Senat, Bezirke und Händler suchen nach Konzepten gegen das Veröden ganzer Einkaufsstraßen
Berliner Morgenpost - vom 03.06.2024 von Isabell Jürgens und Johannes Vetter
Berlin Erst Pandemie, dann die durch Energiekrise und Inflation ausgelöste Konsumflaute und nicht zuletzt die Insolvenz von Galeria Karstadt Kaufhof (GKK) haben in Berlins Einkaufsstraßen und -zentren sichtbare Spuren hinterlassen. Ehemalige Kaufhäuser stehen leer oder werden demnächst aufgegeben, und nur für die wenigsten sieht die Zukunft erneut eine großflächige Nutzung durch den Einzelhandel vor. Was also tun, um die Verödung der Innenstädte zu verhindern? Auf dem Zentrengipfel am Montag ringen 70 Vertreter von Branchenverbänden, Handelsunternehmen, Bezirken und Senat um eine Lösung.
Die Veränderungen im stationären Einzelhandel sind vielerorts im Stadtbild nicht mehr zu übersehen. Die Karstadt-Filiale an der Müllerstraße und jene in der Wilmersdorfer Straße stehen bereits seit Jahresbeginn leer, Ende August folgen die Standorte Ring-Center in Lichtenberg, der Altstadt Spandau und am Tempelhofer Damm. Dazu kommt die für den Sommer angekündigte Schließung der Galeries Lafayette in der Friedrichstraße . Und in zahlreichen Einkaufsstraßen stehen weitere Warenhäuser bereits seit Langem leer. So etwa das ehemaligen C&A in der Neuköllner Karl-Marx-Straße 95 in Neukölln, in dem das heutige Krisentreffen seinen passenden Rahmen findet.
Dass in Zeiten des Onlinehandels Filialkonzepte mit immer gleichem Sortiment bei Konsumenten nicht mehr ankommen, weiß auch Nils Busch-Petersen, Chef des Berliner Einzelhandelsverbandes. „Gerade deshalb haben wir ja das Gipfeltreffen angeregt, denn es ist ja nicht allein Sache des Handels, für das urbane Lebensgefühl zu sorgen“, sagt er. Deshalb gelte es, die ganze Stadt in den Blick zu nehmen.
An vielen Orten wird aktuell darum gerungen, alten Warenhäusern oder leer stehenden Geschäften mittels Nachnutzungskonzepten neues Leben einzuhauchen, wie etwa beim Karstadt-Gebäude am Leopoldplatz in Wedding. Schon vor der Schließung begannen dort die Planungen für den Umbau. Geplant ist ein Mischkonzept: Neben Einkaufen und Essen soll man in dem Neubau auch wohnen oder arbeiten können. Auch soziale Projekte und Einrichtungen werden Platz bekommen. Doch allein die Transformation leerer Standorte zur sogenannten Mixed-Use-Immobilie, in der sich etwa Büros, Bibliotheken oder im Idealfall sogar dringend benötigte Wohnungen die einstige Verkaufsfläche teilen, ist eher eine langfristige Lösung. Zumal diese erst einmal Investoren voraussetzt, die die notwendige Finanzierung stemmen können und den langen Atem haben, den es für den dafür erforderlichen Genehmigungsmarathon braucht.
Auch große Zentren schlittern zunehmend in die Krise
„Hier müssen wir schauen, an welchen Stellschrauben wir drehen können, damit so etwas künftig schneller geht“, sagt Matthias Kuder, Sprecher von Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD). Genau dazu diene der Gipfel, um die teils sehr unterschiedlichen Probleme der 80 Berliner Einkaufsstraßen genauer zu betrachten und zu schauen, welche der bisherigen Maßnahmen und Hilfsinstrumente eventuell nachgeschärft werden müssen.
Denn die Berliner Problemzonen sind zahlreich, sie reichen vom kleinen, inhabergeführten Geschäft über das große internationale Filialunternehmen und die Warenhäuser bis zu den Shoppingmalls. In einigen Einkaufszentren steht jede vierte Ladenfläche leer. Centermanager reagieren vielerorts mit Umbauplänen auf die neue Entwicklung. Zum Beispiel die Mall of Berlin . Etwa neun Prozent der Mietfläche stehen laut Centermanagement aktuell leer, eine Reihe von Ländern will zum Jahresende schließen. Ab Oktober ist nun erst mal ein Umbau geplant.
Auf dem Gipfel sollen nach Informationen der Berliner Morgenpost stadtweit insgesamt zwölf exemplarische Fokusstandorte identifiziert und in den kommenden zwölf Monaten Lösungen erarbeitet werden, die sich dann auf die anderen 68 Standorte übertragen lassen.
„Wir müssen aber auch über Regularien reden, die den Handel behindern und aus der Zeit gefallen sind“, sagt Einzelhandelsexperte Nils Busch-Petersen. Ein besonderer Dorn im Auge sind ihm etwa die Ladenöffnungszeiten: „Kein Gast aus dem Ausland versteht, warum wir gerade dann schließen, wenn viele Menschen shoppen gehen wollen“, klagt er. Bush-Petersen ärgert sich auch über einige Bezirke: „Der vom Senat versprochene Erlass der Sondernutzungsgebühr für Straßenland wird etwa von Mitte und Tempelhof-Schöneberg einfach ignoriert. Urbanes Lebensgefühl lässt sich nur vermitteln, wenn auch Leben stattfinden darf.“