Der Architekt Wolf R. Eisentraut korrigiert bei einer Veranstaltung im Humboldt-Forum verfehlte Darstellungen zum Palast der Republik
Berliner Zeitung vom 18.06.2024 von Maritta Tkalec

Macht euch mal locker, ihr hartnäckigen Freunde des Palastes der Republik; kommt an die Bar und lasst uns eine gute Zeit haben. So ungefähr klang der Sound zu einer der vielen Veranstaltungen, die das Humboldt-Forum als Begleitung der Ausstellung „Hin und weg – der Palast der Republik ist Gegenwart“ anbietet. Tatsächlich: Ein leibhaftiger Barkeeper aus dem einstigen DDR-Palast machte den Getränkeservice, ein DJ ließ zur Einstimmung zeitgenössische Musik laufen mit eingestreuten Stimmen – zum Beispiel Erich Honecker, der von einem „Haus des Volkes“ nuschelt, oder klare Ansagen von der Palast-Veranstaltungsorganisation.

Der interessanteste Gast des Abends, Prof. Dr. Wolf R. Eisentraut, als Architekt im Kollektiv für die Grundsatzstudie für das Großprojekt und verantwortlich für den Mittelteil mit großem Foyer des Palastes, saß während des halbstündigen Vorspiels unauffällig am Rand und wartete ab, was da passieren sollte.

Missverständnis zu Anfang

In einem Interview mit der Berliner Zeitung hatte er kurz vor der Eröffnung der Ausstellung seine Sicht auf die Umstände und Gründe des Palastabrisses dargelegt und unter anderem klargestellt: „Die obsiegende Gesellschaft hat ein Kulturgut der Verlierer vernichtet. Der Abriss war von Anfang an politisch gewollt.“

Dann saß er auf dem Podium und musste schon bei der Eingangsfrage ein Missverständnis ausräumen. Der Historiker Dr. Kai Drewes hatte nach seinen Berührungsängsten mit dem Neubau gefragt, es gebe ja Leute, die ihren Fuß nicht ins Schloss setzten – zu denen gehöre er, Eisentraut, ja offenkundig nicht. Schließlich sitze er hier. Schon mal falsch vermutet.

Er betrete dieses Gebäude sonst nie, aber nette Damen vom Humboldt-Forum hätten ihn überzeugt. Eisentraut, 80, ist nicht nur ein großer Architekt, Architekturlehrer und Freund klarer Worte, sondern auch ein charmanter Herr. Alte Schule sozusagen.

Die Frage, ob er Phantomschmerzen spüre, weil der Palast fehlt, beantwortet er mit einem kurzen „doch, sehr“ und erinnert an die Besonderheiten des vernichteten Baus : „Dieses Haus an zentraler Stelle war offen für alle, mit vielen Funktionen und ohne Schwellen für den Zugang – dem entsprach die offene Architektur.“

Er ergänzt mit einer weiteren Korrektur: Die Unterstellung, das Gebäude habe Macht und Herrschaft repräsentiert, sei „verfehlt“. Jedenfalls sei es KEIN Schloss gewesen. Das Publikum im voll besetzten Saal 3 im Humboldt-Forum im Berliner Schloss erfährt, dass im ersten Entwurf für den Neubau von einem „Mehrzweckgebäude am Marx-Engels-Platz“ die Rede war. Und dann habe es geheißen, wir bauen einen Palast.

Eine nachträgliche Archivrecherche ergibt: „Palast der Republik“ im Berliner Kontext taucht zum ersten Mal in der Berliner Zeitung am 22. Mai 1973 auf – in einem Bericht über die Beschlussfassung der Berliner Stadtverordnetenversammlung zum Wohnungsbauprogramm.

Und siehe da: Genau ein Jahr zuvor, im Mai 1972, war Erich Honecker zum Staatsbesuch in Rumänien gewesen, hatte mit viel Tamtam einen Freundschaftsvertrag mit dem Ceaucescu-Land unterzeichnet – im Palast der Republik von Bukarest. Ein Hinweis darauf, wer den Namen erfunden hat? Möglich, aber unbelegt. Nur so eine Idee.

Die Architekten hatten sich 1973 allerdings ganz praktisch zu fragen: Wie baut man einen Palast? Das hatte keiner gelernt. Ein Regierungsgebäude habe es nicht sein sollen, auch kein Kulturhaus, „aber in der Tradition der Kulturhäuser“, sagt Eisentraut.

Kai Drewes fragt, wie man als so junger Mann – Eisentraut war mit 28 Jahren der Jüngste im Kollektiv – einen derart herausragenden Auftrag bekommen kann, und der Architekt denkmalgeschützter Bauten antwortet selbstbewusst: „Man muss gut sein. Und Glück haben.“

Gefragt, wie sich „der Bauherr “ (womit wohl vor allem die regierende Partei SED und ihr Erster Sekretär Erich Honecker gemeint war, der erst 1976 Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender wurde) verhalten habe, sagt Eisentraut: „Der Bauherr hat sich nicht direkt eingemischt; es gab eine Konsultationsgruppe. Dort hatten wir schöpferische Auseinandersetzungen; das hat die Arbeit qualifiziert.“ Und alles sei sehr schnell gegangen: „Während wir noch obere Teile gezeichnet haben, wurde schon die Wanne gegossen.“ Sein Urteil über das Resultat: „Das war ein schönes Haus.“

Kai Drewes vermutet nun, der Palast der Republik sei wohl die größte Baustelle der DDR gewesen. „Nein, war sie nicht“, erläutert Eisentraut, „das Atomkraftwerk Lubmin war größer und teurer.“ Er ordnet den Palast als „Beigabe zum großen Wohnungsbauprogramm“ ein und erinnert daran, dass die DDR zu jener Zeit von etwa 100 Staaten diplomatisch anerkannt war: „Da wollte man keine Leerstelle mehr im Zentrum der Stadt.“ Initiativen, die den Abriss des Schlosses und den Wiederaufbau des Palastes fordern, findet Eisentraut zwar „lustig“, aber anschließen mag er sich dem Gedanken nicht: Den Abriss eines belebten, guten Hauses, um an derselben Stelle ein historisches zu bauen , wie mit Palast und Schloss geschehen, nennt er ein „ahistorisches Vorgehen“. Das gewissermaßen in umgekehrter Reihenfolge zu wiederholen – also Schloss weg, Palast wieder her – sei „Unfug“.

Plädoyer für Sanierung

Zum derzeit existierenden Bau will er eigentlich gar nichts sagen, und dann doch: Man schaue doch mal aus dem Fenster – da draußen liege die Spree und eine Grünanlage. Aber da verstellt tatsächlich eine hohe Brüstung den Blick aus dem Schloss auf die Stadt. Zum Glück überragt der Fernsehturm alles. „So eine Brüstung hätten wir nicht gebaut. Solch ein Haus muss man doch öffnen, das ist doch kein Kastell.“ Man sehe: „Eine vordergründig politische Entscheidung kann Schlechtes bewirken. Das ist traurig.“

Wolf R. Eisentraut hatte als Mitglied der Schlossplatzkommission dafür plädiert, den von Asbest befreiten Rohbau zu sanieren und modern wieder aufzubauen. Zudem regte er an, vor das Palastgebäude ein modernes neues Haus zu bauen , er hatte ein Humboldt-Forum oder ein Haus der Moderne im Sinn. So wäre ein kleiner städtischer Platz entstanden, geöffnet zum Lustgarten hin und ergänzt durch eine Variante des 1706 eingestürzten Münzturms des Schlossbaumeisters Andreas Schlüter (1649–1715): „Zum Gedenken an meinen Kollegen. Aber das war nicht durchsetzbar.“

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