Tagesspiegel vom 10.06.2024 von Reinhart Bünger

Geister, die Schinkel nicht rief

Historische Rekonstruktionen zeigen idealtypisch, wie es wohl gewesen sein könnte. So orientierten sich die Architekten beim Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche oder bei der Alten Pinakothek in München stilistisch am Vorbild. Sie heilten Wunden der Vergangenheit, ob man die Bauten nun schön findet oder nicht. Um etwas gänzlich anderes geht es bei der Wiedererrichtung der Schinkelschen Bauakademie . Hier rühren Landes- und Bundespolitiker eine Melange an, die als Mörtel ungeeignet ist – und das nunmehr ohne historischen Sockel geplante Gehäuse ins Boden- und Sinnlose stürzen lässt.

Der geplante Neubau soll laut Vorstudie eine 3+1 Fassadengestaltung bekommen. Soll heißen: drei Fassaden werden auf alt getrimmt, eine auf neu. Selbst wenn die kaum nachvollziehbaren Veränderungen des Baukörpers beiseitegelassen werden, fragt man sich, wie Architekten und die Fraktionen von CDU und SPD im Berliner Abgeordnetenhaus auf eine solche Schnapsidee kommen können.

Wie kann zudem Berlins Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt, selbst Architektin, über einen solchen „Kompromiss“ öffentlich schweigen? Es geht um einen ganz besonderen Bau an einer besonderen Stelle der Stadt. Wie kann man den mit einer Ökofassade verunzieren, mit neuzeitlich modifizierten Entwürfen unkenntlich machen, ja, entehren wollen?

Das Bildprogramm war bei Schinkel auf Reproduzierbarkeit angelegt. Und so zeigte sich seine Bauakademie – mit Ausnahme der Portale – an allen vier Gebäudeseiten gleich.Wer sind wir denn, dass wir beim Wiederaufbau der Bauakademie Schinkel toppen wollen, den Schinkel, den viele nicht nur als besten Architekten seiner Zeit, sondern aller Zeiten in Deutschland sehen! Etwas mehr Demut wäre angebracht. Es war Schinkels Bauakademie , die der Moderne den Weg wies.

Sein Entwurf war klar und funktional komponiert. Einerseits. Er hatte aber dennoch mit Terrakotten reich geschmückte Fassaden, die in der wohl vor allem von Bauingenieuren hastig zusammenkopierten Vorstudie der Stiftung Bauakademie keine gestalterische Rolle spielen.

Die Stiftung Bauakademie interessiert das gar nicht. Sie hat eine Vorstudie in Auftrag gegeben, weil sie etwas anderes möchte. Diese sollte erweisen, dass eine historische Rekonstruktion nicht machbar sein soll. Angeblich.Natürlich geht es. Aber: Das Architekturbüro Schneider + Schumacher lieferte das Gewünschte bereitwillig ab – und, wie man hört, preiswerter als andere.

Unsäglich ist dreierlei, neben der Selbstherrlichkeit der Bundesstiftung Bauakademie , die mithilfe von „Thinktanks“ und anderem Veranstaltungsbrimborium über Carbonfasern und Co. den gesetzlichen Auftrag torpediert.

Erstens ist das Zustandekommen des Wettbewerbsverfahrens komplett intransparent, wenn selbst Andreas Schulten, Vorstand der „Freunde der Bauakademie “, aus dem Tagesspiegel erfährt, dass seinem Duz-Freund, dem Gründungsdirektor Guido Spars, seit Wochen schon eine Vorstudie zur Fassadengestaltung vorliegt.

Zweitens ist Kungelei ohnehin kein positives Qualitätsmerkmal bei Bauprojekten . In diesem Fall grenzt es aber schon an Verachtung von Wählern, wenn politische Verantwortungsträger – wie in diesem Falle SPD- Baustaatssekretär Sören Bartol (ein Gegner der historischen Rekonstruktion), Berlins Regierender CDU-Bürgermeister Kai Wegner (ein Befürworter der historischen Rekonstruktion) und Senatsbaudirektorin Kahlfeldt (bisher Befürworterin der historischen Rekonstruktion) – ihre jeweiligen Pressesprecher anweisen, nur nichts verlauten zu lassen über ein Treffen, das vergangene Woche stattgefunden hat. Geht’s noch?

Drittens fehlt es also – anders als bei der Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses – am öffentlichen Diskurs.Es fehlt bei Verantwortlichen sowohl auf Bundes- als auch Landesebene an der Bereitschaft, über Sinn und Zweck der Bauakademie öffentlich zu diskutieren – und auch zu streiten, wo es notwendig ist. Die Fassadenfrage sollte endlich abgehakt werden. Denn der Bundestagsbeschluss ist eindeutig: von „Wiederaufbau“ ist dort die Rede.

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Reinhart Bünger ist Immobilienredakteur und schreibt auch über Stadtentwicklung.

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