Für das neue Quartier in Berlins historischer Mitte gibt es unterschiedliche Hoffnungen. Zwei Gespräche mit Menschen, die sich für ganz unterschiedliche Pläne engagieren
Tagesspiegel vom 05.07.2024 von Teresa Roelcke

Herr Grünzig, wie beurteilen Sie die aktuellen Entwicklungen am Molkenmarkt ? Wir als Initiative Offene Mitte Berlin engagieren uns schon seit einigen Jahren für den Molkenmarkt . Wir haben vor allem zwei Ziele: keine Privatisierung, landeseigene Grundstücke sollen durch landeseigene Wohnungsbaugesellschaften entwickelt werden. Und zweitens: Es sollen dort bezahlbares Wohnen und bezahlbare Räume für Kunst und Kultur entstehen.

Die Signale, die wir derzeit sehen, sind widersprüchlich. Es gibt positive Signale: Der Senator betont immer wieder, dass bezahlbares Wohnen im Mittelpunkt stehen soll. Auch im Rahmenplan steht, dass bezahlbares Wohnen wichtig ist.

Auf der anderen Seite sehen wir auch, dass die Rahmenbedingungen schwieriger werden: Bauprojekte werden gestoppt wegen steigender Kosten. Der Landeshaushalt steckt in einer Krise. Aber das Projekt wird nur gelingen, wenn es gelingt, wirklich günstige Baukosten zu erreichen. Da mache ich mir allerdings schon Sorgen.

Weshalb, wenn der Senator sich doch eigentlich zum bezahlbaren Wohnen an dieser Stelle bekennt? Kürzlich ist ja bekannt geworden, dass das Büro Mäckler Architekten ein Gestaltungshandbuch für den Molkenmarkt entwickeln wird. Christoph Mäckler ist ein bekannter Architekt, aber er ist mit Sicherheit kein Experte für kostengünstiges Bauen . Beim Projekt Neue Altstadt in Frankfurt am Main war er an führender Stelle tätig. Dabei hat er vor allem zwei Dinge in den Mittelpunkt gestellt: Er hat sich dafür eingesetzt, dass das Gebiet sehr kleinteilig mit sehr schmalen Häusern bebaut wird und er hat sehr rigide Gestaltungsvorgaben durchgesetzt.

Für die Frankfurter Altstadt gibt es eine strenge Gestaltungssatzung, in der sehr viel im Detail vorgeschrieben wird: die Materialität der Fassaden und Fenster, die Neigung der Dachflächen. Das ist ein bürokratisches Monstrum. Das Ergebnis der unglaublich strengen Vorgaben war, dass die Kosten völlig aus dem Ruder gelaufen sind. Es ist nicht ganz abwegig, dass Mäckler versucht, diese Dinge auch in Berlin durchzusetzen.

Gleichzeitig gibt es ja den berechtigten Wunsch, an dieser prominenten Stelle auch anspruchsvolle Architektur zu errichten. Und die landeseigenen Wohnungsunternehmen sind eher für große Klötze bekannt. Es wird dort ja Wettbewerbe für die Architektur geben. Meiner Meinung nach sollte es dabei nur wenige Vorgaben geben, damit auch wirklich innovative, unkonventionelle Lösungen eine Chance haben. Ich mache mir eigentlich nicht so viele Sorgen, dass die Architektur zu anspruchslos werden könnte: Wenn Architekten Freiheiten haben und sie ihre Vorstellungen auch umsetzen können, dann bin ich sicher, dass es da eine Menge Kreativität gibt, wie man auch mit niedrigen Kosten ansprechende Dinge entwerfen kann.

Und die landeseigenen Wohnungsunternehmen sind sich dieser Problematik ja bewusst, dass da nichts Ödes entstehen soll. Das haben sie sehr deutlich gesagt, auch im städtebaulichen Verfahren, wo ich ja als Bürgervertreter an den Jurysitzungen teilnehmen konnte. Wichtig ist aber auch, dass die Architekturwettbewerbe nicht in zu viele Lose aufgeteilt werden. Wenn das Areal in zwanzig unterschiedliche Lose aufgeteilt würde, dann hätten wir am Ende auch zwanzig unterschiedliche Büros, mit denen Vertragsverhandlungen durchgeführt werden müssen. Das wäre wahnsinnig aufwendig.

Für wen sprechen Sie eigentlich, wer steckt hinter der Initiative Offene Mitte? Das ist ein Kreis von vielleicht dreißig Leuten. Die Initiative hat sich gegründet im Herbst 2015, damals fand ein Bürgerbeteiligungsverfahren zum Thema Rathaus-Forum statt. Es sind relativ viele Architekten und Stadtplaner dabei, auch die Präsidentin der Architektenkammer, Theresa Keilhacker. Ich selbst bin Bauhistoriker und Publizist. Mich selbst interessiert das Thema aber vor allem als Bürger von Mitte.

Herr Müller, wie beurteilen Sie den Stand der Entwicklungen am Molkenmarkt ? Leider gibt es noch immer keine endgültige Entscheidung, wie der Bereich am Molkenmarkt gestaltet werden soll, damit es ein erlebbarer Stadtraum wird. Dort haben viele archäologische Grabungen stattgefunden. Was gefunden wurde, muss in das künftige Quartier einbezogen werden, nicht nur in Form von archäologischen Fenstern. Mir wäre es wichtig, dass die alten Gemäuer wie zum Beispiel Teile der Kelleranlagen des alten Elektrizitätswerks einer neuen Nutzung zugeführt werden. Dafür muss man sich in meinen Augen auch stärker am historischen Stadtgrundriss orientieren und kleinteilig bauen.

Durch die Festlegung auf die landeseigenen Wohnungsgesellschaften ist das nicht gewährleistet. In meinen Augen geht es um das Prinzip der europäischen Stadt, in der Gewerbe und Wohnen durchmischt sind. Die Gebäude, die von der WBM gebaut werden, sehen doch alle aus wie die Sechzigerjahrebauten in der Gropiusstadt, und das darf am Molkenmarkt einfach nicht sein. In anderen europäischen Städten wird auch der öffentliche Wohnungsbau viel durchmischter und viel kleinteiliger strukturiert gebaut. Daran müssten wir uns ein Beispiel nehmen. Das wäre dann auch viel nachhaltiger, weil die Leute das als schöner empfinden. Dadurch können die Gebäude viel länger stehen bleiben. Wenn sie schön sind, will sie schließlich niemand nach wenigen Jahrzehnten wieder abreißen.

Kleinteilig bauen ist aber viel teurer. Wie soll denn dann am Molkenmarkt bezahlbarer Wohnraum entstehen? Es gibt ja Festlegungen mit festen Prozentsätzen, wie viele günstige Wohnungen dort entstehen sollen. Wenn es teurer ist, schön zu bauen , dann muss die Stadt eben für diese Kosten einspringen, die für die schöne Architektur entstehen. Dafür hätte es dann eine Gültigkeit für Jahrhunderte und ist damit auf eine lange Zeitschiene gesehen kostengünstiger und damit nachhaltig auch im ökologischen Sinn. Das dann aktuell unter einen Hut zu bringen mit der Anforderung, dabei auch bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist eine schwierige, aber politisch sicher lösbare Aufgabe.

Wieso sind Sie so sicher, dass alle die gleiche Architektur schön finden? Es gibt genügend Forsa-Umfragen, die belegen, dass traditionelle Architektur europaweit von gut 70 Prozent der Befragten bevorzugt wird.

Sie sind gegen die landeseigenen Wohnungsgesellschaften als Bauherrinnen am Molkenmarkt . Wer soll am Molkenmarkt stattdessen bauen ? Es gibt offensichtlich kein Zurück mehr, dass dort die WBM und die Degewo als landeseigene Wohnungsgesellschaften bauen sollen. Aber wenn sie dort bauen , dann muss man ihnen zumindest ganz klare Gestaltungsvorgaben machen, damit ich in der Architektur trotzdem eine Orientierung schaffe an dem, was da mal war. Es ist schließlich der älteste Bereich Berlins .

Die städtebauliche Situation war dort geprägt von Wohnen, Gewerbe, Kleingewerbe, Kneipen, schmalen Straßen und Gassen, begrünten Höfen, prägnanten Palais und dem ältesten Gymnasium Berlins , dem Grauen Kloster. Urbanität vom Feinsten, bis das Viertel zerstört wurde, vor allem beim Großen Jüdenhof. Gerade bei so gut strukturierten Bau -Ensembles wie dem Großen Jüdenhof würde nicht nur ich mir eine vollständige Rekonstruktion wünschen.

Sie sind im Vorstand des Vereins Berliner Historische Mitte . Für wen sprechen Sie da? Ich spreche einerseits für den Verein, aber andererseits auch für die Allianz der baukulturell interessierten Bürgervereine. Dazu gehört auch die Gesellschaft Historisches Berlin , die Stiftung Mitte Berlin , die Berliner Sektion von Stadtbild Deutschland, und die ganze Gruppe, die jedes Jahr im September das Mittefestival organisiert.

Zitat

Wenn es teurer ist, schön zu bauen , dann muss die Stadt eben für diese Kosten einspringen, die für die schöne Architektur entstehen.

Hubertus Müller , Berliner Historische Mitte e.V.

Zitat

Das Projekt Molkenmarkt wird nur gelingen, wenn es gelingt, wirklich günstige Baukosten zu erreichen. Da mache ich mir schon Sorgen.

Matthias Grünzig , Initiative Offene Mitte Berlin

Hubertus Müller

Berliner Historische Mitte e.V.

  • geboren 1947, aufgewachsen in Neukölln
  • 40 Jahre Oberstudienrat für Kunst, Werken und Sport am Luise-Henriette-Gymnasium Tempelhof
  • Vorstandsmitglied des Vereins Berliner Historische Mitte ,Mitglied der Allianz baukulturell engagierter Bürgervereine

Matthias Grünzig

Initiative Offene Mitte Berlin

  • geboren 1969 in Berlin , Bauhistoriker und Publizist
  • zahlreiche Veröffentlichungen zur Berliner Mitte, darunter „Der Fernsehturm und sein Freiraum – Geschichte und Gegenwart im Zentrum Berlins “, Lukas Verlag 2022
  • seit 2015 Engagement in der Initiative Offene Mitte Berlin , Schwerpunkte: klimaresiliente Umgestaltung des Rathausforums / Marx-Engels-Forums, Molkenmarkt
  • 2021 / 2022: Tätigkeit als Bürger:innenvertreter des Wettbewerbs- und Werkstattverfahrens Molkenmarkt

Die nächsten Schritte am Molkenmarkt:

  • Anfang Juni wurde per Vertrag festgelegt, dass neben der WBM mit Degewo auch ein zweites landeseigenes Wohnungsunternehmen am Molkenmarkt bauen soll
  • .Bis Ende des Jahres wird vom Frankfurter Architekturbüro Mäckler ein Gestaltungshandbuch erarbeitet. Am kommenden Montag, 8. Juli, wird die laufende Arbeit des Büros im Baukollegium des Berliner Senats präsentiert. Die Veranstaltung kann von 16.30 bis 18.30 Uhr online unter https://www.youtube.com/@senstadtberlin mitverfolgt werden.
  • Noch in diesem Jahr sollen die ersten Architekturwettbewerbe für das Quartier ausgeschrieben werden

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