Der Tagesspiegel, 04.11.2010 von Lothar Heinke, Ralf Schönball

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Die Wiederentdeckung Alt-Berlins

Nach dem Alten Rathaus wurden jetzt die Keller von Mendelssohns Seidenmanufaktur freigelegt. Archäologen sind vom guten Zustand der Funde überrascht.

 

Nach der Entdeckung von großen, gut erhaltenen Teilen des mittelalterlichen Alten Rathauses von Berlin geraten weitere Bereiche der Geschichte der Stadt in den Fokus. Ganz in der Nähe des im 13. Jahrhundert errichteten Alten Rathauses wurden die Keller der Seidenmanufaktur entdeckt, in der Moses Mendelssohn ab 1754 zunächst als Buchhalter und später als Teilhaber wirkte. Die Manufaktur lag an der Jüdenstraße. Der jüdische Theologe und Philosoph, dessen Freund Gotthold Ephraim Lessing ihm mit seinem Drama „Nathan der Weise" ein Denkmal setzte, zählte im 18. Jahrhundert zu den Vordenkern der Aufklärung in Berlin.

Die Jüdenstraße liegt östlich des Roten Rathauses und die Seidenfabrik von Mendelssohn befand sich nordwestlich des heutigen Neptunbrunnens. In der Jüdenstraße gab es nach Angaben von Hendrik Kosche von der Jüdischen Gemeinde auch Thora-Schulen. Weiter südlich, dort wo heute der Parkplatz des „Neuen Rathauses" am Eingang des Klosterviertels steht, befand sich der Große Jüdenhof, ein hofartiger Komplex. Ein Teil dieser Stadtgeschichte könnte durch den Rückbau der Grunerstraße zumindest vom Grundriss her wieder belebt werden. Wie mit den historischen Teilen des „Alten Rathauses" umgegangen wird, ist gegenwärtig noch ungewiss.

Nach Überzeugung des an den Ausgrabungen beteiligten Archäologen Bertram Faensen vom Landesdenkmalamt ist gerade erst ein Viertel des einst 30 Meter langen und 17 Meter breiten historischen Gebäudes ausgegraben worden. „Die Befunddichte im Alten Rathaus hat uns überrascht", sagt Faensen. Beim Durchsieben des Bodens habe man Würfel entdeckt und zahlreiche Münzen. „Nicht nur mit brandenburgischer Prägung, sondern auch aus Ostpreußen, Pommern und Böhmen", sagte Faensen. Anhand dieser Funde könne man Teile des Handels- und Warenverkehrs nachzeichnen und so Erkenntnisse über die Wirtschaftsgeschichte der Region gewinnen.

An der Grabungsstelle des Alten Rathauses arbeiten vier bis sechs Archäologen. Hinzu kommen Zeichner und Grabungstechniker, die Felder vermessen. „Die Fundstücke sind überraschend gut erhalten", sagt Faensen. Ob aber bis Januar die Arbeiten abgeschlossen sein werden, kann er nicht sagen. Bis dahin haben die Archäologen Zeit, damit der Bau der U5 im Plan bleibt. Die bisher ausgegrabenen Säulen und Böden werden abgedeckt und zum Schutz vor der Witterung wieder mit Sand zugeschüttet. Dies ist die billigste Lösung. Im Gespräch war dem Vernehmen nach auch ein „Wetterschutzdach" aus Kunststoff. Dies wäre die elegantere Lösung gewesen, weil die Archäologen den Winter durch arbeiten könnten und die Funde auch den Berlinern präsentiert werden könnten.

„Wir erhalten jetzt bestätigt, was wir schon immer gesagt haben und was der Titel unserer Vortragsreihe in der Marienkirche war: Unterm Pflaster liegt die Stadt", sagt Beate Schubert, Vorsitzende des Vereins „Berliner Historische Mitte" (BHM). Man sollte damit so umgehen wie andere Städte, wo man Geschichte sichtbar macht, „damit die Menschen ein Gefühl dafür bekommen, wie das Zentrum ihrer Stadt gewachsen ist". Die vorzügliche Ausstellung über Berlins vergessene Mitte im Ephraimpalais zeige, wie die Gegend rund um das Rote Rathaus bebaut war. „Unser Wunsch ist es, über die künftige Gestaltung dieses Areals zu sprechen, indem man sich mit der Historie auseinandersetzt. Dass BVG und Senat den Gedanken, die Reste sichtbar zu machen, positiv gegenüberstehen, freut uns sehr".