt blieb sie die höchste und wichtigste Bildungsstätte der Stadt und existierte 370 Jahre ununterbrochen am selben Ort – bis Anfang 1945.
450 Jahre – solche Jubiläen hat Berlin nur sehr, sehr selten zu feiern. Nun also Feiern für Bildung in einer Stadt der Bildungsnot. Auch deshalb wird das Gründungsfest bei aller Historie der Zukunft zugewandt begangen. Denn die Chancen wachsen, dass der am 3. Februar 1945 zerbombte Schulstandort wieder auflebt. Die Idee erfüllte jedenfalls die gleich nebenan gelegene Parochialkirche, wo am Mittwoch nach einem Rundgang über das Schulgelände das Jubiläum mit bildsamen Vorträgen gefeiert wurde.
Der Name Graues Kloster, der auf die Kuttenfarbe der Franziskanermönche zurückgeht, hat ohnehin die Jahrzehnte überdauert: Das Evangelische Gymnasium zum Grauen Kloster in Wilmersdorf übernahm 1963 den im Osten Berlins 1958 weggeworfenen Namen. Dieser sei mit falschen Traditionen behaftet, befanden die DDR -Oberen und verpassten der aus den Trümmern in die Niederwallstraße umgezogenen Schule den belanglosen Namen 2. Oberschule Mitte.
Doch viele Schüler – seit 1923 auch Schülerinnen – bewahrten die verpönte bürgerliche Tradition der Bildungseinrichtung: den humanistisch-toleranten Geist, die Pflege alter Sprachen wie Griechisch und Latein. Dazu hatte auch gehört, dass die Bürgerschaft spendete, damit auch mittellose Begabte dort lernen konnten.
In der langen Liste der Klosteraner stehen Christen und Juden, Bürger und Adelige. Einige von ihnen seien genannt: der Architekt und Baumeister Karl Friedrich Schinkel , Friedrich Ludwig Jahn (später als Turnvater bekannt), Otto von Bismarck , der es bis zum Reichskanzler brachte, Emil Rathenau (Ingenieur und Unternehmer), James Simon (Kaufmann und Mäzen). Nach dem Krieg lernten in Mitte noch Lothar de Maizière (letzter DDR- Ministerpräsident ), Manfred Bofinger (Karikaturist), Hermann Simon (jüdischer Historiker).
Das Wilmersdorfer Gymnasium sieht sich als Erbe. Von dort gehen die Initiativen zur Wiederbelebung aus, namentlich von der Stiftung Berlinisches Gymnasium zum Grauen Kloster und vom Förderverein Evangelisches Gymnasium zum Grauen Kloster – Berlinisches Gymnasium in Berlin -Mitte e. V. (der lange Name ist Programm).
Eine Schule – die „edelste Aufgabe“
Seit 2016 sieht der Bebauungsplan des Senats neben der Kirchenruine wieder einen Schulstandort vor. Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt sprach während der Veranstaltung über den Willen des Senats, am Molkenmarkt „den alten Stadtkern durch Stadtreparatur“ wiederzugewinnen und betonte, zur „edelsten Aufgabe eines Quartiers“ gehöre eine Schule, denn „Schule ist Zukunft“.
Seit klar ist, dass der von der Idee der autogerechten Stadt in den 1960ern zerstörte Stadtraum am Molkenmarkt wieder zu einem lebendigen Quartier werden soll und dann auch noch die Verschwenkung der Grunerstraße am Molkenmarkt den unter Asphalt begrabenen Teil des früheren Schulareals befreite, sind die Fantasien geweckt. Was für eine Schule soll das sein? Wie soll sie aussehen? In welcher Trägerschaft wird sie arbeiten?
Die Stiftung Mitte Berlin hat aus der Fantasie ein Bild werden lassen: das Ensemble des Grauen Klosters, wie es bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg aussah, platziert vor dem Hintergrund mit Parkhaus an der Grunerstraße und modernen Blöcken Richtung Alexanderplatz . Das Bild visualisiert den Zustand von 1932, von der Klosterstraße aus gesehen: Rechts von der zentral gelegenen Kirche stand das große, um 1900 in Anlehnung an die Backsteingotik errichtete Lehrer- und Schülerwohnhaus, der im 19. Jahrhundert errichtete Arkadengang verband das Wohn- mit dem um 1770 im Stil des Barock gebauten dreigeschossigen Direktorenwohnhaus, unmittelbar links davon schloss das Eingangsportal zum Schulgelände mit weiteren Gebäuden und Schulhöfen an.
Es folgte eine Begrenzungsmauer bis zum Nordflügel. Diesen 1519 errichteten Bau hatte Schinkel später zeitgemäß architektonisch überformt und vor allem die berühmte große Aula eingebaut, wo mehrere Canaletto-Gemälde platziert wurden, gestiftet vom ehemaligen Schüler des Gymnasiums, dem Kaufmann, Sammler und Kunstmäzen Sigismund Streit (geboren 1687 in Berlin , gestorben 1775 in Padua). Ein Gebäude von besonders hohem Wert ragte vom Nordflügel in den Schulhof hinein und ist auf dem Bild als spitzer Giebel hinter dem Direktorenwohnhaus auszumachen: das 1474 errichtete Kapitelhaus.
Die Fundamente dieses Urgebäudes samt Kellergeschoss wurden bei Sondierungsgrabungen des Landesdenkmalamtes in gutem Erhaltungszustand gefunden. Und wenn auch niemand die 1:1-Rekonstruktion des alten Schulensembles fordert, so sollte dieses Haus nach Auffassung des Landesarchäologen Prof. Matthias Wemhoff in den Maßen, in der Kubatur des historischen Baus wiedererstehen.
Senatsbaudirektorin Kahlfeldt plädiert für die Neugründung der Schule, ebenso Mittes Schulstadtrat Benjamin Fritz und Pfarrer Dr. Alexander Heck von der Kirchengemeinde St. Marien-Friedrichswerder. Allerdings sind noch Hindernisse abzuräumen: Zuallererst sind die rechtlichen Verhältnisse hinsichtlich des Eigentums zu klären.
Und die sind vertrackt. Es handelt sich um das letzte offene Restitutionsverfahren im Zusammenhang mit DDR-Immobilien: Das Land Berlin steht als Eigentümer im Grundbuch. Die Stiftung Berlinisches Gymnasium zum Grauen Kloster erhebt aber Ansprüche. Man hofft auf eine außergerichtliche Einigung.
Eine Bildungsstätte des Landes für Begabte?
Vonseiten der Schulverwaltung heißt es bisher, der Platz reiche für eine regelgerechte öffentliche Schule nicht aus. Die Idee, die Schule so wie einst direkt dem Land Berlin zuzuordnen, stellt Brigitte Thies-Böttcher, Vorsitzende des Fördervereins für den Wiederaufbau des Gymnasiums, in den Raum und verweist auf Beispiele in anderen Bundesländern wie das Landesgymnasium in Schulpforta für Begabte in Sachsen-Anhalt . Ein privater Träger hat sich noch nicht gemeldet.
Wenn das geklärt ist, steht die Frage: Wie wird gebaut? Petra Kahlfeldts Vorstellungen lassen viel Raum. Ein Schulbau sei immer ein Solitär, der weithin wirke, sagt sie. Er dürfe eine große Eigenständigkeit haben, sollte sich aber „in der Stofflichkeit“ dem Klosterviertel anverwandeln, als „selbstbewusstes Gebäude“. Am besonderen Ort könnten sich Alt und Neu „anspruchsvoll und generationenfriedlich“ umarmen. Architekturstudenten der Fachhochschule Potsdam schlagen in ihren Entwürfen klare, an den historischen Kontext erinnernde Formen in Backsteinoptik vor, die tatsächlich eine Vorstellung aufkommen lassen, wie eine solche Umarmung aussehen könnte. Alte Formen werden neu gedacht.
Tradition von Forschergeist und Toleranz
Die Klosterkirche gilt als ältestes in seiner einstigen Gestalt noch zu sehendes Gebäude Berlins . Der askanische Markgraf hatte dem 1249 an der Spree angelangten Bettelorden der Franziskaner den Baugrund für das Kloster 1271 gestiftet – und 1290 eine Ziegelei dazu. Als Kurfürst Joachim II. das Kloster 1539 auflöste, ließ er Toleranz walten; bis zum Tod des letzten Bruders 1571 galt Wohnrecht. Drei Jahre später kamen die Schüler.
In den drei Jahrzehnten hatte sich ein unkonventioneller Zwischennutzer eingefunden. Der Schweizer Leonhard Thurneysser, Alchimist und kurfürstlicher Leibarzt, richtete in den Gewölben Laboratorien ein, braute Heiltränke, betrieb einen schwunghaften Medikamentenhandel, machte angeblich Gold, richtete das erste naturwissenschaftliche Kabinett Brandenburgs ein, legte einen Botanischen Garten an, hielt exotische Tiere im Klosterhof.
Wer hat’s erfunden? Abitur aus dem Grauen Kloster
Zudem betrieb er eine für die Zeit hochmoderne Druckerei, die erste Berlins . Thurneysser druckte mit deutschen, hebräischen, griechischen und arabischen Lettern. Er arbeitete schließlich auch für die neu einquartierte Schule, wie die Archivarin Susanne Knackmuß, die die Sammlungen des Gymnasiums in der Streitschen Stiftung hütet, in einer Jubiläums-„Schulstunde“ in der Parochialkirche erwähnte. Sie berichtete zum Amüsement des Publikums auch von den Schulrevolutionen, die ihren Anfang im Grauen Kloster nahmen.
So kam 1901 ein Lehrer auf die Idee, eine Unterrichtsstunde solle 45 Minuten haben; 1907 hatte er sich durchgesetzt. Auch das Abitur ist eine Erfindung aus dem Grauen Kloster: Alle sollten sich den gleichen Prüfungen unterziehen – selbst die adeligen Sprösslinge.
Die baulichen Reste des Schulkomplexes, die nach der Bombardierung noch standen, so die Ruinen der Kirche und des Kapitelhauses, wurden zunächst notdürftig stabilisiert. Beim Bau eines U-Bahn-Verbindungstunnels erlitten sie massive Schäden. Trotzdem erwogen die DDR-Planer für das ehrwürdige Kapitelhaus wegen seiner herrlichen mittelalterlichen Gewölbe eine Erhaltung als romantisches Weinrestaurant. Doch in den 1960ern wurde konsequent abgeräumt . Nur die Kirche blieb – als Mahnmal gegen den Krieg.
Bis zur Einrichtung der Universität 1810 stand das Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster als gehobene Bildungsstätte allein auf weiter Flur. Wilhelm von Humboldt stützte sich beim Aufbau der Universität in erster Linie auf die Hilfe der alten Schule. Die ersten Professoren, zum Beispiel der Theologe und Altphilologe Friedrich Schleiermacher, hatten zuvor im Grauen Kloster gelehrt.
Der Geist des Ortes wartet auf neues Leben
Nun hat Berlin die einmalige Chance, die Tradition dieser Bildungsstätte in Verbindung von guter Tradition und moderner Offenheit wieder aufleben zu lassen. Alles spricht dafür, diesem Vorhaben höchstes Interesse zuzuwenden. Der Genius Loci, der Geist des Ortes, wartet nur darauf, sich wieder entfalten zu können. Berlin kann durch eine herausragende Schule nur gewinnen.
Und wenn die Verantwortlichen der Stadt das nicht vermögen, so steht die Bürgerschaft in Verantwortung. Die beiden Fördervereine machen es vor, doch ihre Schlagkraft wird für die anbrechende entscheidende Zeit nicht ausreichen. „Wir brauchen eine neue Rechtsform“, sagt Brigitte Thiess-Böttcher. Die nächsten großen Schritte stehen bevor.